Ist weniger mehr? Dissertation untersucht Regulierung von Antibiotika für Nutztiere

Masttiere wie Puten, Hühnchen, Schweine oder Rinder bekommen in ihrem kurzen Leben mitunter viele Antibiotika, um nicht krank zu werden. Unerwünschte Nebenwirkungen eingeschlossen: Bakterien werden resistenter, Medikamente unwirksamer, Therapien erfolgloser. Deshalb wird der Einsatz von Antibiotika staatlich minimiert. Wie wirksam das ist und welche Konsequenzen das hat, fragte Politikwissenschaftlerin Carolin Höhlein in ihrer Dissertation an der Universität Duisburg-Essen (UDE).

2011 wurden in Deutschland insgesamt 1.706 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben. Ein Vielfaches mehr als zeitgleich in der Humanmedizin eingesetzt wurde. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Auf eine emotionale öffentliche Debatte folgte ein neues Minimierungskonzept. „Orientierung gaben dabei Erfahrungen aus Dänemark und den Niederlanden. Beide Länder sind bei der Reduzierung von Antibiotika in der Tiermast besonders erfolgreich“, erklärt Carolin Höhlein.

Die Politikwissenschaftlerin verglich erstmals die Maßnahmen der drei Länder systematisch miteinander und sprach mit Experten vor Ort. 30 Interviews mit Veterinären, Vertretern von Pharmaunternehmen, politischen Akteuren und auf ministerieller Ebene flossen so neben zahlreichen Studien in die Arbeit ein. Höhleins Fazit: „Die Minimierungskonzepte sind erfolgreich. Es ist gelungen, den Antibiotikaeinsatz in Deutschland und den Niederlanden rapide zu senken und in Dänemark vergleichsweise niedrig zu halten.“

Antibiotikaeinsatz sank um mehr als die Hälfte

Tatsächlich ist die Ausgabemenge der Antibiotika in Deutschland von 2011 bis 2016 um 56,5 Prozent auf 742 Tonnen gesunken. Das niederländische Minimierungskonzept ist genauso erfolgreich. „Dabei waren die Niederlande 2007 europaweit noch das Land mit den höchsten Antibiotikaeinsatzraten in der Tiermedizin“, erklärt Höhlein. „In der Humanmedizin sah das ganz anders aus. Da galten und gelten die Niederlande als sehr vorbildlich.“ Dänemark wiederum war das erste europäische Land, das bereits vor 20 Jahren Maßnahmen entwickelte, die zu niedrigen Einsatzraten bei Nutztieren führten.

Was machen die drei Länder konkret? Die Vorgehensweisen ähneln sich: Nur ein Tierarzt kann nach der Untersuchung und Behandlung der Tiere Antibiotika verschreiben. Es gibt Monitoringprogramme, die die Entwicklung der Resistenzen und die Veränderungen der Abgabemengen beobachten. „Für die Minimierungskonzepte sind die Benchmarkingsysteme für die jeweiligen Betriebe entscheidend“, erklärt Höhlein. „Dieser Ansatz wurde erstmals in Dänemark für die Schweinehaltung verfolgt. Pro Betrieb werden die Einsatzraten erfasst, so dass ähnliche Betriebe und Tiergruppen miteinander verglichen werden können und die intensivsten Nutzer schnell zu erkennen sind.“ So werden dänische Betriebe, die ein bestimmtes Einsatzlevel überschreiten, mit einer gelben Karte vorgewarnt. Wenn die Einsatzraten nicht absinken, kann es sogar bis zur Schließung kommen.

Gefahr: Tiere werden zu wenig oder gar nicht mehr behandelt

Die Vergleichsmethode ist erfolgreich, hat aber auch Schwachstellen: Die Erfassung ist aufwendig. Die Tierhalter stehen unter Druck, Verbesserungen nachzuweisen. „Dabei besteht die Gefahr, dass verkürzt oder gar nicht behandelt wird – zulasten der Tiere und der Entwicklung weiterer Resistenzen“, befürchtet Höhlein. Zudem gibt es keine Garantie, dass alle Angaben korrekt sind.

„Um dauerhaft weniger Antibiotika einzusetzen, muss die Tiergesundheit bei Regulierung des Antibiotikaeinsatzes stärker als bisher mit berücksichtigt werden“, resümiert Höhlein. „Ein Interviewpartner brachte es auf den Punkt, in dem er mir sagte, dass der Fokus auf die Gesundheit der Tiere gelegt werden sollte und nicht auf die Kontrolle von Krankheiten.“

Nach ihrer Promotion an der NRW School of Governance und am Lehrstuhl für Politik- und Verwaltungswissenschaft der UDE arbeitet Carolin Höhlein inzwischen für eine international tätige Strategieberatung. Ihre Untersuchung wurde unter dem Titel „Staatliche Steuerung des veterinärmedizinischen Antibiotikaeinsatzes“ im Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften veröffentlicht.

Weitere Informationen:
Carolin Höhlein, carolin.hoehlein@gmail.com

Redaktion: Cathrin Becker, Tel. 0203/379-1488

Quelle: Cathrin Becker Ressort Presse – Stabsstelle des Rektorats
Universität Duisburg-Essen