Appsurd: mit der App „Codecheck“ gesund einkaufen?

Verbraucher sollen mit der Smartphone-App „Codecheck“ den Barcode scannen und gesund einkaufen. Das Ergebnis sind teilweise gefährliche Desinformationen. Das zeigen verschiedene Beispiele.

„Wir möchten Usern helfen, Kaufentscheidungen zu treffen, die sie Zuhause nicht wieder bereuen“, sagt Roman Bleichenbacher, Gründer und Geschäftsführer von „Codecheck“. Glaubt man der Selbstdarstellung, gelingt das bravourös. Die App biete für „User einen echten Mehrwert“. Daher sei es ihr im Mai sogar gelungen, „als erste Schweizer App den Downloadschlager WhatsApp zu überholen und auf Platz 1 zu landen“.

Besieht man sich Codecheck genauer, fragt man sich allerdings: Warum?

Laut „Codecheck“ sind in der App über 35 Millionen Produkte erfasst. Zusammengetragen wurden dazu neben den Meinungen der User Bewertungen und Informationen von Greenpeace, vom BUND, dem WWF und von anderen „seriösen Datenquellen, renommierten Experten und Industrie unabhängigen Organisationen“.

Für die Bewertung von Kosmetika hatte sich „Codecheck“ bis Oktober diesen Jahres auf eine von ÖKO-TEST erstellte Liste aus dem Jahr 2000 gestützt. Sie war unbestritten längst nicht mehr auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Außerdem berief sich „Codecheck“ auf Heinz Knieriemen, einen österreichischen Journalisten, Fachbuchautor und langjährigen Mitarbeiter der Zeitschrift „Natürlich“, der allerdings schon seit 2014 tot ist. Trotzdem erklärte „Codecheck“ auf Nachfrage der Rheinische Post Mediengruppe: „Seine Expertisen sind immer noch aktuell.“

Inzwischen bezieht sich „Codecheck“ auf die Liste kosmetischer Inhaltstoffe der Europäischen Kommission. Doch die bewertet nicht, sondern beschreibt die Funktionen. Von ÖKO-TEST darauf angesprochen, schreibt Geschäftsführer (CEO) Boris Manhart, „Codecheck“ selbst habe die über 6.500 Inhaltsstoffe neu bewertet. „Teilweise“, so Manhart, „fehlt die Quellenangabe noch, was wir in den nächsten 1-2 Wochen beheben werden.“

So weit, so gut, wenn das Ergebnis überzeugen würde. So weit, so schlecht, denn das tut es nicht. So listet die App 5.497 Treffer mit dem Konservierungsmittel Isobutylparaben. Das ist in der EU seit Oktober 2014 in Kosmetik verboten. Laut „Codecheck“ ist es dennoch beispielsweise in der Schaebens Feuchtigkeits Maske enthalten, im Kamill Hand & Nagelcreme Balsam, im Clearasil Daily Clear Täglich reinigendes Waschgel und der Balea Urea Bodylotion. ÖKO-TEST hat diese Produkte eingekauft – und die Hersteller verstoßen nicht gegen die gesetzlichen Vorschriften. Sie verwenden längst andere Konservierungsmittel.

Wie aktuell diese Informationen sind, lässt sich am Beispiel der Balea Urea Bodylotion erahnen. „ÖKO-TEST 3/2012 sehr gut“ vermerkt „Codecheck“ zu dem Produkt des dm-Drogeriemarkts, das angeblich Isobutylparaben enthält. Das ist schlicht falsch, denn als wir das Produkt vor über vier Jahren untersucht und mit „sehr gut“ bewertet haben, enthielt es das verbotene Konservierungsmittel nicht mehr.

In der Balea Urea Bodylotion und den drei anderen Produkten bewertet „Codecheck“ Isobutylparaben mit „nicht empfehlenswert“. Im Bio Special Gleitgel, das den verbotenen Stoff ebenfalls noch enthalten soll, lautet die Bewertung dagegen „bedingt empfehlenswert“. Das ist nach „empfehlenswert“ die zweitbeste Einstufung. Bebildert ist das Ganze mit einem Produktfoto und dem ÖKO-TEST Label „sehr gut“. Allerdings hat ÖKO-TEST diese Version des Gleitgels nie untersucht und der Hersteller hat längst eine Unterlassungserklärung abgegeben. Zudem ist das Label veraltet.

