Berlin und Brandenburg „fördern“ Kinder mit elf Millionen Zuckerwürfeln

foodwatch kritisiert „Lex Zucker“ und fordert Stopp für staatliche Übergewichtsförderung über Schulmilchprogramm.

Mehr als elf Millionen Zuckerwürfel jährlich verteilen Berlin und Brandenburg in ihrem gemeinsamen Schulmilchprogramm an die Kinder der beiden Bundesländer. Das ist das Ergebnis von Recherchen der Verbraucherorganisation foodwatch. Demnach erhalten Kinder an Kindergärten und vor allem Schulen der beiden Länder pro Jahr auf Staatskosten gut 33 Tonnen Zuckerzusatz über subventionierte Milchmischgetränke, obwohl beide Landesregierungen die Förderung gesunder Ernährung zum politischen Ziel erklären.

Neben Berlin und Brandenburg hält nur noch NRW an einer eigens geschaffenen Ausnahmeregelung fest, um im Rahmen des EU-Schulprogrammes die Abgabe gezuckerter Milchgetränke an Kinder zu fördern. Die EU sieht eigentlich nur die Subvention ungezuckerter Milch vor.

Noch im Juni 2018 hatte der für das Schulmilchprogramm verantwortliche Berliner Verbrauchersenator Dirk Behrendt der Bundesregierung Versagen bei der Zuckerreduktion vorgeworfen – zugleich verantwortet er die Ausnahmeregelung, über die entgegen der Zielsetzung des EU-Programms weiterhin die Abgabe Zucker an Schulen gefördert wird.

In Brandenburg untergräbt die Landesregierung mit einer entsprechenden „Lex Zucker“ ihre eigene „Qualitätsoffensive Schulverpflegung“, mit der „allen Kindern und Jugendlichen in Brandenburg der Zugang zu einer gesunden Ernährung ermöglicht werden“ soll. Die Förderung gezuckerter Milchgetränke widerspricht zudem den offiziellen, von der Bundesregierung initiierten Qualitätsstandards für Schulverpflegung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE).

foodwatch forderte den Berliner Verbrauchersenator Dirk Behrendt und den Brandenburgischen Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger auf, ihr Schulmilchprogramm umgehend zu korrigieren und Zuckerzusätze auszuschließen. Eine entsprechende Petition unter www.aktion-schulmilch.foodwatch.de haben bereits mehr als 20.000 Menschen unterschrieben.

„Alle reden von gesunder Ernährung und Zuckerreduktion – Berlin und Brandenburg aber schaffen eigens Ausnahmeregelungen, damit Landliebe & Co. Extra-Zucker an die Schulen bringen dürfen. Mit diesem Übergewichtsförderungsprogramm auf Steuerzahlerkosten muss endlich Schluss sein“, kritisierte foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.

Nach öffentlicher Kritik hatte in der vergangenen Woche bereits Hessen angekündigt, die Ausnahmeregelung für die Förderung gezuckerten Kakaos zu beenden. Nordrhein-Westfalen will sein Programm überprüfen. In den 12 anderen Bundesländern war die Förderung von Zuckermilch bereits zuvor ausgeschlossen.

Als jüngste Zahlen für Berlin und Brandenburg hatte das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung in Brandenburg (LELF) angegeben, dass Schuljahr 2016/17 insgesamt 837.668 Kilogramm Milchmischgetränke an Schulen und Kitas ausgeliefert wurden. Auf dieser Grundlage errechnete foodwatch die Angaben von etwa elf Millionen Zuckerwürfeln bzw. 33 Tonnen Zucker – wobei es sich allein um den zusätzlich zum natürlichen Milchzucker zugesetzten Zucker in Kakao, Vanille- oder Erdbeermilch handelt. Dabei ging foodwatch von der konservativen Annahme aus, dass die Produkte im Schnitt vier Prozent zugesetzten Zucker enthalten.

In einem Schriftwechsel mit foodwatch hatte das Brandenburger LELF erklärt, dass bei „Ausschluss der Milchmischgetränke“ von der EU-Förderung „noch weniger Schulmilchprodukte nachgefragt“ würden. Zudem würden „alternativ wohl eher andere Produkte, mit höherem Zuckergehalt als Milchmischgetränke“ gewählt.

Das LELF verwies auf eine Studie, wonach Kakao ein Beitrag zur gesunden Ernährung leiste. Als Beleg nannte die Behörde einen PR-Newsletter des „Informationsbüro Schulmilch“ mit zahlreichen Verweisen auf das „Netzwerk Schulmilch“ – hinter beiden Initiativen steht die Landliebe Molkereiprodukte GmbH, ein Tochterunternehmen von FrieslandCampina. FrieslandCampina tritt in den Berlin, Brandenburg und NRW als Schulmilchlieferant auf.

In Deutschland gelten 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen als übergewichtig – ein wesentlicher Grund dafür ist eine unausgewogene Ernährung. Besonders der zu hohe Konsum gezuckerter Lebensmittel wird von Ernährungswissenschaftlern, der Ärzteschaft und der Weltgesundheitsorganisation gleichermaßen bemängelt.

Zu Beginn des Schuljahres 2017/2018 hat die EU ihr Förderprogramm für das Schul- und Kitaessen überarbeitet. Im Rahmen dieses Programms fördert die EU die vergünstigte oder kostenlose Abgabe von Obst, Gemüse und Milchprodukten in Schulen und vorschulischen Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten. Die in Deutschland zuständigen Bundesländer können die Mittel dafür bei der EU beantragen, wovon die meisten auch Gebrauch machen.

Seit der Reform dürfen die subventionierten Lebensmittel keine Zusätze von Zucker, Salz, Fett oder Süßungsmitteln enthalten. In der Begründung für diese Änderungen verweist die EU ausdrücklich auf die Zunahme der Zahl fettleibiger Kinder. Allerdings lässt die EU-Verordnung es zu, dass Mitgliedstaaten Ausnahmen von dieser Regelung schaffen.

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Quelle: foodwatch