Der Naturstoff Resveratrol aus roten Weintrauben ist berühmt wegen seiner potentiell gesundheitsfördernden Wirkungen. Diese Effekte entstehen jedoch nicht wegen der antioxidativen Wirkung der Substanz oder aufgrund der spezifischen Aktivierung bestimmter „Altersgene“, wie bisher angenommen. Vielmehr wirkt der Stoff pro-oxidativ und fördert durch die Bildung freier Radikale eine gezielte Umprogrammierung der Zelle, um sie gegen Stress zu schützen. Das konnten Wissenschaftler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik (MPIMG) nun unter anderem an Versuchen mit menschlichen Hautzellen zeigen.
Nahrungsergänzungsmittel mit Resveratrol, einem Farbstoff aus roten Weintrauben, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Resveratrol werden fast magische Effekte, insbesondere gegen Alterungsprozesse, Herzkrankheiten oder Alzheimer zugeschrieben. Zahlreiche Ergebnisse aus Zellversuchen und klinischen Studien konnten jedoch nicht reproduziert werden und ließen viele Fragen offen.
Dr. Sascha Sauer, der vor kurzem zusammen mit seinem Team vom MPIMG an das MDC und das Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) wechselte, hat zusammen mit Wissenschaftlern der Entwicklungsabteilung des Unternehmens Unilever nun eine mögliche Erklärung für die Wirkmechanismen von Resveratrol und die widersprüchlichen Ergebnisse gefunden. Die zugrundeliegende Studie wurde im Fachjournal Free Radical Biology and Medicine veröffentlicht.
Als Sauers Team die Verhältnisse im Inneren des Körpers im Reagenzglas nachstellte, wirkte Resveratrol nicht anti-, sondern eher pro-oxidativ. „Im Experiment entstanden geringe Mengen eigentlich schädlichen Sauerstoffs, der die Zellen unter leichten Stress setzt. Das eingesetzte Resveratrol zerfiel dabei schnell und fast vollständig“, erklärt Sauer. „In der Vergangenheit hat man sich stark auf mögliche Wechselwirkungen von Resveratrol mit bestimmten Genen und Proteinen, sowie auf dessen vermutete antioxidativen Eigenschaften konzentriert“, so Sauer. Antioxidative Substanzen können aggressive Arten des Sauerstoffs –„freie Radikale“ – einfangen. „Unsere Versuche haben aber gezeigt, dass geringe Mengen an Resveratrol die Bildung von freien Radikalen sogar befördern.“
Als nächstes testeten die Forscherinnen und Forscher die Wirkung von unterschiedlichen Mengen Resveratrol auf Kulturen menschlicher Hautzellen, die auch für Tests von Kosmetika genutzt werden. In geringen Mengen wirkte Resveratrol auf die Zellen wie ein Stimulator, der sie gegenüber zusätzlichem oxidativen Stress trainierte und robuster als zuvor machte.
Dies konnte Sauers Team mithilfe einer Reihe biochemischer Kontrollexperimente nachweisen. Sie beobachteten auch, dass durch Resveratrol bestimmte Gene gezielt aktiviert wurden. Diese Aktivierung führte dazu, dass die Zellen ihr intrazelluläres Milieu in einen antioxidativen und „jugendlicheren“ Zustand versetzten.
Der neu entdeckte Wirkmechanismus hatte sich laut Sauer bereits abgezeichnet – allerdings weitgehend unbemerkt. „Bei genauerem Hinsehen war in zahlreichen Studien der sogenannte Hormesis-Effekt erkennbar: positive Wirkung bei niedrigen, aber schädliche Effekte bei hohen Dosierungen. Dies fiel jedoch nicht auf, da man den zugrundeliegenden Mechanismus nicht erkennen konnte“, kommentiert Sauer.
„Wir hoffen, dass unsere neue Studie einen Paradigmenwechsel in der Resveratrol-Forschung einleiten wird. Unsere Ergebnisse können die bislang festgestellten Wirkmechanismen weitgehend erklären und viele der gegenwärtigen Kontroversen in der Pharmakologie von Resveratrol auflösen. Sie sind also Grundlage für zukünftige zielgerichtete Forschungen und Anwendungen des Stoffs – etwa auch, ob sich Alterungsprozesse im menschlichen Körper durch dermatologische Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel wirklich aufhalten lassen.“
Annabell Plauth et al. (2016): „Hormetic Shifting of Redox Environment by Pro-Oxidative Resveratrol Protects Cells Against Stress.“ Free Radical Biology and Medicine. doi:10.1016/j.freeradbiomed.2016.08.006
Die Studie wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN), der Europäischen Union (Seventh Framework Programme), und von Unilever R&D finanziert.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung auf den Seiten des MDC
- Manuskript als Vorabveröffentlichung online
Quelle: Vera Glaßer Pressestelle
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft