Smartphone-gestützte Therapie: Neues e-health-Angebot zur Behandlung von Magersucht

Eine Magersüchtige nutzt die Jourvie-App für ihr Essprotokoll
Bildquelle: Bayer Aspirin Sozialpreis (Urheber: Bayer Stiftung)

Forscher untersuchen therapeutischen Nutzen einer Smartphone-App

Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz untersuchen, ob sich die Essstörung Magersucht mit Hilfe der Smartphone-App „Jourvie Research“ besser behandeln lässt. Diese App soll es Betroffenen erleichtern, ihr Essverhalten und die damit verbundenen Gefühle zu protokollieren. Zudem bietet sie ihnen in psychischen Krisen Tipps, um diese zu überwinden. Aktuell suchen die Wissenschaftler noch betroffene Mädchen zwischen 12 und 19 Jahren, die unter der Essstörung Anorexia nervosa leiden und an der Studie teilnehmen möchten.

Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz untersuchen, ob sich die Essstörung Magersucht mit Hilfe der Smartphone-App „Jourvie Research“ besser behandeln lässt. Die vom gleichnamigen Sozialunternehmen entwickelte App soll es Betroffenen leichter machen, ihr Essverhalten und die damit verbundenen Gefühle zu protokollieren.

Geraten sie in eine psychische Krise, bietet ihnen die App Tipps, um diese zu überwinden und nicht mit gestörtem Essverhalten zu reagieren. Aktuell suchen die Wissenschaftler noch betroffene Mädchen zwischen 12 und 19 Jahren, die unter der auch als Magersucht bezeichneten Essstörung Anorexia nervosa leiden und an der Studie teilnehmen möchten. Interessierte aus Mainz und den umliegenden Regionen wenden sich bitte an den Initiator und Leiter der Studie, Dipl.-Psych. David Kolar, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsmedizin Mainz (E-Mail an david.kolar@unimedizin-mainz.de).

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Symptomen von Essstörungen. In Deutschland sind es laut Robert-Koch-Institut etwa 2,3 Millionen. Betroffen sind vor allem Mädchen in der Pubertät, aber auch bei Jungen im Kindesalter ist der Wunsch abzunehmen immer weiter verbreitet. Essstörungen nehmen unter den kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen eine besondere Stellung ein, da sie schwierig zu behandeln sind. Häufig führt die Erkrankung zu schwerwiegenden körperliche Schäden und nicht selten sogar zum Tod.

Zu den Essstörungen zählt die Magersucht, auch Anorexia nervosa genannt. Sie stellt eine schwere psychische Erkrankung dar und ist vielfach mit einer schlechten Prognose verbunden. Besonders das starke Untergewicht der Betroffenen und das stete Risiko einer weiteren Gewichtsabnahme gefährdet ihre Gesundheit. Ambulante Therapieplätze sind allerdings rar: Wartezeiten von weit mehr als drei Monaten sind die Regel.

Hilfe verspricht eine speziell entwickelte Smartphone-App. Die von dem Sozialunternehmen „Jourvie“ entwickelte App „Jourvie Research“ dient den Magersüchtigen als Tool, um digital und diskret zu notieren und zu speichern, was sie wann und mit welchem Gefühl gegessen haben. Diese Essprotokolle tragen dazu bei, bestimmte Denkmuster und wiederkehrende Verhaltensmuster im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme besser erkennen zu können. Weitere hilfreiche Funktion der App: Sie unterstützt ihre Nutzer in Krisenfällen. Geraten die Erkrankten in eine Situation, auf die sie tendenziell mit gestörtem Essverhalten reagieren würden, schlägt ihnen die App alternative Handlungen vor, beispielsweise Musik hören, lesen oder sich an etwas Schönes erinnern. Ziel ist es, dass die Magersüchtigen ihr Gewicht erhöhen oder es zumindest halten. Es gilt, ein lebensbedrohliches Ausmaß der Essstörung abzuwenden.

Ob der Einsatz dieser Smartphone-Applikation tatsächlich zu einer Stabilisierung des Gewichts führen kann, das erforschen Wissenschaftler seit 2016 in der randomisiert-kontrollierten SELTIAN-Studie. Sie wird an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Johanniter-Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuwied durchgeführt. Der Abschluss der ersten Pilotstudie ist für Ende 2017 geplant. Bis dahin suchen die Wissenschaftler an allen beteiligten Studienorten allerdings noch Teilnehmerinnen – und zwar konkret untergewichtige Mädchen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren, bei denen der Verdacht oder sogar die bestätigte Diagnose einer Anorexia nervosa besteht und die noch auf ihren ambulanten Therapieplatz warten müssen. Interessierte können sich an die unten angegebenen Kontaktpersonen wenden.

Im Rahmen der SELTIAN-Studie erhalten die Teilnehmerinnen die Möglichkeit, bereits während der Wartezeit dem Fortschreiten ihrer Erkrankung mit professioneller Hilfe entgegen wirken zu können. Mit den Teilnehmerinnen der einen Gruppe führen Psychologen zum einen alle zwei Wochen psychiatrische Einzelgespräche durch. Darin besprechen sie mit den Betroffenen deren Essprotokolle. In der App-Version, die in der Studie eingesetzt wird, werden die Protokolle nach jedem Ausfüllen automatisch an den Therapeuten verschickt, so dass dieser bereits vor dem Gesprächstermin vollen Einblick in die aktuellen Themen der Patientin erhält. Darüber hinaus entwickeln sie gemeinsam mit den Magersüchtigen individuelle Strategien zur Gewichtsstabilisierung sowie neue Lösungen für schwierige Situationen und sie analysieren die Erfolge und Misserfolge bei deren Umsetzung.

„In der Therapie besprochene Problemlösungen sind in einer Krise schnell vergessen. Was wäre, wenn eine Smartphone-App die Patienten genau dann an ihre Strategien erinnert?“, so der Mainzer Diplom-Psychologe David Kolar, der die Studie konzipiert hat. „In Krisen kann die App die magersüchtigen Mädchen dann auf ihre eigenen Strategien aufmerksam machen. Wir vermuten, dass die Therapie dadurch effektiver wirkt.“ Deshalb erhalten die Probandinnen der einen Patientengruppe zusätzlich zu den Gesprächen auch noch Unterstützung durch die Smartphone-App. In der Kontrollgruppe der Studie kommt das digitale Hilfsmittel nicht zum Einsatz. „Ab einem bestimmten Punkt der Gewichtsabnahme bedürfen die Magersüchtigen einer stationären Behandlung. Wenn es auch dank der App gelänge, deren Anzahl zu verringern, wäre das sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch aus Sicht des Gesundheitssystems sehr zu begrüßen“, betont Kolar.

„Bislang füllten die Betroffenen ihre Essprotokolle meist mit Papier und Stift aus. Doch diese analoge Protokollmethode ist nicht sonderlich praktisch und diskret. Smartphone-Apps bieten die großartige Chance, Daten im Alltag der Patienten direkt erfassen zu können“, erklärt Professor Dr. Michael Huss, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz.
„Mit Hilfe der Jourvie-App ist es möglich, eingenommene Mahlzeiten und die damit verbundenen Gefühle auf praktische und moderne Art zu protokollieren: Das Handy ist ohnehin immer dabei und niemand kann sehen, welche Funktion der Nutzer gerade verwendet.“

„Jourvie hat deutschlandweit schon tausende von Patienten unterstützt. Mit Hilfe der Studie wollen wir erfahren, wie sehr wir zu einer erfolgreichen Therapie beitragen können. Dieses Wissen wollen wir für die weitere Entwicklung unserer App nutzen”, betont Ekaterina Karabasheva, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Unternehmens Jourvie gUG Berlin, das hinter dem Jourvie-Projekt steht. Daher stellte es eine angepasste Version der App für die SELTIAN-Studie zur Verfügung.

Weitere Informationen:
Kolar et al. (2016). Bridging the Gap: Smartphone-based Support between Sessions for Adolescent Outpatients with Anorexia Nervosa – A Randomized Controlled Trial Protocol. EUROPEAN EATING DISORDERS REVIEW 24(4): E21-E21. Meeting Abstract: 34. ; DOI: 10.1002/erv.2456

Kontakte und Anmeldung zur Studienteilnahme:

Universitätsmedizin Mainz:
Dipl.-Psych. David Kolar,
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, Tel: 06131 / 17-3282, E-Mail: david.kolar@unimedizin-mainz.de
Sekretariat der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, Tel.: 06131 / 17-3281

Charité – Universitätsmedizin Berlin:
Betteke van Noort (M.Sc.),
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité-Universitätsmedizin Berlin, E-Mail: Betteke.Van-Noort@charite.de,
Tel.: +49 (0) 30/450 566-594

Johanniter-Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuwied:
Dr. phil. Dipl.-Psych. Regina Fuhrmann,
Johanniter GmbH, Johanniter-Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuwied,
E-Mail: Regina.Fuhrmann@nr.johanniter-kliniken.de
Sekretariat des Johanniter-Zentrums für Kinder- und Jugendpsychiatrie Neuwied,
Tel.: 02631 / 39440

Pressekontakt Universitätsmedizin Mainz:
Barbara Reinke, Stabsstelle Unternehmenskommunikation der Universitätsmedizin Mainz, Tel. 06131 / 17-7428, Fax 06131 / 17-3496, E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de

Quelle: Barbara Reinke M.A. Unternehmenskommunikation
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz