„Man ist nicht schnell mal nachhaltig“

Nachhaltig handeln, heißt Verantwortung übernehmen – gegenüber anderen und der Natur. Warum das so ist und wieso die deutsche Landwirtschaft zu dem Thema bereits ziemlich gut aufgestellt ist, erklärt Prof. Dr. Reiner Doluschitz. Er ist Fachmann in Sachen Regionalität und Nachhaltigkeit. Seit mehr als 20 Jahren lehrt er am Institut für Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim.

Herr Prof. Dr. Doluschitz, viele Supermärkte werben mit „regionalen“ und „nachhaltig erzeugten“ Lebensmitteln. Was heißt das eigentlich genau?

Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Welche Produkte „regional“ sind – dafür gibt es keine einheitliche Definition. Das „Regionalfenster“-Label ist ein erster Anfang. Hier steht drauf, woher ein Produkt kommt, und die „Region“ darf in diesem Fall nicht größer als ein Bundesland sein. Allerdings ist das Label beim Verbraucher noch nicht sonderlich bekannt. Auch der Begriff „nachhaltig“ war zeitweilig recht verschwommen. Er wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren inflationär verwendet und dadurch verwässert. Die Grundidee der Nachhaltigkeit wurde Anfang des 18. Jahrhunderts von Oberberghauptmann von Carlowitz niedergeschrieben – es ging darum, dass nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie es auch nachwachsen kann.

Wenn man sich einen Wald vorstellt, ist das Prinzip recht einleuchtend. Wo findet der Begriff heute noch Verwendung?

Wohnen und Bauen, Mobilität, Energie, Klima, Wasser, Arbeit und dann natürlich Landwirtschaft und Ernährung – das sind die gesellschaftlichen Handlungsfelder, in denen intensiv über das Thema Nachhaltigkeit nachgedacht wird. Man spricht dabei heute von einem Konzept der drei Säulen: der ökonomischen Leistungsfähigkeit, der Ökologie und der sozialen Verträglichkeit. Ein Betrieb muss in allen drei Dimensionen gewisse Mindestanforderungen erfüllen, wenn er langfristig erfolgreich sein möchte. Dazu gehören zum Beispiel auch gute Arbeitsbedingungen.

Das heißt also, dass die Begriffe „regional“ und „nachhaltig“ nicht genau – oder im zweiten Fall – recht komplex definiert werden. Wie kann der Verbraucher erkennen, was da eigentlich im Einkaufswagen liegt?

Regionale Produkte werden in der Regel auf der Verpackung optisch gekennzeichnet oder man findet sie in entsprechend ausgelobten Regalen im Einzelhandel. Ob ein Produkt nachhaltig produziert wurde, kann der Verbraucher hingegen nur schwer oder gar nicht erkennen. Hinter dem Begriff steckt ein komplexer Systemansatz und die Betrachtung einer ganzen Wertschöpfungskette ist erforderlich – es ist schwer, das auf ein Produkt zu schreiben.

Kann man denn sicher sein, dass regionale Produkte automatisch nachhaltig sind?

Nein. Einen unmittelbaren, kausalen Zusammenhang sehe ich da nicht. Die Tomate aus Spanien kann ja auch nach nachhaltigen Kriterien erzeugt worden sein. Eine erkennbare Verbindung der beiden Begriffe existiert dort, wo es um Kühl- und Transportaufwand geht. Der ist bei regionalen Produkten natürlich deutlich kleiner. Ein weiteres positives Argument für regionale Produkte ist, dass die ganze Wertschöpfung vor Ort bleibt.

Also sind regionale Produkte am Ende vielleicht sogar besser – oder doch eher die nachhaltig produzierten?

Am besten wäre natürlich beides – also wenn regionale Produkte nachhaltig produziert werden. In diesem Fall kann man als Verbraucher ein wirklich gutes Gewissen haben, denn man weiß, dass man einen Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet hat.

Wie sind die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zum Thema „Nachhaltigkeit“ aufgestellt?

Sehr gut. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe hat bereits einen sehr hohen Nachhaltigkeits-Status – vor allem im Vergleich zu anderen Ländern. Die Betriebe sind sehr bemüht, Flächen so zu bewirtschaften, dass sie auf Dauer ertragsfähig bleiben. Natürlich ist immer Luft nach oben und es ist wünschenswert, dass der eingeschlagene Weg auch weiterhin kontinuierlich beschritten wird.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das liegt ganz wesentlich in der Ausbildung der Fachkräfte begründet, die in der Landwirtschaft arbeiten und die Betriebe leiten. Es fängt schon bei der Berufsschule an, geht dann über den Beruf des Technikers bis hin zum Hochschulstudium. Eine Leitplanke ist außerdem die gemeinsame Agrarpolitik der EU. Sie geht stark auf den Aspekt Nachhaltigkeit ein, indem sie zum Beispiel landwirtschaftliche Betriebe mit Direktzahlungen unterstützt und sie dabei gleichzeitig über die Cross-Compliance-Verpflichtung zur Nachhaltigkeit verpflichtet.

Wer bekommt diese finanzielle Unterstützung?

Wenn man mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb in den Genuss solcher Prämien kommen möchte, dann verpflichtet man sich über diese Cross-Compliance-Regelungen beispielsweise dazu, dass man seine Flächen in einem guten ökologischen Zustand erhält. Dieses System hat sich in den letzten Dekaden immer stärker zugunsten der Umwelt weiterentwickelt. Das ist für mich auch ein wichtiger Garant dafür, dass sich die Landwirtschaft in Europa – insbesondere in Deutschland – an Nachhaltigkeitsaspekten orientiert.

Sind regional und nachhaltig produzierte Produkte und Lebensmittel zwangsläufig teurer?

Nein, es gibt da keinen ursächlichen Zusammenhang. Trotzdem ist das tendenziell oft der Fall, weil hier Produktionsmethoden zur Anwendung kommen, die höhere Kosten verursachen können. Ich denke da zum Beispiel an kleinere Viehbestände – oder Weidehaltung im Gegensatz zur intensiven Stallhaltung. Zusätzliche Kosten sollten dabei vom Verbraucher über höhere Preise honoriert werden.

Warum ist es trotzdem so wichtig, dass wir über nachhaltige Konzepte und regionale Lebensmittel nachdenken?

Doluschitz: Weil wir damit auch Verantwortung für andere übernehmen! Wir haben auf der einen Seite eine weiterhin wachsende Weltbevölkerung und auf der anderen schwindende, nicht vermehrbare Ressourcen. Alle Menschen ausreichend mit Nahrungsmitteln in hoher Qualität zu versorgen – das ist die globale Aufgabe, der wir uns alle verpflichtet fühlen sollten. An dieser Stelle kommt das Thema Nachhaltigkeit ins Spiel – Langfristigkeit ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Man ist nicht schnell mal nachhaltig. Es muss ein langfristiger Plan dahinterstehen.

Kann auch der Verbraucher zu dieser wichtigen Aufgabe beitragen?

Ja, denn er trägt eine Mitverantwortung – sie liegt nicht nur alleine bei der Politik, dem Einzelhandel oder den Landwirten. Der Verbraucher ist souverän und kann sich informieren und wählen, welche Produkte er kauft und wie viel Geld er dafür ausgibt. Und wenn es nicht unbedingt die Erdbeeren zu Weihnachten geben muss, dann sind wir mit unseren heimischen Produkten sehr gut versorgt!

Quelle: Forum Moderne Landwirtschaft