Wie gesund ist Milch wirklich?

Prof. Dr. Bernhard Watzl (MRI) informiert DLG-Ausschuss für Milchtechnologie über den Status quo.

„Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht ist und bleibt Milch ein sehr gesundes Lebensmittel.“ Damit tritt Prof. Dr. Bernhard Watzl, Institut für Physiologie und Biochemie am Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe, entschieden den öffentlich geäußerten Vorwürfen einer vermeintlichen Gesundheitsgefährdung durch Milch entgegen. Vor dem DLG-Ausschuss für Milchtechnologie referierte der renommierte Wissenschaftler über den aktuellen Wissensstand.

Schlagzeilen wie „Milch führt zu Osteoporose“ oder „Milch begünstigt Krebs“  verunsichern  Verbraucher massiv. Wie kann ein gesundes Lebensmittel wie Milch über Nacht zum Buhmann werden?

Die wissenschaftlichen Fakten, denen umfangreiche Studien zugrunde liegen, rechtfertigen kein schlechtes Image. Im Gegenteil! Doch diesen fundierten Daten werden öffentlich nach Aussage von Prof. Watzl häufig schlicht subjektive Einschätzungen gegenübergestellt. Diese erfahren dann mittels Internet und Social Media eine rasant schnelle Verbreitung, da sie einen vermeintlich hohen Nachrichtenwert besitzen: Schließlich ist die Gesundheit vieler Menschen von dieser „Neuigkeit“ betroffen. Das verspricht hohe Klickraten oder Auflagen und lässt die Seriosität der Informationsquelle in den Hintergrund treten.

Wer sich vor Falsch- und Fehlinformationen schützen will, muss deshalb auf unabhängige Informationen Wert legen. Zu „starre“ Aussagen sollten nach den Worten des Referenten stets hinterfragt werden. Doch das ist in der Praxis oftmals gar nicht so einfach, da sich auch seriös wirkende Absender zum Thema Milch öffentlich zu Wort melden. Vergegenwärtigen sollte man sich laut Prof. Watzl stets, dass Lebensmittel ebenso wie der menschliche Körper sehr komplexe Systeme darstellen. „Für deren Wirkungen und Funktionen gibt es in den meisten Fällen keine lineare Beziehungen und keine einfachen Antworten.“

Verzehrsempfehlungen

Prof. Watzl schließt sich grundsätzlich den Empfehlungen der  Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) an, täglich 200 bis 250 g Milch/Joghurt und 50 bis 60 g Käse zu sich zu nehmen.

Allerdings sieht er für normalgewichtige Menschen keine Notwendigkeit,  fettarme Milchprodukte zu bevorzugen, wie dies Publikumsmedien (und die DGE) häufig empfehlen. Nur bei Vorliegen von Diabetes mellitus Typ2 könnten die fettarmen Varianten positive gesundheitliche Effekte erzielen. Bei normalgewichtigen Menschen wirkten sich Vollmilch und Erzeugnisse daraus nicht negativ auf die Gesundheit aus.

Calcium-Lieferant

Als sicher gilt nach Aussage Prof. Watzls die Erkenntnis, dass Kinder und Jugendliche von Milch in den empfohlenen DGE-Mengen profitieren. Denn die calciumreiche Milch festigt die Knochen und hat eine große Bedeutung für deren Dichte bzw. Masse. Entscheidend ist aber die betrachtete Lebensphase. Ab einem Alter von etwa 20 Jahren kann man den Zustand seiner Knochenfestigkeit mehr oder minder nur noch erhalten, nicht aber erhöhen.

Verabschieden muss man sich also von der verbreiteten Vorstellung, dass Milch im Erwachsenenalter vor Osteoporose oder Knochenbrüchen schütze. Die Knochendichte wird auch von anderen Lebensmittel-Inhaltsstoffen beeinflusst, wie etwa Vitamin D, das den Calcium-Abbau aus den Knochen verhindert. Aber auch Bewegung sei essentiell und stimuliere die Neubildung von Knochenzellen.

Milchfette

Fette gehören zu den wichtigen Nährstoffen der Milch. Im Milchfett befinden sich über 400 verschiedene Fettsäuren, darunter auch seltene ungradzahlige, wie beispielsweise C15 oder C17-Moleküle. Viele Minor-Fettsäuren werden durch mikrobielle Fermentation von Gras im Pansen der Wiederkäuer gebildet. Deshalb weist die Milch von Kühen, die überwiegend Gras fressen, einen deutlich höheren Anteil an Minor-Fettsäuren auf. Vergleichbares trifft auf die Omega-3-Fettsäure zu, deren Anteil in der Milch von Weidetieren bis zu 50 % höher ist. Die Bedeutung des Fettgehaltes für gesundheitlich präventive Effekte ist allerdings noch unklar und bedarf intensiver Forschung, so Prof. Watzl.

Wachstumshormon

Milch und Milchprodukte  stellen eine Quelle für essenzielle Nährstoffe dar. Der Verzehr korreliert nach Aussage des Referenten mit einem leicht verringerten Risiko für Schlaganfall, Bluthochdruck, Diabetes, Dickdarmkrebs und dem Metabolischen Syndrom. Wie kommt es zu der Behauptung, Milch sei krebsfördernd?  Verantwortlich dafür ist ein Wachstumshormon namens IGF-1 (Insulin-like Growth Factor-1), das natürlicherweise in großen Mengen in Kuhmilch enthalten ist. Das Hormon liegt in identischer Zusammensetzung und biologischer Wirkung wie humanes IGF-1 vor. Es regt u.a. die Zellteilung an, hemmt den programmierten Zelltod und gilt als besonders wichtig für Wachstumsprozesse.

Die Konzentration im Blutplasma hängt von vielen Faktoren ab, wie etwa Alter, Geschlecht, Genotyp, Körpergröße, Gewicht und der Ernährung. Epidemiologische Studien zeigen: Wer lang anhaltend viel IGF-1 im Blut hat, erkrankt eher an Krebs. Der  IGF-1 Spiegel im Blut hängt mit der körperlichen Produktion und Regulation zusammen, die vermutlich bereits in der Kindheit geprägt wird: Ein hoher Milchverzehr in der Kindheit erhöht zunächst die IGF-1 Konzentration, um sie im Erwachsenenalter wieder zu senken, was letztlich protektiv wirkt. Trinkmilch enthält deutlich mehr IGF-1 als verarbeitete Milchprodukte, wie Käse oder Joghurt. Denn der durch die Fermentation hervorgerufene Säureanstieg führt zu einer Denaturierung des Wachstumsfaktors.

microRNA

Neben IGF-1 steht auch ein anderer Minorbestandteil der Milch, die sogenannte microRNA, in der Kritik. Darunter versteht man kleine Erbgut-Fragmente, von denen rund 250 verschiedene in der Kuhmilch vorkommen. Deren Nukleotidsequenz weist große Ähnlichkeit mit der humanen microRNA auf. Ob sie aber tatsächlich über Spezies-Grenzen hinweg bioaktiv, das heißt genmanipulativ, tätig sind und ob sie überhaupt die Darmpassage unbeschadet überstehen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die Forschung steht hier laut Prof. Watzl erst am Anfang.

A1 und A2 Milch

Milch enthält Wasser, Fett und Proteine, bei denen es sich größtenteils um Casein handelt. Eine der verschiedenen Casein-Sorten ist das Beta-Casein, das aus 209 Aminosäuren besteht und etwa ein Viertel des Milcheiweißes ausmacht. Der Unterschied zwischen A1- und A2-Milch liegt nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen in einer einzigen Aminosäureabweichung des Beta-Caseins an Position 67. Bei A2-Beta-Casein sitzt an dieser Stelle die Aminosäure Prolin, während die A1-Milch hier Histidin enthält.

Im Laufe der Entwicklung ist die A1-Mutation aufgetreten, die A2-Milch gilt als die ursprünglichere oder „natürlichere“ Form. Die A1-/A2-Variante der Milch ist abhängig von der Vererbung und variiert innerhalb der Milchkuhrassen. Die aktuellen Diskussionen um die sogenannte A1- und A2-Milch hält Prof. Watzl für reines Marketing. Denn die wenigen Kurzzeituntersuchungen, die bislang hierzu vorliegen, liefern noch keine wissenschaftliche Grundlage für eine Bewertung.

Quelle und Pressekontakt DLG