Gegen Lebensmittelbetrug gemeinsam neue Wege gehen

Kongress von BVL und JRC zu Strategien im Kampf gegen Food Fraud.

Mit dem Pferdefleischskandal im Jahr 2013 rückte das Thema Lebensmittelbetrug in den öffentlichen Fokus. Die im März 2017 verabschiedete Revision der EU-Kontrollverordnung stellt nun die Bekämpfung betrügerischer Manipulationen stärker in den Mittelpunkt der Lebensmittelüberwachung. Wie sich dies auf die Arbeit der Behörden auswirkt, welche Rolle die Wirtschaft einnimmt und welche Anforderungen daraus an die Analytik erwachsen, diskutierten rund 180 Teilnehmer aus verschiedenen Behörden, der Wirtschaft und Wissenschaft beim internationalen Kongress „Food Fraud“ am 12. und 13. Juni in Berlin. Die Veranstaltung wurde vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zusammen mit der Europäischen Kommission, Joint Research Centre (JRC), organisiert.

„Lebensmittelbetrug ist an sich ein wahrscheinlich jahrtausendealtes Delikt. Aber erst der sogenannte Pferdefleischskandal hat uns die Augen weit genug geöffnet, um zu sehen, in welcher Dimension heute die Warenströme international für den Betrug mit Lebensmitteln genutzt werden“, erklärte Dr. Helmut Tschiersky, Präsident des BVL, in seiner Begrüßungsrede zur Eröffnung des Kongresses.

Dr. Elke Anklam, Direktorin beim JRC, beschrieb, dass seit den Lebensmittelskandalen in den neunziger Jahren auf europäischer Ebene bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen wurden, um Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten, unter anderem durch die Einrichtung von Referenzlaboratorien. Der Verbraucher erwarte aber auch, dass in dem Produkt, das er kauft, auch das enthalten ist, was gekennzeichnet ist.

Netzwerke als Schlüssel zum Erfolg

Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Dr. Maria Flachsbarth, betonte in ihrer Rede: „Eine gut strukturierte Zusammenarbeit auf nationaler und europäischer Ebene bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Bekämpfungsstrategie.“ Sie hob dabei auch die Rolle des BVL als Koordinator hervor. Mit dem Aufbau eines nationalen Systems zur Bekämpfung von Lebensmittelbetrug stelle sich das BVL der komplexen Herausforderung, verdeutlichte der im BVL für Lebensmittelsicherheit zuständige Abteilungsleiter Dr. Gerd Fricke. Im Mittelpunkt stehe hier neben dem Informationsaustausch die Bildung von Netzwerken, um eine Grundlage für effizientes Handeln aller Beteiligten zu schaffen.

Dr. Gudrun Gallhoff von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Europäischen Kommission verwies darauf, dass der in der EU geschaffene Rahmen nur als Scharnier fungieren könne, da in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Strukturen vorhanden seien.

Mit der Revision der EU-Kontrollverordnung werde ein Schwerpunkt auch auf die Bekämpfung von betrügerischen Manipulationen gelegt, wie Dr. Michael Winter, Unterabteilungsleiter im BMEL, hervorhob. So werden in die risikobasierte Kontrollfrequenz zusätzlich Erkenntnisse über die Wahrscheinlichkeit von betrügerischen oder irreführenden Praktiken einfließen.

Dafür warb auch Dr. Peter Wallner, der beim bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) die Spezialeinheit Lebensmittelsicherheit leitet. Es sei wichtig, auf Überwachungsseite auch wirtschaftliche Rahmenbedingungen bei der Lebensmittelproduktion in die Risikobewertung mit einzubeziehen. Ein in der Spezialeinheit entwickeltes Frühwarnsystem erlaube es, signifikante Veränderungen bei Warenströmen oder Preisen von Lebensmitteln zu ermitteln, die potentiell zu einem erhöhten Betrugsrisiko führen können. In diesem Punkt wollen BVL und LGL verstärkt zusammenarbeiten. Außerdem empfahl Dr. Wallner eine stärkere Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften. Häufig werde die Spezialeinheit von der Staatsanwaltschaft bei Durchsuchungen hinzugezogen.

Schutz für Whistleblower unzureichend

Die beiden Staatsanwälte Dr. Wanja Welke und Dr. Anja Wüst skizzierten aus Sicht der Justiz den Beitrag, den das Strafrecht zur Bekämpfung von Food Fraud leisten kann. „Strafrechtliche Sanktionen können Bestandteil der Bekämpfung von Lebensmittelskandalen sein“, sagte Dr. Welke, „und sie sollten es auch.“ Bei besonders schweren Fällen seien Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zehn Jahren möglich. Entscheidend sei, ob der Straftatbestand des Betrugs erfüllt sei (§ 263 StGB) oder bloß lebensmittelrechtliche Vorschriften verletzt würden. „Für uns ist es eine Freude zu sehen, dass Lebensmittelbetrug durch die geänderte Kontrollverordnung nun so in den Fokus rückt“, erklärte Dr. Welke.

Einen gesetzlichen Schutz für Whistleblower forderte Annegret Falter, Vorsitzende des Vereins Whistleblower-Netzwerk, vom Gesetzgeber. Die Behörden der Lebensmittelüberwachung seien auf derartige Informationen angewiesen. Zugleich seien die Hinweisgeber nicht ausreichend geschützt. Für den Rechtswissenschaftler Prof. Alfred Hagen Meyer liegt das größte Potenzial zur Prävention von Lebensmittelbetrug bei den Lebensmittelunternehmen selbst. Nur sie könnten als Glied der Lebensmittelkette effektiv gegen Lebensmittelbetrug vorgehen. Ihre Qualitätsmanagementsysteme seien aber auf diesem Feld nicht ausreichend.

Forschungsergebnisse zugänglich machen

Auch für die Analytik ergeben sich aus der neuen Kontrollverordnung erweiterte Anforderungen. Dr. Petra Gowik, Leiterin der Abteilung Untersuchungen beim BVL, erläuterte das neue Kaskadensystem. Wenn es zukünftig keine im EU-Recht verankerte Untersuchungsmethode gebe, sollen international anerkannte Verfahren oder Verfahren der EU-Referenzlaboratorien verwendet werden. Wenn auch diese nicht vorliegen, sollen  nationale Verfahren zum Einsatz kommen. Als eine Herausforderung bezeichnete sie, die Vielzahl an vorhandenen Forschungsergebnissen zur Lebensmittelechtheit und Integrität in der Lebensmittelkette zusammenzuführen und zugänglich zu machen.

Um die Aktivitäten zum Nachweis der Identität von Lebensmitteln weiter zu bündeln, hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Nationales Referenzzentrum für die Echtheit und Integrität in der Lebensmittelkette beim Max Rubner-Institut (MRI) eingerichtet. Dr. Lara Frommherz vom MRI erläuterte in ihrem Vortrag, wie die schon vorhandenen Einrichtungen des MRI im Nationalen Referenzzentrum zusammenarbeiten werden. Unter anderem zeigte sie auf, wie das MRI selbst Referenzmaterialien erstellen kann. Die Schwierigkeit für die Labore, so betonten alle Redner, liege nämlich darin, authentisches Referenzmaterial zu bekommen.

In seinen Schlussworten fasste BVL-Präsident Dr. Tschiersky die wichtigsten Ergebnisse des Kongresses zusammen: Der bessere Schutz für Whistleblower sei eine Zukunftsaufgabe, die Zusammenarbeit der Behörden mit der Wirtschaft eine andere. Und für den Ausbau der bestehenden Netzwerke wünscht er sich: „Wir sollten viele horizontale Verknüpfungen schaffen anstatt weitere vertikale.“

Hintergrund

Der Kongress „Food Fraud“ wurde vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gemeinsam mit Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (JRC) organisiert. Das JRC unterstützt als wissenschaftliche Organisation der Europäischen Kommission die europäische Politik durch wissenschaftsbasierte unabhängige Beratung.

Das BVL ist eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und hat seinen Aufgabenschwerpunkt im gesundheitlichen Verbraucherschutz. Beispielsweise koordiniert das BVL die von den Ländern durchgeführten Überwachungsprogramme für Lebensmittel, Futtermittel und Bedarfsgegenstände und ist nationale Kontaktstelle für das Schnellwarnsystem der Europäischen Union (RASFF). Im Krisenfall kann im BVL ein Lagezentrum eingerichtet und die Bund-Länder-Task Force „Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit“ einberufen werden.

Weiterführende Informationen

Informationen zum Kongress 2017

Inhalte der Vorträge

Quelle und Pressekontakt BVL