Nutrigenetik – der Schlüssel zur individuellen Nährstoffempfehlung

Alle Menschen sind verschieden, denn unsere Gene legen fest, wie wir aussehen, aber auch, welche Krankheiten wir entwickeln. Und sie sind dafür verantwortlich, dass wir das, was wir über unsere Nahrung zu uns nehmen ganz unterschiedlich verstoffwechseln. Ein eigenes Forschungsfeld, die Nutrigenetik, hat sich diesem Phänomen gewidmet. Sie verfolgt das Ziel, individuell zugeschnittene Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr zu geben, auch um dadurch das Risiko für bestimmte Erkrankungen zu senken. Die Vitamine E, B2 und D sind drei Beispiele, bei denen eine personalisierte Aufnahmeempfehlung relevant sein könnte.

Wir alle unterscheiden uns durch kleine, natürlich auftretende Veränderungen in unserer DNA, die als Polymorphismen bezeichnet werden. Polymorphismen entstehen, wenn in unserem Erbgut einzelne Bausteine, sogenannte Basen, durch andere ausgetauscht oder verdoppelt werden. Die kleinen Variationen in unseren Genen beeinflussen zum Beispiel, ob wir ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krankheiten tragen oder nicht. Wie neueste Erkenntnisse aus der Ernährungsforschung zeigen, kann aber auch die Wirkung, die Nährstoffe auf unseren Körper haben, je nach Polymorphismus unterschiedlich sein.

Mit Vitamin E das Arteriosklerose-Risiko mindern

Im Zusammenhang mit Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen geriet das Protein Haptoglobin in den Fokus der Wissenschaft. Haptoglobin ist ein Protein, das den Transport des Blutfarbstoffes Hämoglobin in unserem Blutkreislauf übernimmt. Im Haptoglobin-Gen existiert ein Polymorphismus, der zur Folge hat, dass drei verschiedene Varianten des Gens entstehen. Studien mit Diabetes-Patienten haben gezeigt, dass Betroffene mit einer bestimmten Genvariante ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko tragen, eine Arteriosklerose zu erleiden, die anderen beiden Varianten haben keine Auswirkung auf die Krankheitsentstehung. (1) Die Ursache für die Entwicklung der Arteriosklerose liegt in der verstärkten Bildung von Ablagerungen in den Blutgefäßen dieser Patienten, unter anderem hervorgerufen durch eine verminderte Funktion antioxidativer Mechanismen. Wie Forscher nun herausfanden, kann die Einnahme des Antioxidans Vitamin E helfen, die Bildung von Ablagerungen bei diesen Patienten zu verringern und somit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken.

Den Blutdruck senken mit Riboflavin

Einer der wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist der Bluthochdruck. Aus Schätzungen der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) geht hervor, dass jeder dritte Erwachsene unter Bluthochdruck leidet. (2) Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sowohl Umwelteinflüsse als auch genetische Faktoren tragen zur Entstehung bei. Ein erblicher Faktor, der eindeutig mit Bluthochdruck in Zusammenhang gebracht werden kann, ist ein Polymorphismus, der ein Enzym in unserem Folsäurestoffwechsel betrifft. Dieser beeinträchtigt die Aktivität des Enzyms und somit auch die Verwertung von Folsäure.

Etwa zehn Prozent der Bevölkerung weltweit sind Träger des Polymorphismus. (3) Für diese Menschen könnte das Vitamin Riboflavin (Vitamin B2) eine bedeutende Rolle einnehmen. Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass die Einnahme von Riboflavin den Blutdruck dieser besonders gefährdeten Personen senken kann. 3 Welcher genaue Mechanismus dahintersteckt, konnte noch nicht geklärt werden und auch bezüglich der wirksamen Dosierung müssen noch weitere Studien durchgeführt werden, bevor Empfehlungen ausgesprochen werden können. Das Beispiel zeigt aber, wie wichtig eine personalisierte Ernährung für einzelne Personengruppen sein könnte.

Vitamin-D-Zufuhr nach genetischem Maß

Auch was die Zufuhr von Vitamin D betrifft, könnten zukünftig maßgeschneiderte Empfehlungen an Bedeutung gewinnen. Ob die Einnahme von Vitamin-D-Präparaten den Vitamin-D-Spiegel im Blut beeinflusst, könnte jüngsten Erkenntnissen zufolge von unserer genetischen Prägung abhängen. Wieder ist es ein Polymorphismus, der offenbar darüber entscheidet, wie das Vitamin in unserem Körper verstoffwechselt wird. Betroffen ist das Gen des Vitamin-D-Rezeptors, der die Wirkung des Vitamins in der Zelle vermittelt. (4) Nur Träger einer einzigen der drei Varianten des Gens zeigten nach einer 12-wöchigen täglichen Einnahme von Vitamin D einen Anstieg des Spiegels im Blut. Die Häufigkeit, mit der diese Genvariante in der Bevölkerung vorkommt, unterscheidet sich jedoch stark in verschiedenen Ländern.

Sollten sich die ersten Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Aufnahme und der relevanten Genvariante in weiteren, größer angelegten Studien bestätigen, könnten zukünftig individuell angepasste Empfehlungen für die Vitamin-D-Zufuhr gegeben werden.

Auch wenn diese drei Beispiele sehr vielversprechend sind, steckt die Nutrigenetik sechzehn Jahre nach der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms noch in den Kinderschuhen. Es wird immer mehr deutlich, welcher Nutzen sich für einzelne Bevölkerungsgruppen aus einer personalisierten, nach genetischem Maß gefertigten Ernährung ergeben könnte. Ob sich dieser Ansatz in Zukunft durchsetzen wird, hängt jedoch nicht nur von der weiteren Erforschung der Zusammenhänge ab, sondern auch davon, inwieweit sich Ärzte diesen alternativen Behandlungsansätzen öffnen.

[1] Viener HL et al.; Pharmacogenomic interaction between the Haptoglobin genotype and vitamin E on artherosclerotic plaque progression and stability.; Atherosclerosis. 2015 Mar;239(1):232-9.

[2] Neuhauser H, Sarganas G (2015) Hoher Blutdruck: Ein Thema für alle. Hrsg. Robert Koch Institut, Berlin GBE kompakt 6(4).

[3] McAuley E. et al.; Riboflavin status, MTHFR genotype and blood pressure: current evidence and implications for personalised nutrition.; Proc Nutr Soc. 2016 Aug;75(3):405-14.

[4] Shab-Bidar S. et al.; Vitamin D receptor Cdx-2-dependent response of central obesity to vitamin D intake in the subjects with type 2 diabetes: a randomised clinical trial.; Br J Nutr. 2015 Nov 14;114(9):1375-84.

Pressekontakt:
GIVE e.V.
Dr. Andreas Erber, 1. Vorsitzender
Liane Ludwig
Friedrichstraße 23b, 70174 Stuttgart
0711/36533761

Quelle: GIVE