Kein Einzelfall von fragwürdigen Informationen und Bewertungen. So listet die App 21.194 Treffer für den Inhaltsstoff Butylphenyl Methylpropional. Mit dem auch Lilial genannten Duftstoff konnten die Codecheck-Experten offenbar nichts anfangen. Er wird einfach „nicht bewertet“. Das Problem: Das nach Maiglöckchen duftende Lilial gefährdet die Fortpflanzung, selbst die EU hält den Stoff nicht mehr für sicher. Bei Codecheck können Lilial-haltige Produkte nichtsdestotrotz uneingeschränkt im grünen Bereich liegen.

Der Versuch, anhand der Inhaltsstofflisten Kosmetik zu bewerten, scheitert allerdings nicht nur an solchen fachlichen Mängeln, sondern auch an einem grundsätzlichen Problem: Viele Schadstoffe, die als Verunreinigungen in die Produkte gelangen, sind nicht deklariert. So fand ÖKO-TEST kürzlich in Nagellacken das verbotene Phenol. „Nicht verkehrsfähig“ lautete daher unser Gesamturteil unter anderem für den Chanel Le Vernis 18 Rouge Noir.

Bei „Codecheck“ findet sich kein Hinweis auf die nervenschädigende Substanz – sie ist ja nicht deklariert. Das gleiche gilt für Mascara, die mit polyzyklischen Kohlenwasserstoffen belastet sein können. Die krebsverdächtigen und krebserregenden Substanzen, die ÖKO-TEST noch im September 2016 in vielen Produkten nachgewiesen hat, sind Verunreinigungen von Farbstoffen und finden sich ebenfalls nicht in den Inhaltsstofflisten. Ebenso wie stark krebserregende Nitrosamine in Wimperntusche.

Besonders bedenklich sind die blinden Flecke der App bei Lebensmitteln. Pestizide, Fettschadstoffe, Mineralölbestandteile oder krebserregend Pyrrolizidinalkaloide müssen die Hersteller bekanntlich nicht deklarieren – und sie tun es auch nicht. So hat ÖKO-TEST im Oktober 2016 Reiswaffeln untersucht. Die meisten waren „ungenügend“. Sie enthielten unter anderem krebserregendes Arsen – zum Teil über dem gesetzlichen Grenzwert – sowie krebsverdächtiges Acrylamid.

Im gleichen Monat haben wir Donuts getestet. Alle Produkte waren „ungenügend“ wegen erheblicher Mengen an Fettschadstoffen und Mineralölbestandteilen.

Im August 2016 fielen viele Rooibos-Tees durch: Sie waren mit so großen Mengen an krebserregenden Pyrrolizidinalkaloiden belastet, dass der so genannte Zielwert des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) um bis zu 3.400 Prozent überschritten war. Pyrrolizidinalkaloide sind natürliche Gifte, mit denen sich Pflanzen davor schützen, gefressen zu werden.

Von all dem findet sich bei „Codeckeck“ – nichts. Im Gegenteil. An den Dennree Reiswaffeln ungesalzen, die nach unseren Untersuchungen über dem Grenzwert mit krebserregendem Arsen belastet sind, hat die App praktisch nichts zu kritisieren (dass die Waffeln laut „Codecheck“ aus Vollkornbrot und Sesam bestehen, ist zwar völliger Unsinn, aber angesichts des blinden Flecks beim Arsen bedeutungslos).

Zum Meßmer Rooibos Tee, vermerkt „Codecheck“: Fett gering, Zucker gering, gesättigte Fettsäuren gering, Salz gering, glutenfrei, laktosefrei, vegan. Fragt sich, ob die User nicht eher darüber informiert werden sollten, dass der Gehalt an krebserregenden Pyrrolizidinalkaloiden in dem Tee um mehr als 280 Prozent über dem BfR Zielwert liegt.

„Gefahrenpotenzial beachten“ mahnt „Codecheck“ bei den Rewe Beste Wahl Mini Donuts. Die Warnung bezieht sich aber nicht auf die von ÖKO-TEST festgestellten „stark erhöhten“ Mengen an Mineralölbestandteilen und die „erhöhten“ Werte für Fettschadstoffe, sondern auf Lecithin. Sie geht auf eine Veröffentlichung des verstorbenen Heinz Knieriemen Ende der 1990er Jahre zurück. „Besonders von Allergikern und Asthmatikern“ solle das weit verbreitete, aus Soja gewonnene Lecithin gemieden werden. Doch nicht einmal der als sehr kritisch bekannte Zusatzstoff-Experte Udo Pollmer teilt diese Sicht. Denn Sojalecithin enthält kein Sojaeiweiß mehr, das ist für die Allergien verantwortlich. Der Emulgator ist sogar für Bio-Produkte erlaubt.

Weitere Informationen und Beispiele finden Sie hier.

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Quelle: ÖKO-TEST

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