Um die Ballaststoffaufnahme von Personen abzuschätzen, waren Forscher bislang auf die Selbstauskünfte der Studienteilnehmer zu ihren Ernährungsgewohnheiten angewiesen. Nun haben Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) eine neue Möglichkeit gefunden, wie man die individuelle Aufnahme von Ballaststoffen anhand der Blutwerte bestimmter Fettsäuren objektiv bewerten und mengenmäßig einordnen kann. Die Entdeckung könnte künftig dazu beitragen, die Aussagekraft von Ernährungsstudien zu verbessern sowie individuelle Ernährungsempfehlungen zu präzisieren.
Das Forscherteam um Karolin Weitkunat, Sara Schumann und Susanne Klaus veröffentlichte nun die Ergebnisse in der Fachzeitschrift The American Journal of Clinical Nutrition (Weitkunat et al. 2017; doi:10.3945/ajcn.117.152702).
Was war bekannt?
Die Ergebnisse vieler Langzeit-Beobachtungsstudien lassen annehmen, dass Menschen ihr Typ-2-Diabetes-Risiko verringern, wenn sie ausreichend Ballaststoffe verzehren. Jedoch erreichen nur wenige Menschen die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Aufnahmemenge von 30 g pro Tag. Weiterhin weisen Studien darauf hin, dass Menschen, die in ihrem Blut hohe Spiegel der C15- und C17-Fettsäuren besitzen, ebenfalls ein vermindertes Diabetes-Risiko haben.
Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass der Mensch diese Fettsäuren nicht selbst bilden kann und mit der Nahrung, zum Beispiel aus Milchprodukten, aufnehmen muss. Untersuchungen an Tieren lassen jedoch vermuten, dass zumindest die Leberzellen von Nagern die Fähigkeit besitzen, aus einer Vorstufe (Propionat) C15- und C17-Fettsäuren zu bilden und diese ins Blut abzugeben. Propionat ist das Salz einer kurzkettigen Fettsäure, die beim mikrobiellen Abbau löslicher Ballaststoffe im Darm entsteht.
Was haben die Wissenschaftler untersucht?
Zusammengenommen brachten all diese Informationen die DIfE-Wissenschaftler auf die Idee, dass auch beim Menschen ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ballaststoffverzehr, den Fettsäurespiegeln im Blut und dem Diabetes-Risiko bestehen könnte. Da ein Nachweis für die menschliche körpereigene Synthese von C15- und C17 Fettsäuren bislang jedoch noch fehlte, führten die Forscher eine Ernährungsstudie mit insgesamt 16 gesunden weiblichen und männlichen Studienteilnehmern durch.
Für jeweils sieben Tage erhielten die zehn Frauen und sechs Männer im Wechsel zusätzlich zu ihrer normalen Kost täglich entweder 30 g Zellulose, 30 g Inulin oder 6 g Propionat, wobei die Forscher die Fettsäurespiegel der Teilnehmer vor und nach jeder Supplementierung bestimmten. Während Zellulose zur Gruppe der unlöslichen Ballaststoffe zählt, die nicht zur mikrobiellen Propionatbildung im Darm beiträgt, gehört Inulin zu den löslichen Ballaststoffen. Zusätzlich zu der Ernährungsstudie führten die Forscher Zellkulturexperimente durch, um den Propionatstoffwechsel in menschlichen Leberzellen genauer zu analysieren.
Zu welchem Ergebnis kommen die Forscher?
Wie die Forscher beobachteten, hatte der Zelluloseverzehr keinen Einfluss auf die Blutspiegel der C15- und C17-Fettsäuren. Dagegen stiegen die Spiegel der C15-Fettsäure nach dem Verzehr von Inulin um 17 Prozent bzw. nach der Aufnahme von Propionat um 13 Prozent an. Die Blutwerte der C17-Fettsäure erhöhten sich parallel um durchschnittlich 11 bzw. 13 Prozent. Auch in den Zellkulturexperimenten stimulierte die Zugabe von Propionat ins Nährmedium die Produktion der beiden Fettsäuren in den Leberzellen.
„Zusammengefasst geben unsere Ergebnisse einen neuen Einblick in die Stoffwechselmechanismen, die mit dem Verzehr von Ballaststoffen in Zusammenhang stehen. Wir konnten somit erstmals zeigen, dass auch der Mensch in der Lage ist, C15- und C17-Fettsäuren aus der Vorstufe Propionat zu bilden.
Darüber hinaus verschiebt sich die Fettsäuresynthese umso mehr in Richtung der beiden Fettsäuren, je mehr Propionat in die Leberzellen gelangt“ sagt Karolin Weitkunat, die sich mit Sara Schumann die Erstautorschaft teilt. „Dabei ist der mikrobielle Abbau löslicher Ballaststoffe im Darm für die in der Leber zur Verfügung stehende Propionatmenge ganz entscheidend“, so die Wissenschaftlerin weiter. „Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Propionat die Insulinempfindlichkeit der Körperzellen verbessert.
