Gegen Recht, Gesetz und den Schutz von Mensch und Umwelt und für die Interessen der Industrie.
Nach mehrjähriger Verzögerung hat heute der EU Gesundheitskommissar Andriukaitis Entwürfe für die Kriterien zur Identifizierung hormonell wirksamer Schadstoffe (Endocrine Disrupting Chemicals – EDCs) vorgestellt (1). Das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN Germany) und WECF Deutschland bezeichnen die industriefreundlichen Entwürfen als skandalös und kritisieren diese auf Schärfste.
Die Vorschläge ermöglichen es der Industrie, weiterhin solche Pestizide und Biozide mit hormoneller Wirksamkeit ungehindert zu verkaufen, die laut Gesetzestexte nicht mehr oder nur im Ausnahmefall für eine Verwendung genehmigt werden dürften. Dies wird möglich, weil die Kommission die Beweislast für eine Regulierung derart erhöht, dass es nun nahezu unmöglich ist, die Ziele der beiden Verordnungen umzusetzen.
Der Beleg einer hormonschädlichen Eigenschaft hätte ursprünglich für eine Regulierung ausgereicht, nach den Kommissionsentwürfen muss nun die Relevanz eines schädlichen Effekts beim Menschen tatsächlich nachgewiesen sein, um Maßnahmen für ein Verwendungsverbot zu initiieren. Bei krebserregenden, erbgutverändernden und reproduktionstoxischen Stoffen reicht es demgegenüber aus, eine plausible Wahrscheinlichkeit aus Tierversuchen abzuleiten. Das Vorsorgeprinzip wird durch die Vorschläge mit Füßen getreten.
Es ist zu erwarten, dass diese Kriterien neben der Biozid- und Pestizidverordnung auch auf andere Regulierungen angewendet werden, wie z.B. die Kosmetikrichtlinie. Es ist davon auszugehen, dass eine effektive Regulierung und eine Reduzierung der Exposition durch EDCs in weite Ferne rückt, kritisieren die Nichtregierungsorganisationen.
Empörend ist auch, dass die Kommission die Ausnahmeregelungen unter der Pestizid-Verordnung erweitert. War eine weitere Verwendung eines identifizierten hormonschädigenden Pestizids an die Auflage geknüpft, dass eine Exposition auszuschließen ist, sind jetzt Expositionen erlaubt, sofern sie nicht eine festzulegende Schwelle überschreiten. Das Problem: Unfälle, unbeabsichtigte Verwehungen oder Kombinationswirkungen mehrerer ähnlich wirkender Pestizide bleiben unberücksichtigt und allzu oft mussten in der Vergangenheit solche „akzeptablen“ Konzentrationen nach unten korrigiert werden.
Die Kommission missachtet mit ihren Entwürfen nicht nur den Konsens führender Wissenschaftler(innen) (2) und deren Apelle für eine strenge Regulierung von EDCs,sondern setzt sich über geltendesRechthinweg.
„Mit diesen Vorschlägen gefährdet die EU-Kommission den Schutz von Menschen und Umwelt vor endokrinen Pestiziden und Bioziden. Die Pestizd- und Biozidverordnungen fordern wissenschaftsbasierte Kriterien, die es ermöglichen, alle hormonaktiven Substanzen zu identifizieren. Die Kommissionsentwürfe sind dagegen wie Netze mit sehr, sehr großen Maschen. Dies ist ganz im Sinne der Pestizid- und Chemieindustrie und sind offensichtlich Vorboten von CETA und TTIP. Die Bundesregierung muss endlich Stellung beziehen, die Vorschläge ablehnen und sich mit anderen Mitgliedsstaaten wie Schweden und Frankreich auf die Seite einer nachhaltigen Pflanzenschutz- und Chemiepolitik stellen, die extrem gefährliche Stoffe ausmustert und ökologisch verträgliche Innovationen fördert“, so Pestizid- und Biozidexpertin Susanne Smolka von PAN Germany.
„Die Vorschläge der Kommission bedeuten, dass es erst ein Verbot geben wird, wenn gesundheitliche Schäden bei Menschen nachgewiesen werden können. Das ist jedoch eindeutig zu spät, denn schon jetzt ist sich die führende Wissenschaft über Schäden durch EDCs einig. Besonders betroffen sind Schwangere und Kinder, da sie am sensibelsten auf EDCs reagieren. Es ist möglich, dass Schäden erst bei den Nachkommen sichtbar werden. Die Bundesregierung muss sich gegen den skandalösen Vorschlag der Kommission aussprechen, sofern sie wirklich am Schutz von Umwelt und Gesundheit interessiert ist“, fordert Alexandra Caterbow, Chemikalienexpertin von WECF.
Nach EU-Recht werden Pestizide und Biozide von der zukünftigen Verwendung ausgeschlossen, wenn aufgrund einer erkannten hormonell wirksamen Eigenschaft eine Schädigung der menschlichen Gesundheit oder nachteilige Umweltfolgen möglich sind. Die EU-Kommission hatte den Auftrag, bis zum Dezember 2013 wissenschaftsbasierte Kriterien zur Identifizierung hormonell wirksamer Stoffeigenschaften festzulegen, um diesen Passus der EU-Verordnungen anwenden zu können. Hormonell wirksame Chemikalien (auch endokrine Disruptoren, EDCs genannt) befinden sich in unzähligen Verbraucherprodukten, Nahrungsmitteln und Pestiziden und können im Zusammenhang mit Krankheiten wie zum Beispiel Brustkrebs, Hodenkrebs, Unfruchtbarkeit, Diabetes, Adipositas und Verhaltensstörungen bei Kindern stehen. EDCs gelangen in die Umwelt und stören so auch das Hormonsystem von Wildtieren, so dass sich beispielsweise das Geschlechterverhältnis in Populationen drastisch ändern kann. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet hormonell wirksame Chemikalien als „globale Bedrohung“. (3)
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Susanne Smolka (PAN Germany)
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Tel +49(0)40 399 19 10-24
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Alexandra Caterbow (WECF)
alexandra.caterbow@wecf.eu
mobil 0179 5244994
Johanna Hausmann (WECF)
johanna.hausmann@wecf.eu
mobil 0173 8010040
Mehr Information finden Sie hier:
- www.pan-germany.org
- www.wecf.eu
(1) Europäische Kommission: Entwürfe für die Kriterien zur Identifizierung hormonell wirksamer Schadstoffe (Endocrine Disrupting Chemicals – EDCs) vom 15.Juni.2016
- http://ec.europa.eu/health/endocrine_disruptors/docs/2016_pppcriteria_en.pdf
- http://ec.europa.eu/health/endocrine_disruptors/docs/2016_bpcriteria_en.pdf
(2) Führende Wissenschaftler einigten sich erst im Mai auf ein Konsenspapier, wonach eine wissenschaftlich fundierte Identifizierung von endokrinen Disruptoren unabhängig von einer Bewertung von Konzentrations-, Wirk- oder Toxizitätsschwellen durchzuführen sei, genauso wie dies bereits seit langem für die Identifizierung kanzerogene, erbgutverändernde oder fortpflanzungsschädigender Substanzen gängige Praxis ist.
Scientific principles for the identification of endocrine disrupting chemicals – a consensus statement. Outcome of an international expert meeting organized by the German Federal Institute for Risk Assessment (BfR), 2016
Hintergrundinformation
Im Dezember 2015 rügte der europäische Gerichtshof die EU-Kommission wegen ihrer jahrelangen Untätigkeit und weil sie Kriterien nicht wissenschaftsbasiert, sondern auf Grundlage einer ökonomischen Folgenabschätzung festlegen wolle.
Nr. 145/2015: Urteil des Gerichts in der Rechtssache T-521/14, 16. Dezember 2015
Noch vergangene Woche stimmte eine überwältigende, parteienübergreifende Mehrheit der EU-Parlamentarier für eine Resolution, die „umgehend gefahrenbasierte wissenschaftliche Kriterien zur Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften“ von der EU-Kommission einfordert Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Juni 2016 zu Chemikalien mit endokriner Wirkung und zum aktuellen Stand der Dinge nach dem Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Dezember 2015 (2016/2747(RSP)); P8_TA-PROV(2016)0270 .
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Quelle: PAN Germany und WECF Deutschland