Was Kinder essen – und was sie essen sollten

Stiftung Kindergesundheit informiert über falsche Essgewohnheiten in deutschen Familien!

Eigentlich müsste ja die richtige Ernährung von Kindern kinderleicht sein. Schließlich lassen sich die Empfehlungen von kinderärztlichen Ernährungsexperten auf einen kurzen Nennen bringen: Kinder brauchen eine abwechslungsreiche Mischkost. Das bedeutet: wenig Fleisch, Fett und Zucker, damit auch weniger Kalorien, dafür viel pflanzliche Nahrungsmittel und damit reichlich Vitamine und Ballaststoffe. Von dieser Idealernährung indes ist die Mehrzahl der Familien hier zu Lande leider weit entfernt, bedauert die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit: Auf deutschen Tellern hapert es meistens an Gemüse und Obst, dafür bekommen viele Kinder viel zu früh und viel zu reichlich Fleisch und Süßigkeiten vorgesetzt.

„In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Essgewohnheiten vieler Familien in Deutschland grundlegend verändert“, konstatiert der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München, Vorsitzender der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Vorsitzender der gemeinnützigen Stiftung Kindergesundheit. „Es werden immer mehr verarbeitete Produkte in Form von Fertiggerichten, Konserven, ‚Convenience Food’, Fastfood und anderen, von der Lebensmittelindustrie erzeugten Mahlzeiten verwendet. Selbst zubereitetes Essen kommt seltener auf den Tisch als früher. Dieser Trend hat jedoch eine Reihe eindeutig nachteiliger Folgen für die Versorgung der Kinder mit wichtigen, gesundheitsfördernden Nährstoffen“.

Der jüngst publizierte „Ernährungsbericht 2008“ der Deutschen Gesell  schaft für Ernährung (DGE) berichtet über die Ergebnisse von zwei groß angelegten Studien, die Eltern nachdenklich machen sollten. Die VELS-Studie untersuchte Lebensmittelverzehr und Nährstoffzufuhr bei 732 Kindern im Säuglings- und Kleinkindalter zwischen sechs Monaten bis unter fünf Jahren. An der EsKiMo-Studie nahmen 2506 Kinder und Jugendliche teil.

Als Maßstab galt das vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund entwickelte Konzept der optimierten Mischkost. Die wichtigsten Empfehlungen darin: Getränke, Brot, Getreide und Getreideflocken, Kartoffeln, Reis, Gemüse und Obst sollen reichlich verzehrt werden, Milch und Milchprodukte, Fleisch und Wurst sowie Fisch und Eier mäßig, Öle und Fette sparsam. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die von den Ernährungsexperten empfohlenen Obstmengen wurden nur von Kindern im Alter unter zwei Jahren erreicht. Danach scheinen viele Kinder Obst abzulehnen. Im Alter zwischen zwei und vier Jahren essen 29 Prozent der Jungen, bzw. 37 Prozent Mädchen weniger als die Hälfte der empfohlenen Obstmengen.

Grünes ist „bäh“…

Noch ungünstiger ist die Situation beim Gemüse. Hier scheint ein bekanntes „Murphysches Gesetz“ des Kindesalters voll zum Tragen zu kommen. Es lautet: „Wenn es grün ist, ist es „bäh“. Wenn es süß ist, ist es „hmm“. Wenn es „gesund“ ist, „vergiss es“. Insgesamt essen 70 Prozent der Jungen und 72 Prozent der Mädchen unter fünf Jahren täglich weniger als die Hälfte der empfohlenen Gemüsemengen. Nur ganze vier Prozent der Ein- bis unter Fünfjährigen essen soviel Gemüse, wie es für ihre Gesundheit optimal wäre.

Die meisten Kinder essen auch zu wenig Kartoffeln, Nudeln, Reis oder Getreideflocken. Auch der Verzehr von Brot und Backwaren liegt in allen Altersstufen deutlich unterhalb der Empfehlungen. Insgesamt erreichen nur neun Prozent der Jungen und fünf Prozent der Mädchen die empfohlenen Mengen an kohlenhydratreichen pflanzlichen Lebensmitteln.

