Genome Editing, die „Gen-Schere“, revolutioniert die Pflanzenforschung – weltweit. Doch die EU schaut wie gelähmt zu. Seit Jahren schiebt sie die längst überfällige politische Entscheidung vor sich her, ob und wie solche Pflanzen reguliert werden sollen. Es herrscht Rechtsunsicherheit und Europa droht, den Anschluss zu verpassen. Nun haben die Niederlande die Initiative ergriffen.
Am 7. September kamen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten und nationaler Behörden auf Einladung der niederländischen Regierung zu einem informellen Treffen in Brüssel zusammen. Die EU könne nicht länger abwarten, sondern müsse endlich mit der politischen Diskussion über Genome Editing und andere neue Züchtungsverfahren beginnen, so Jan-Karel Kwisthout vom niederländischen Umwelt- und Infrastrukturministerium. Seine Regierung hatte zu dem Treffen eingeladen, um ihren einfachen, pragmatischen Vorschlag vorzustellen und um politische Unterstützung dafür zu werben.
Zu Beginn seiner Ausführungen rief Kwisthout noch einmal in Erinnerung, wie lange sich die EU schon mit diesem Thema beschäftigt, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Bereits 2007 hatte die EU-Kommission eine wissenschaftliche Expertengruppe (Expert Working Group) mit einem Bericht über verschiedene neue Züchtungstechniken beauftragt. Vier Jahre später legte diese die Ergebnisse vor, doch offiziell nahm sie niemand zur Kenntnis.
Doch inzwischen ist das längst überholt. CRSISPR/Cas, jenes bahnbrechende Verfahren, mit dem vergleichsweise einfach und präzise punktuelle Veränderungen einzelner DNA-Bausteine möglich geworden sind, kam in dem Experten-Bericht noch gar nicht vor. Heute ist es in der Pflanzenforschung weltweit Standard. Inzwischen zeichnt sich immer deutlicher ab, welche Möglichkeiten für eine nachhaltige, weniger Ressourcen verbrauchende Landwirtschaft sich mit diesem Verfahren eröffnen.
Im letzten Jahr beschäftigte sich auch der wissenschaftliche Think Tank der EU-Kommission – der Science Advisory Mechanism – mit den neuen Züchtungstechniken. Doch selbst dessen im April 2017 veröffentlichter Bericht konnte die überfällige politische Diskussion nicht in Gang setzen. Nun soll erst der Ausgang eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof abgewartet werden, das auf eine 2016 von zwei Gentechnik-kritischen Organisationen in Frankreich eingereichte Klage zurückgeht. Wie immer das Urteil der Luxemburger EU-Richter auch ausfallen wird: Es geht um eine juristische Auslegung der bestehenden Gesetze – doch die stammen aus einer Zeit, als die klassische Gentechnik gerade neu war und niemand sich so präzise Verfahren wie Genome Editing vorstellen konnte.
Man könne es nicht länger aufschieben, die derzeitigen Gesetze der wissenschaftlichen Entwicklung anzupassen. Das gehe nicht auf juristischem Weg, sondern nur mit politischen Entscheidungen, so die Vertreter der niederländischen Regierung auf dem Meeting in Brüssel. Ihr Vorschlag: Keine große Reform der bestehenden EU-Gentechnik-Rechtsvorschriften und auch keine separaten Vorschriften für jedes einzelne der neuen Verfahren. Stattdessen wollen die Niederländer einheitliche – und überprüfbare – Kriterien, unter denen editierte Pflanzen von der Gentechnik-Regulierung ausgenommen werden können, ohne Abstriche beim hohen Sicherheitsniveau.
Dazu wollen sie den Anhang IB der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC entsprechend ergänzen. Pflanzen sollen dann von den für GVO geltenden Vorschriften – etwa Zulassungs- und Kennzeichnungspflichten, Genehmigung von Freilandversuchen – ausgenommen werden,
- wenn nur genetisches Material derselben Art in die Pflanze eingeführt worden ist, oder es aus einer Art stammt, mit der dies auch mit konventionellen Züchtungsmethoden möglich wäre;
- und wenn rekombinante DNA oder Moleküle, die in die Pflanzenzelle eingeführt wurden, um dort die beabsichtige Veränderung auszulösen, in der fertigen, etwa für die Nutzung als Saatgut bestimmten Pflanze nicht mehr vorhanden sind.
Im Kern sollen künftig gezielte punktuelle Mutationen, wie sie mit Genome Editing herbeigeführt werden können, genauso behandelt werden wie herkömmliche zufallsgesteuerte Mutationen mit Hilfe von ionisierenden Strahlen oder erbgutverändernden Chemikalien. Diese sind wie auch die Zellfusion zwischen verwandten Organismen von Anfang an von der Gentechnik-Regulierung ausgenommen. Alle fünf Jahre, so ein weiterer Vorschlag der Niederländer, soll die Liste dieser Verfahren überprüft und an die wissenschaftliche Entwicklung angepasst werden. (Der niederländische Vorschlag und eine Präsentation dazu: Dokumentation rechts.)
Nun drücken die Niederländer aufs Tempo. Sie werben um Unterstützung durch die Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission soll ihren Vorschlag so schnell wie möglich auf die Tagesordnung der offiziellen Treffen der EU-Institutionen setzen. Auch Interessenvertreter und die Öffentlichkeit sind eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen.