Hunger und Sättigung gekonnt dirigieren

Hunger und Sättigung sind zwei zentrale Regler für die Versorgung mit Energie und Nährstoffen. Darüber steuern wir unsere Nahrungsaufnahme und letztendlich unser Körpergewicht. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind hochkomplex und in Teilen noch unerforscht. Was wir bereits wissen zeugt von einem einzigartigen Netzwerk aus über 50 beteiligten Substanzen. Das Gehirn ist dabei die Schaltzentrale und übersetzt die zahlreichen Eindrücke und Signale in Hunger oder Sättigung.

Ganz so willkürlich wie es klingt, ist es jedoch nicht. Denn wann und wie lange wir nach einer Mahlzeit satt sind und wann wir wieder Hunger oder Appetit verspüren, können wir bewusst navigieren. Wir stellen die möglichen Einflussfaktoren vor.

Schon vor dem ersten Bissen wird der Körper vorbereitet

Wenn wir etwas Leckeres riechen oder sehen, reagiert unser Körper darauf und sendet erste Signale an das Gehirn. Bereits die bloße Vorstellung an eine geliebte Speise kann einem das „Wasser im Mund zusammenlaufen“ lassen und verleitet uns fälschlicherweise zu der Annahme, dass wir hungrig sind. Diese Signale bereiten den Körper darauf vor, dass Energie und Nährstoffe im Anmarsch sind. Das passiert ganz unabhängig vom echten physiologischen Hunger und erklärt, warum wir beim Flanieren durch Einkaufsstraßen und „Fressmeilen“ von so manchen Gelüsten überrollt werden. Es liegt nahe, dass die permanente Verfügbarkeit und das Überangebot an ungesunden Speisen in unserer unmittelbaren Umgebung zur Überernährung und zur Problematik von Übergewicht beitragen.

Unsere Empfehlung: Machen Sie sich bewusst, auf welche Reize Sie in Ihrer Umgebung mit Appetit reagieren. Der leckere Geruch, der schöne Anblick oder die bloße Vorstellung einer geliebten Speise gaukeln uns ein Bedürfnis an Nahrung vor. Um echten Hunger handelt es sich aber nur selten.

Geschmack, Kauen, Schlucken und Co. senden erste Signale ans Gehirn

Der Geschmack vieler Speisen ist in unserem Gehirn mit konkreten Erinnerungen verknüpft. Daraus leitet der Körper die Erwartung ab, dass uns eine Speise auf eine bestimmte Weise sättigt und mit Nährstoffen versorgt. Spielt uns eine Speise mit ihrem Geruch und ihrem Geschmack oder ihrem Anblick aber einen Nährwert nur vor, könnte die erwartete Sättigung ausbleiben und zum Mehrkonsum führen. Auch wenn diese Theorie plausibel klingt, so ist uns die Wissenschaft den Nachweis hier noch schuldig. Nichtsdestotrotz sind natürliche Lebensmittel künstlich hergestellten und hochverarbeiteten Produkten deutlich überlegen.

Das Kauen und Schlucken von Speisen sendet weitere Sättigungssignale an das Gehirn. Der Körper reagiert mit einer gesteigerten Speichel- und Magensaftproduktion. Wir sprechen dann von sogenannten cephalischen Reflexen, die auch die Bauchspeicheldrüse zur Bildung von Insulin anregen können. Studien weisen zudem darauf hin, dass längeres Kauen bei einer Mahlzeit besser sättigt. Denn bewusst nehmen wir Sättigungssignale erst nach etwa 20 Minuten wahr. Auch Ablenkungen während des Essens wie Fernsehen, Telefonieren, Chatten oder Surfen führen zu schnellerem und unbewussterem Essen. Das Ergebnis: wir fühlen uns weniger satt.

