Lebensmittelkennzeichnung: foodwatch-Analyse zeigt jahrelanges Politikversagen

Nährwerte, Herkunftsangaben oder Mini-Schrift: Kennzeichnungsvorgaben sind unzureichend.

In Frankreich sollen Lebensmittelhersteller seit diesem Monat ihre Produkte mit einer neuen Nährwert-Ampel kennzeichnen – die Bundesregierung hingegen wehrt sich seit Jahren gegen eine verständliche Angabe von Zucker, Fett oder Salz in Ampelfarben, wie foodwatch am Mittwoch kritisiert hat. Die Verbraucherorganisation stellte in Berlin eine Analyse zur Verbraucherpolitik vor, die anhand konkreter Beispiele zeigt: Die gesetzlichen Vorgaben zur Lebensmittelkennzeichnung in Deutschland und der EU sind aus Verbrauchersicht noch immer unzureichend. Wichtige Informationen fehlen auf Lebensmittelpackungen, andere sind irreführend oder unleserlich. Verbraucherinnen und Verbraucher würden deshalb regelmäßig durch Werbeaussagen und Produktverpackungen getäuscht, so die Kritik von foodwatch.

„Bei der Lebensmittelkennzeichnung versagt die Politik seit Jahren. Die geltenden Kennzeichnungsregeln machen es Verbraucherinnen und Verbrauchern schwer, im Supermarkt durchzublicken – und ermöglichen es den Herstellern ganz legal zu tricksen und zu täuschen“, sagte Sophie Unger von foodwatch. „Babyprodukte, die sich im Kleingedruckten als Zuckerbomben entlarven, fehlende Informationen zur Herkunft der Zutaten oder unlesbare Angaben in Mini-Schrift: Schlechte Gesetze machen den legalen Etikettenschwindel erst möglich. Die Hersteller können tricksen und täuschen, ohne dabei gegen Gesetze zu verstoßen.“

Fünf besonders dreiste Fälle von Verbrauchertäuschung hat foodwatch aktuell wieder für den Goldenen Windbeutel nominiert. Mit der Online-Wahl zur Werbelüge des Jahres auf www.goldener-windbeutel.de will foodwatch auf das Problem des legalen Etikettenschwindels aufmerksam machen und bessere gesetzliche Regelungen zur Lebensmittelkennzeichnung erreichen.

In einer Analyse zur Verbraucherpolitik in Sachen Lebensmittelkennzeichnung zeigt foodwatch, dass es zwar in den vergangenen Jahren auf europäischer und nationaler Ebene immer wieder Initiativen gab, Lebensmittel verbraucherfreundlicher zu gestalten. Die Ergebnisse sind allerdings äußerst dürftig. Drei Beispiele aus der foodwatch-Analyse:

Beispiel: Komplizierte Nährwertkennzeichnung

Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist es im Supermarkt kaum möglich, auf den ersten Blick den Zucker- oder Fettgehalt von Produkten zu vergleichen. In Frankreich hat die Regierung jetzt das „5C/Nutri-Score“-Modell eingeführt: Mithilfe einer fünfstufigen Farbskala macht es die Nährstoffzusammensetzung von Lebensmitteln auf der Packungsvorderseite schnell vergleichbar. Seit 1. November sollen Hersteller in Frankreich die Kennzeichnung verwenden – allerdings nur freiwillig.

Eine verpflichtende Ampelkennzeichnung war auf europäischer Ebene  im Jahr 2010 gescheitert – auch am massiven Widerstand der Lebensmittelobby. Eine verbindliche Ampel auf nationaler Ebene ist seitdem nicht möglich. Stattdessen müssen die Nährwerte lediglich im Kleingedruckten auf der Rückseite angegeben werden.

Eine Kennzeichnung auf der Vorderseite ist freiwillig und beruht auf einem von der Lebensmittelwirtschaft selbst erfundenen Modell: Auf der Packungsvorderseite könnten Hersteller so die Nährwerte mit unrealistisch kleinen Portionsangaben kleinrechnen, kritisierte foodwatch. Die Bundesregierung habe sich auf EU-Ebene stets gegen eine Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben ausgesprochen und auch das französische Projekt torpediert, so foodwatch.

Beispiel: Pflichtangaben in Mini-Schriftgröße

Die Angaben auf Lebensmittelverpackungen sind für viele Menschen kaum zu entziffern. Wichtige Informationen wie Zutatenlisten und Nährwerte stehen nur schwer lesbar im Kleingedruckten, zum Teil wird die Lesbarkeit auch durch mangende Kontraste und geringe Zeilenabstände erschwert.

Die EU-Kommission hatte ursprünglich in einem Gesetzentwurf eine Mindestschriftgröße von 3 Millimetern für Pflichtangaben vorgesehen, ohne konkrete Angabe auf welchen Buchstaben sich dies bezieht. Die Lebensmittelwirtschaft wehrte sich gegen dieses Vorhaben: Es bliebe dann „kein ausreichender Raum für den Markenauftritt“, zudem müssten die Produktverpackungen größer werden, was unnötigen Verpackungsmüll produziere.

In der 2014 in Kraft getretenen „EU-Lebensmittelinformationsverordnung“ ist jetzt für Pflichtangaben eine Mini-Schrift von gerade einmal 1,2 Millimetern vorgesehen, bei kleinen Verpackungen sogar von nur 0,9 Millimetern (bezogen auf das kleine „x“).

Beispiel: Fehlende Herkunftskennzeichnung

Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren bei verarbeiteten Lebensmitteln meist nichts über die Herkunft der Zutaten. Das Europäische Parlament hatte in der Debatte um die EU-Lebensmittelinformationsverordnung eine Pflicht zur Herkunftskennzeichnung zumindest für Milch, Milchprodukte sowie für verarbeitetes Fleisch gefordert. Der Spitzen-Lobbyverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft (BLL) hatte den Vorschlag als zu weitgehend „gerügt“. Mit Erfolg: Weiterhin muss für die allermeisten verarbeiteten Produkte das Herkunftsland der verwendeten Zutaten nicht angegeben werden.

In Ermangelung einer EU-weiten Regelung ist Frankreich als erster Mitgliedsstaat auf nationaler Ebene aktiv geworden: Seit Anfang 2017 gilt dort zumindest für viele in Frankreich hergestellte Produkte wie Milch, Milchprodukte oder verarbeitetes Fleisch eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung. Italien führte daraufhin eine ähnliche Regelung ein; auch Spanien, Griechenland und Finnland haben eine Herkunftskennzeichnung für Milch und Milchprodukte beschlossen. In Deutschland hingegen sind keine Bestrebungen bekannt, rechtlich verpflichtende Herkunftskennzeichnungen zu beschließen. Die Bundesregierung setzt auf das rein freiwillige Siegel namens „Regionalfenster“.

Weitere Beispiele zu mangelnden Kennzeichnungsregeln – von geschönten Abbildungen auf der Packung über irreführende Produktbezeichnungen bis zu versteckten Tierbestandteilen – hat foodwatch in der Analyse „Lebensmittelkennzeichnung und Etikettenschwindel: Zehn Jahre Politik-Versagen auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher“ zusammengestellt.

Die Wahl zur dreistesten Werbelüge des Jahres läuft noch bis zum 26. November auf www.goldener-windbeutel.de. Dem Hersteller mit den meisten Stimmen will foodwatch dann den Negativpreis am Firmensitz überreichen.

foodwatch-Analyse: Zehn Jahre Politikversagen bei der Lebensmittelkennzeichnung (PDF, 130 KB)

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