Risiken für die Umwelt betreffen auch die Lebensmittelsicherheit: Harmonisierung der Bewertung, Schutz der biologischen Vielfalt

Die EFSA hat zwei wissenschaftliche Gutachten zur Umweltverträglichkeitsprüfung (Environmental Risk Assessment – ERA) veröffentlicht; ein drittes wird in Kürze folgen. Reinhilde Schoonjans erklärt die zentralen Punkte dieses Großprojekts.

Welche Relevanz hat die ERA für die Arbeit der EFSA?

Die Umweltverträglichkeitsprüfung oder Umweltrisikobewertung ist von zentraler Bedeutung für Vieles, was wir tun. Sie erfolgt im Rahmen der EFSA-Bewertungen von „regulierten Produkten“ – Pestiziden, genetisch veränderten Organismen und Zusatzstoffen in Lebens- und Futtermitteln – sowie von gebietsfremden invasiven Arten, die schädlich für die Pflanzengesundheit sind. Abgesehen von der Bewertung potenzieller Risiken für die menschliche Gesundheit durch die genannten Produkte befassen wir uns auch mit dem möglichen Schaden, den sie in der Umwelt hervorrufen können.

Warum wurden diese Gutachten erstellt?

Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass wir aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen, die in den einschlägigen Rechtsvorschriften vorgegeben sind, eine Vielzahl verschiedener ERA-Ansätze entwickelt haben. Mit den aktuellen Dokumenten wollen wir die Herangehensweise der EFSA bei der Umweltverträglichkeitsprüfung harmonisieren. Wir haben insbesondere drei Bereiche ermittelt, in denen wir die Ansätze vereinheitlichen könnten – und sollten: die Festlegung von Schutzzielen in Bezug auf die biologische Vielfalt zu Beginn der Bewertung; die Einbeziehung gefährdeter Arten; sowie das Potenzial zur ökologischen Erholung nach einem Schaden.

In den neuen Dokumenten wird also ein einheitlicher ERA-Ansatz vorgeschlagen?

„Der Rückgang der biologischen Vielfalt ist ein Problem, das uns alle betrifft und das dringend angegangen werden muss.“

Ja. Nach ihrer Umsetzung durch die wissenschaftlichen Sachverständigengremien der EFSA werden diese Dokumente zu einer harmonisierten Bewertung von potenziellen „Stressoren“ – wie Futtermittel-Zusatzstoffen, Pestiziden oder invasiven Arten – beitragen, bevor deren Inverkehrbringen bzw. Verbreitung in unserer Umwelt zugelassen wird. Viele der darin beschriebenen Grundsätze gelten auch für Stressoren, die außerhalb der EFSA bewertet werden – beispielsweise Biozide.

Die drei Dokumente helfen zu klären, auf was Risikobewerter sich zu konzentrieren haben. Der Gesellschaft ermöglichen diese Dokumente einen transparenten Überblick darüber, wie die EFSA arbeitet und welche Kriterien den einzelnen Schritten und Entscheidungen im Rahmen der ERA zugrunde liegen.

Was sind Schutzziele und warum sind sie wichtig?

Die einschlägigen Rechtsvorschriften enthalten Schutzziele mit dem einen Ziel: Menschen, Tiere und die Umwelt vor Schaden zu schützen. Ein Beispiel für ein solches Schutzziel ist die biologische Vielfalt. Dies ist ein sehr weiter Begriff, der ständig benutzt wird. Für Risikobewerter ist er jedoch zu breit gefasst. Es muss interpretiert und definiert werden, bevor er bei der ERA verwendet werden kann. Wir müssen genau wissen, auf welche Aspekte der biologischen Vielfalt wir uns konzentrieren wollen.

Um es anders auszudrücken, ein von der Politik formuliertes Schutzziel bedarf der Übersetzung in ein operatives bzw. spezifisches Schutzziel für die Umweltverträglichkeitsprüfung regulierter Produkte. Eine Möglichkeit hierfür ist, zunächst die „Ökosystemleistungen“ zu ermitteln, die durch den zu bewertenden Stressor beeinträchtigt werden können. Ökosystem(dienst)leistungen unterstützen menschliche Gesellschaften in Form ökologischer Funktionen und Prozesse – z.B. durch Lebensmittelversorgung, Wasserreinigung und Bestäubung oder auch kulturelle Vorteile.

Als zweiter Schritt bei der Übersetzung breiter Schutzziele identifiziert der Risikobewerter die „Dienstleistungseinheit“, welche die betreffende Leistung bereitstellt, wobei es sich meist um die Population einer bestimmten Schlüsselart handelt. Ein Beispiel für eine solche Dienstleistungseinheit ist die Honigbiene, die Bestäubungsdienste leistet.

Ist das Dokument zu spezifischen Schutzzielen ein Leitfaden?

Ja, er soll Risikobewertern und anderen maßgeblichen Stellen als praktische Hilfestellung dienen. Das Ziel ist, ausführlich alle Schritte zu beschreiben, die erforderlich sind, um politische Schutzziele in operative Schutzziele umzuwandeln. Das Dokument überträgt die Art und Weise, in der wir derzeit im Bereich Pestizide arbeiten, auf ein breiteres Spektrum potenzieller Stressoren, die von der EFSA bewertet werden, wie etwa Zusatzstoffe in Futtermitteln. Es ist beabsichtigt, diesen Leitfaden in künftige Leitlinien der EFSA-Sachverständigengremien einzubetten und ihn bei der Problemformulierung zu Beginn der ERA zu verwenden.

Warum sind insbesondere gefährdete Arten ins Auge zu fassen?

Der Rückgang der biologischen Vielfalt ist ein Problem, das uns alle betrifft und das dringend angegangen werden muss. Das vorliegende Wissenschaftliche Gutachten untersucht, in welchem ​​Maße gefährdete Arten bei den aktuellen ERA-Ansätzen berücksichtigt werden. Es betrachtet auch die Eigenschaften, welche die Empfindlichkeit bestimmen, und ob potenzielle Stressoren sich auf gefährdete Arten stärker als auf nicht-gefährdete Arten auswirken können.

Wie passt das Konzept der Erholung dazu?

Beim Einsatz geregelter Produkte ist es manchmal unvermeidlich, dass es zu Auswirkungen auf verschiedenen ökologischen Ebenen kommt – für Individuen, Populationen oder Lebensgemeinschaften. Dies liegt daran, dass Risikomanager Trade-off-Entscheidungen treffen – zum Beispiel, um die Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Diese Trade-off-Entscheidungen sollten jedoch auf expliziten Informationen darüber beruhen, wie sich die betroffenen ökologischen Größen erholen – wo und in welchem ​​Zeitraum.

Auch invasive gebietsfremde Arten können sich auf die Ökosysteme, in die sie eindringen, auswirken; in diesen Fällen ist es wichtig zu wissen, wie schnell und in welchem Ausmaß sich die betroffenen Ökosysteme erholen, um entsprechende Maßnahmen gegen die Eindringlinge zu ergreifen. Das vorliegende Wissenschaftliche Gutachten beschreibt, welche Informationen nötig sind, um abzuschätzen, wann die betroffene ökologische Einheit wahrscheinlicherweise zu ihrer normalen Funktion zurückkehrt und wieder die von ihr erbrachten Ökosystemleistungen liefert.

Was geschieht als nächstes?

Die drei Dokumente sollen unser Wissen um die Komplexität der Umwelt Europas im Hinblick auf die potenziellen Auswirkungen von Stressoren verbessern, die in den Zuständigkeitsbereich der EFSA fallen. Dank der Dokumente wird es uns möglich sein, die direkten und indirekten Auswirkungen potenzieller Stressoren auf Ökosystemleistungen liefernde Einheiten sowie die biologische Vielfalt besser anzugehen. Risikobewerter und Risikomanager werden nun erörtern, wie aus diesen vereinheitlichten Rahmenbedingungen größtmöglicher Nutzen gezogen werden kann.

Reinhilde Schoonjans ist Spezialistin für Umweltrisiken bei der EFSA.

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Quelle: EFSA