Unsere Empfehlung: Essen Sie langsam und bewusst. Auch wenn das nicht immer gelingt, so versuchen Sie, sich regelmäßig Zeit zum Essen zu nehmen. Bevorzugen Sie natürliche Nahrungsmittel mit „echtem“ Nährwert.[/su_service]

Volumen und Gewicht einer Mahlzeit lösen Sensoren in Magen und Darm aus

Während des Essens dehnt sich die Magenwand aus. Das registrieren sogenannte Mechanosensoren und leiten Sättigungsreize ans Gehirn. Umso höher das Volumen einer Mahlzeit ist, umso stärker dehnt sich die Magenwand. Das Ausmaß der Dehnung ist zwar individuell sehr verschieden, kann durch die verzehrten Nahrungsmengen langfristig aber beeinflusst werden. Fakt ist: bei sehr energiereichen, aber kompakten Speisen verspüren wir nicht das gleiche Sättigungsgefühl wie bei voluminösen, aber energieärmeren Mahlzeiten.

Unsere Empfehlung: Bauen Sie ballaststoff- und wasserreiche Lebensmittel in Ihren Speiseplan ein, die für ein ausreichendes Volumen sorgen. Hierzu zählen Gemüse und Hülsenfrüchte, Beerenobst und Zitrusfrüchte sowie Pilze. Wir empfehlen für eine Hauptmahlzeit ein Gewicht von mindestens 500 bis 750 Gramm. Ein großer Teller sollte gut gefüllt sein.

Auch die Konsistenz der Nahrung beeinflusst die Sättigung

Forscher konnten zeigen, dass die Sättigung mit der Geschwindigkeit der Magenentleerung verbunden ist. Umso länger der Speisebrei in Magen und Darm verweilt, umso länger hält die Sättigung an. Flüssige Speisen passieren den Magen-Darm-Trakt ziemlich schnell. Das erklärt zumindest in Ansätzen, warum vor allem Softgetränke trotz des teils hohen Energie- und Zuckergehaltes kaum zu einer Sättigung führen. Nahrung, die erst aufgeschlossen werden muss, verweilt hingegen länger im Verdauungstrakt. Die Verdauung der einzelnen Nährstoffe nimmt dabei unterschiedlich viel Zeit Anspruch. Kohlenhydratreiche Lebensmittel passieren den Magen am schnellsten. Eiweißhaltige Komponenten verweilen etwas länger, während Fette die Magenentleerung am längsten verzögern.

Unsere Empfehlung: Kombinieren Sie flüssige Speisen wie Suppen mit Lebensmitteln mit „Biss“. Meiden Sie vor allem zuckerhaltige, energiereiche Getränke sowie Cremespeisen, die wenig zu Kauen, aber viel Energie enthalten.

Transport und Aufnahme der Nährstoffe setzen beeindruckende Kaskaden in Gang

Sind die einzelnen Nährstoffe erst einmal in ihre Einzelbestandteile wie Glukose, Aminosäuren und Fettsäuren zerlegt, passieren diese die Darmwand. Der auch als Resorption bezeichnete Prozess setzt eine ganze Kaskade von Sättigungsreizen in Gang, die knifflig miteinander verschaltet sind.

Glukose löst beispielsweise die Ausschüttung von Insulin und Amylin aus. Beides resultiert in Sättigungsbotschaften im Gehirn. Glukose stimuliert zudem verschiedene Verdauungshormone wie GLP-1, das ebenfalls sättigend wirkt. Die durch Kohlenhydrate ausgelösten Sättigungsreize scheinen aber dosisabhängig bzw. nur sehr kurzfristig zu sein. Kohlenhydratreiche Mahlzeiten, die den Magen rasch verlassen und in Form von Glukose schnell vom Darm ins Blut aufgenommen werden, führen zu einer hohen und schnellen Insulinausschüttung. Daraufhin sinkt die Glukosemenge im Blut ebenso schnell, was in ein erneutes Hungergefühl mündet.

Die kleinsten Bestandteile der Eiweiße sind Aminosäuren. Diese führen neben der Freisetzung von Insulin auch zur Ausschüttung von Cholecystokinin, einem weiteren sehr potenten Sättigungshormon. Die Aminosäure Leucin ist sogar in der Lage, direkt im Gehirn einen Sättigungsreiz auszulösen. Eiweiße nehmen noch auf eine ganze Reihe weiterer orexigener Substanzen Einfluss. Die sehr vielfältigen Sättigungsmechanismen der Eiweiße führen auch zur Meinung vieler Experten, dass eine eiweißreiche  Mahlzeit am besten sättigt.

Auch Fettsäuren steigern die Ausschüttung von Cholecystokinin und GLP-1. Forscher fanden zudem heraus, dass der menschliche Körper über Sensoren zum Beispiel in der Leber verfügt, die die Verstoffwechselung von Fettsäuren registrieren. Das signalisiert dem Gehirn verfügbare Energie, woraufhin die Nahrungszufuhr reduziert wird.

Unsere Empfehlung: Für eine optimale Sättigung ist ein kluger Nährstoffmix von Vorteil. Bevorzugen Sie komplexe Kohlenhydrate in Form von Gemüse, Hülsenfrüchten, Beerenobst, Pilzen und Nüssen, die nur einen geringen Insulinanstieg verursachen. Kombinieren Sie diese Lebensmittel mit hochwertigen Eiweißen und Fetten aus Muskelfleisch, Fisch und Milchprodukten sowie Pflanzenölen und Butter.

Schlussendlich ist langfristiger Energiebedarf wesentlicher Treiber für Hunger und Sättigung

Während die genannten Mechanismen eher der kurzfristigen Hunger- bzw. Sättigungsregulation zuzuordnen sind, zählen die Substanzen Leptin und Ghrelin zu den mittel- und langfristigen Steuerungsinstrumenten.

Leptin fungiert in erster Linie als Energiesensor. Über die Fettdepots gibt es dem Gehirn Rückmeldung zum Energiestatus. Forscher leiten daraus die Erklärung ab, dass Menschen mit einem sehr geringen Körperfettanteil permanent Hunger verspüren, da es sich hier um einen Überlebensmechanismus handelt. Bei ihnen sind die Leptinspiegel dauerhaft niedrig.

Bei Gesunden ist die Menge an Leptin im Blut meist nur vor der unmittelbaren Nahrungsaufnahme niedrig und steigt während der Mahlzeit an. Daher wird Leptin oft als Sättigungshormon bezeichnet.

Mittlerweile ist auch bekannt, dass bei vielen Übergewichtigen und Adipösen eine sogenannte Leptinresistenz vorliegt, da bei ihnen die Konzentration an Leptin dauerhaft erhöht ist. Das erlösende Sättigungssignal bleibt aber trotz der Aufnahme von Nahrung aus. Die Forschung ist derzeit bemüht, Wege zu finden, die die Empfindlichkeit gegenüber Leptin verbessern und so eine Gewichtsabnahme durch eine bessere Sättigung erleichtern.

Ghrelin hingegen ist eine Art Gegenspieler zum Leptin. Es wird daher auch als Hungerhormon bezeichnet. Fehlt dem Körper Energie und der ist Magen leer, steigt die Konzentration an Ghrelin und signalisiert dem Gehirn Hunger. Somit sind die Spiegel vor dem Essen hoch und sinken während der Nahrungsaufnahme, meist nach 20 bis 30 Minuten, langsam ab. Bereits verschiedene Sinneseindrücke wie der Geruch und der Anblick von Speisen können Ghrelin vermehrt ausschütten und so den Appetit beflügeln.

Bei häufigen Diäten, so vermuten Forscher, führt das andauernde Hungern zu permanent hohen Ghrelin-Spiegeln, weshalb Diäten häufig abgebrochen werden. Die geringe Kalorienzufuhr indes verstärkt das andauernde Hungergefühl.

Unsere Empfehlung: Meiden Sie kurzfristige Diäten mit einer reduzierten Energiezufuhr, sondern stellen Sie Ihre Ernährung langsam, aber dauerhaft um. Nehmen Sie ausreichend Energie zu sich, um den Hormonhaushalt nicht durcheinander zu bringen.