Daher spricht vieles dafür, dass ein kausaler, biologischer Zusammenhang zwischen einer erhöhten Aufnahme löslicher Ballaststoffe, erhöhten Blutwerten der C15- und C17- Fettsäuren sowie einem verminderten Typ-2-Diabetes-Risiko besteht“, ergänzt Sara Schumann.
Wie lassen sich die neuen Erkenntnisse nutzen?
„Unsere Untersuchungsergebnisse untermauern damit die Resultate von Beobachtungsstudien. Zudem legen sie nahe, die Blutwerte der C15- und C17-Fettsäuren künftig als Biomarker zu nutzen, um den Verzehr löslicher Ballaststoffe erstmals unabhängig von oftmals fehlerbehafteten Selbstauskünften der Studienteilnehmer mengenmäßig zu bestimmen. Dies könnte dabei helfen, die Aussagekraft künftiger Ernährungsstudien zu erhöhen und somit auch zu einer größeren Akzeptanz ihrer Ergebnisse beitragen“, sagt Susanne Klaus, die am DIfE die Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels leitet.
Nicht zuletzt hoffen die Wissenschaftler durch ihre Forschungsergebnisse auch das Bewusstsein für eine ausreichende Ballaststoffaufnahme zu erhöhen, denn besonders in den westlichen Industrienationen ernähren sich die Menschen immer noch zu ballaststoffarm. Eine ausreichende Ballaststoffzufuhr könnte wesentlich dazu beitragen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, aber auch Darmkrebs vorzubeugen.
Originalstudie: Weitkunat, K., Schumann, S., Nickel, D., Hornemann, S., Petzke, K. J., Schulze, M. B., Pfeiffer, A. F. H., Klaus, S.: Odd-chain fatty acids as a biomarker for dietary fiber intake: a novel pathway for endogenous production from propionate. Am. J. Clin. Nutr. 2017 Apr 19. pii: ajcn152702. doi: 10.3945/ajcn.117.152702. [Epub ahead of print].
http://ajcn.nutrition.org/content/early/2017/04/18/ajcn.117.152702.abstract
Fotos finden Sie hier für 28 Tage zum Download:
Technischer Mitarbeiter bei der Analyse von Fettsäuren in Plasmaproben mittels Gaschromatographie und Massenspektrometrie – Foto: Till Budde/DIfE
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Blutproben – Foto: Till Budde/DIfE
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(v.l.n.r.) Karolin Weitkunat, Prof. Dr. Susanne Klaus, Dr. Sara Schumann – Foto: DIfE
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Hintergrundinformation
Ballaststoffe kommen ausschließlich in pflanzlichen Lebensmitteln vor. Dabei handelt es sich um verschiedene Kohlenhydrate (inkl. Lignin), die der enzymatischen Verdauung im Dünndarm entgehen und im Dickdarm teilweise oder vollständig durch Darmbakterien abgebaut werden. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen löslichen und unlöslichen Ballaststoffen. Unlösliche Ballaststoffe sind vor allem Gerüst- und Stützsubstanzen der Pflanzen. Zu ihnen zählen Lignin, Zellulose und Hemizellulose. Die unlöslichen Ballaststoffe werden von den Darmbakterien nur teilweise abgebaut und besitzen unter anderem die Eigenschaft, im Dickdarm unterschiedliche Mengen an Wasser zu binden.
Durch die Bindung von Wasser quillt der Speisebrei, wird weicher, fördert die Bewegung des Darmes und trägt so zu einer Erhöhung des Stuhlgewichtes sowie einer verkürzten Transitzeit bei. Zu den löslichen Ballaststoffen gehören Pektine, resistente Stärken, Pflanzengummis, Schleimstoffe, Betaglukane und Gelstoffe aus Meeresalgen (z. B. Agar-Agar, Karrageen) und auch Inulin. Letzteres ist ein Gemisch von Mehrfachzuckern, die aus bis zu 100 Fruchtzuckerbausteinen und einem endständigen Traubenzuckerrest bestehen. Inulin kommt natürlicherweise in manchen Pflanzen wie Topinambur und Artischocken vor.
Die löslichen Ballaststoffe werden von den im Darm lebenden Bakterien weitgehend zu kurzkettigen Fettsäuren wie Propionat und Gasen abgebaut. Die von den Bakterien gebildeten Fettsäuren dienen zum einen als Nahrungsgrundlage für die Bakterien selbst, wodurch deren Überleben und Vermehrung gesichert sind. Zum anderen sind sie gemeinsam mit den entstehenden Gasen dafür verantwortlich, dass der Stuhl voluminöser und weicher wird.
Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Mehr unter www.dife.de. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Weitere Informationen zum DZD finden Sie unter www.dzd-ev.de.
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an.
Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen, darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,7 Milliarden Euro. Mehr unter www.leibniz-gemeinschaft.de.
Kontakt:
Prof. Dr. Susanne Klaus, Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Arthur-Scheunert-Allee 114-116, 14558 Nuthetal/Deutschland
Tel.: +49 (0)33200 88-2326
E-Mail: klaus@dife.de
Karolin Weitkunat, Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
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Dr. Sara Schumann, Abteilung Physiologie des Energiestoffwechsels
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Quelle: DIfE