Süßes ist „hmm“…

Süßes und schweres Essen steht dagegen hoch im Kurs. Zitat aus dem Ernährungsbericht: „Der Verzehr von Zucker und Süßwaren begann bereits im ersten Lebensjahr und stieg auf ca. 40 Gramm pro Tag bei den vier- bis unter fünfjährigen Kindern. Bei Fleisch, Wurst und Eiern wurden die empfohlenen Mengen bereits ab dem ersten Lebensjahr im Mittel erreicht bzw. bei den älteren Kindern auch deutlich überschritten. Der nicht unerhebliche Verzehr von Käse bzw. Quark erhöhte die Proteinzufuhr zusätzlich.“

Die Folgen zeigen sich auf der Waage: 15 Prozent aller Kinder im Alter von 3 bis 17 Jahren sind übergewichtig, 6,3 Prozent gelten als adipös, also bereits fettsüchtig. Hochgerechnet sind das 1,9 Millionen dicke und rund 800.000 fettsüchtige Kinder und Jugendliche in Deutschland. Das bedeutet gleichzeitig einen Anstieg seit den 1980er und 1990er Jahren um 50 Prozent. Der Anteil fettsüchtiger Kinder in der Altersgruppe zwischen 14 und 17 hat sich verdreifacht.

Beim Fleischkonsum klappt die Schere allerdings weit auseinander. Jedes fünfte Kind bekommt weniger als die Hälfte der empfohlenen Fleischmengen. Andererseits erhalten aber 35 Prozent der Jungen, bzw. 30 Prozent der Mädchen mehr als das 1,5-fache und 19 Prozent der Jungen, bzw. 14 Prozent der Mädchen sogar mehr als das Doppelte der für ihre Altersklasse empfohlenen Fleischmengen.

Zu schwer, zu fett, zu salzig

Weitere Erkenntnisse:

o Die Ernährung von Kleinkindern enthält zu viele gesättigte Fettsäuren und deutlich zu wenig mehrfach ungesättigte Fettsäuren.
o Die Kinder werden viel zu eiweißreich ernährt und bekommen viel zu reichlich Fleisch und Wurst zu essen.
o Das Essen von Kindern ist übersalzen: Die Zufuhr von Natrium liegt erheblich über den empfohlenen Werten. Zu viel Salz im Essen kann aber Blutdruck in die Höhe treiben.
o Die empfohlene Menge von acht Milligramm Eisen pro Tag wird von über der Hälfte der Kinder nicht erreicht.
o Deutlich zugenommen hat der Verzehr von Süßwaren bzw. Zucker und alkoholfreien Getränken.

Mangel im Überfluss

Die ungünstige Auswahl von Lebensmitteln hat nachteilige Folgen für die Versorgung des kindlichen Organismus mit den notwendigen Nährstoffen. Die empfohlenen Werte wurden besonders für die Vitamine D und E sowie für Folsäure, Ballaststoffe, Calcium und Eisen (besonders bei Mädchen) bei den meisten Kindern und Jugendlichen unterschritten, während die Eiweißversorgung verhältnismäßig hoch und die Art der verwendeten Fette ungünstig war.

Die Schlussfolgerungen lauten: Kinder sollten mehr pflanzliche Lebensmittel, vor allem Gemüse, Obst, Brot und Kartoffeln zu essen bekommen. Sie sollten mehr Vollkornmehl, Vollkornbrot, Nudeln oder Reis anstelle von niedrig ausgemahlenen, hellen Getreideprodukten erhalten. Anstelle der beliebten süßen Colagetränken und kalorienreicher Limonaden sollte schlichtes Leitungswasser oder Mineralwasser auf den Tisch kommen. Eltern sollten beim Einkauf fettreduzierte Milchprodukte gegenüber Vollmilchprodukten oder mit Sahne angereicherten Produkten bevorzugen. Besonders wichtig: Mehr Brot, dick geschnitten und nur wenig Belag, möglichst dünn geschnitten! Fettreiche Wurst und Fleisch sollten durch fettärmere Varianten ersetzt und insgesamt reduziert werden.

Guter Rat ist gar nicht teuer

„Das ist gar nicht so schwer, wenn man einige einfache Grundsäzte befolgt“, sagt Professor Koletzko. „Statt Vollmilch kauft man Milch mit 1,5 Prozent Fett. Für die feine Küche verwendet man fettarmen Joghurt statt Saure Sahne oder Mayo. Satt Wurstbrot gibt es häufiger Cornflakes mit Obst, statt Nussnougatcreme lieber Honig oder Marmelade. Fette Leberwurst und Salami werden durch Putenschinken oder Cornedbeef ersetzt, statt Bratwurst gibt es Bockwurst. Pommes gibt es nicht mehr aus der Friteuse sondern aus dem Backofen, statt Nudeln mit Sahne gibt es Spagetti mit Tomaten. Gummibärchen sind günstiger als Schokolade, Wackelpudding, auch Götterspeise genannt ist eine bessere Alternative zu Sahnepudding, Frucht-Wasser-Eis ist besser als Eiscreme“.

Zum Thema Fastfood sagt der Münchner Ernährungsexperte: „Fastfood ist ein Teil unserer Lebenswirklichkeit. Es wäre nicht angemessen, es zu verdammen und zu verbieten. Eltern sollten aber wissen: Eine Ernährung mit Fastfood hat eine doppelt so hohe Energiedichte wie die vom Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund erarbeitete und von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin empfohlene Mischkost. Eine Fastfood-Mahlzeit pro Woche ist akzeptabel, mehr als zwei sollten es auf keinen Fall sein! Und bitte nur Normalportionen, keine doppelten oder übergroße!“

Tiger in der Frühstücksbox

Um schon bei Kindern im Kita-Alter eine nachhaltige Veränderung des Essverhaltens zu bewirken, sind Programme notwendig, die auf Erkenntnissen der Vorschulpädagogik und Kommunikationswissenschaft basieren. Ein solches Programm ist das von der Stiftung Kindergesundheit gemeinsam mit dem Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München und weiteren Partnern entwickelte und vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (StMUGV) geförderte, breitenwirksame Präventionsprojekt TigerKids, www.tigerkids.de. Es richtet sich an Kindertageseinrichtungen und wird in Zusammenarbeit mit der AOK bundesweit eingesetzt. Das Programm soll Kinder im Vorschulalter durch eine gesunde Lebensweise fit machen und Übergewicht verhindern. „TigerKids“ sollen

o sich mindestens eine Stunde täglich bewegen;
o weniger inaktiven Freizeitbeschäftigungen nachgehen;
o mehr frisches Obst und Gemüse essen;
o mehr kalorienfreie, ungesüßte Getränke konsumieren;
o ein gesundes Frühstück in den Kindergarten mitbringen.

Diese Ziele sollen dauerhaft in den Kindergarten- und Familienalltag integriert werden. Professor Koletzko: „Wir möchten erreichen, dass sich die Kinder nicht nur im Kindergarten, sondern auch zuhause gemeinsam mit den Eltern verstärkt bewegen. Gleichzeitig befürworten wir, dass sie weniger Zeit vor dem Fernseher und mit Computerspielen verbringen. Obst und Gemüse sollen den Konsum kalorienreicher Süßigkeiten und Snacks eindämmen. Weiterhin möchten wir die Kinder dazu bringen, statt Softdrinks und süßer Limonaden mehr Wasser, ungesüßten Tee und stark verdünnte Saftschorlen zu trinken. Die Eltern sollen sensibilisiert werden, ihren Kindern ein gesundes Frühstück in den Kindergarten mitzugeben“.

Aktuell beteiligen sich 125 000 Familien in 2 551 Tagesstätten an den TigerKids-Aktivitäten.

Das Programm hat sich bereits nachweislich bewährt, berichtet das TigerKids-Team von Professor Koletzko in einer internationalen Fachzeitschrift (Clinical Nutrition 2009, in Druck). Untersuchungen in 64 Kindergärten in Bayern ergaben: Die Mehrzahl der beteiligten Kinder isst täglich zweimal Obst und bewegt sich mehr als eine Stunde täglich.

67 Prozent der Kinder in den TigerKids-Gruppen essen mehr Obst, 45 Prozent auch mehr Gemüse. Zudem trinken zwei von drei „TigerKids“ seltener gezuckerte Getränke und greifen häufiger zu Wasser.

Weitere Informationen zum Thema Ernährung für Kinder finden Sie unter: www.schwangerundkind.de

Quelle: Stiftung Kindergesundheit www.kindergesundheit.de