Gewohnheiten lösen oftmals unbewusstes Essverhalten aus

Unser Alltag besteht schätzungsweise zu 45% aus Gewohnheiten. Diese sind immer gleich aufgebaut: ein Auslöser mündet in einer Handlung, die zu einem gewünschten Ergebnis oder einer Belohnung führt. Auch Essgewohnheiten beruhen auf diesen Prinzipien und beeinflussen maßgeblich unsere Nahrungsaufnahme. Wer täglich gegen 13 Uhr zu Mittag isst, wird zu dieser Uhrzeit ein Hungergefühl entwickeln. Wer zu seinem Kaffee immer Schokolade isst, wird Kaffee ohne Schokolade womöglich nicht mögen. Forscher zeigten, dass bestimmte Gewohnheiten das Hungerhormon Ghrelin ansteigen lassen. Zusammen mit dem Überangebot und der permanenten Verfügbarkeit an Nahrung sind Gewohnheiten wohl die größten Konkurrenten einer natürlichen Hunger- und Sättigungsregulation.

Unsere Empfehlung: Das Ändern unerwünschter Essgewohnheiten beansprucht ein eigenes Kapitel für sich und wird daher in einem unserer nächsten Beiträge genauer unter die Lupe genommen.

Kurz gefasst: Weitere Einflüsse

Bei Frauen wird die Hunger- und Sättigungsregulation durch einen weiteren Faktor mitbestimmt: den weiblichen Zyklus. Während Östrogene über die Interaktion mit verschiedenen Botenstoffen die Nahrungsaufnahme hemmen, sorgen Gestagene für das Gegenteil. Beide Hormonfamilien dominieren in unterschiedlichen Zyklusabschnitten und können so das Essverhalten beeinflussen.

Auch Alkohol beeinflusst die Nahrungsaufnahme. Untersuchungen legen nahe, dass die Appetit- und Sättigungsregulation gestört wird und zu unkontrolliertem Essen sowie Heißhungerattacken führt Vermutlich setzen alkoholische Getränke hungerfördernde Hormone und Neurotransmitter frei. Der Körper produziert unter Alkoholeinfluss zudem mehr Magensäure, was durch den Anreiz zur Nahrungsaufnahme kompensiert werden kann.

Bestimmte Medikamente, wie Glukokortikoide, Neuroleptika oder einige Antidepressiva steigern ebenfalls den Appetit. Besonders unter Glukokortikoiden sind starke Gewichtszunahmen innerhalb kurzer Zeit keine Seltenheit. Eher hemmend auf Appetit und Hunger wirken bestimmte Erkrankungen wie zum Beispiel schwere Infektionen und Fieberzustände. Hier beruht die geringere Nahrungsaufnahme vermutlich auf der Freisetzung von sogenannten Zytokinen.

Selbst unsere Darmflora könnte sich in das Vermitteln von Sättigungsreizen einmischen. Forscher fanden heraus, dass das Bakterium Escherichia coli bei ankommender Nahrung in unserem Darm spezielle Eiweiße produziert, die appetitzügelnd wirken [Bre2016]. Diese Erkenntnisse stammen bislang aus Tierstudien. Ob und wie groß der Einfluss bei uns Menschen ist, bleibt abzuwarten.

Schlussendlich beeinflusst Stress unser Essverhalten. So verdirbt dauerhafter negativer Stress manchen Menschen den Appetit, während andere besonders dann zu ungesunden Snacks greifen und zu unkontrolliertem Essen neigen. Ebenso wirkt sich die Stimmung auf Hunger und Appetit aus. Es gilt als sicher, dass das Hungerzentrum im Gehirn im engen Austausch mit dem Belohnungszentrum steht. Wer frustriert ist, könnte zum Ausgleich verstärkt mit Appetit auf Süßes reagieren, um die Laune zu heben [Lei2009].

 

Hinweis: Für unsere Mitglieder stehen zu diesem Thema praktische Beratungskarten zum Download bereit. Anhand dieser können Sie Ihren Klienten und Patienten das Thema Hunger und Sättigung einfach erklären und praktische Tipps geben.

Redaktion

Dipl.troph. Irina Baumbach

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Quelle

FET e.V. – Hunger und Sättigung gekonnt dirigieren