Neuer Marker gibt Einblicke in die Entstehung des Typ-2-Diabetes

Kleine – wahrscheinlich von Lebensstilfaktoren beeinflussbare – chemische Änderungen der DNA-Bausteine können die Menge von IGFBP2 vermindern. Ein DIfE/DZD-Forschungsteam hat nun im Fachjournal Diabetes publiziert, dass diese sogenannten epigenetischen Veränderungen das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen. Menschen mit hohen Konzentrationen des Bindungsproteins IGFBP2 im Blut erkranken zudem seltener an dieser Stoffwechselerkrankung. Die Veränderungen im Blut sind bereits einige Jahre vor Beginn der Krankheit nachweisbar.

Laut dem „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2018“ leiden mehr als 5,7 Millionen Deutsche an Typ-2-Diabetes. Betroffene reagieren unzureichend auf das Hormon Insulin, was zu erhöhten Blutzuckerwerten führt. In Folge kann es zu Schlaganfällen, Herzinfarkten, Netzhautschäden, Nierenschädigungen und Nervenstörungen kommen.

Da sich die Stoffwechselkrankheit schleichend entwickelt, bestehen zum Zeitpunkt der Diagnose meist erste Schäden. „Unsere Ergebnisse könnten künftig dazu beitragen, Risikopotentiale für Typ-2-Diabetes noch früher zu erkennen und der Krankheit präventiv entgegenzuwirken“, sagt Professorin Annette Schürmann, Leiterin der Abteilung Experimentelle Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und Sprecherin des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).

Molekularen Mechanismen auf der Spur Neben Insulin ist auch der Insulin-ähnliche Wachstumsfaktor 1, kurz IGF-1 (Insulin-like growth factor 1), am Zucker- und Fettstoffwechsel beteiligt. Die Wirkung dieses Wachstumsfaktors wird durch die Bindung an das IGF-bindende Protein 2 (IGFBP2) geschwächt. Gibt die Leber zu wenig IGFBP2 ins Blut ab, kann das Gleichgewicht des Zucker- und Fettstoffwechsels gestört werden. Das Forschungsteam um Schürmann und Professor Matthias Schulze, der Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE ist, ging deshalb der Frage nach, wie die verminderte Wirkung des IGFBP2-Gens die Entwicklung von Typ-2-Diabetes beeinflussen könnte.

Humanstudien zeigen, dass Menschen, die an einer Fettleber leiden, weniger IGFBP2 produzieren und freisetzen. Ähnliche Effekte beobachtete das Team von Schürmann in früheren Mausversuchen, die zeigten, dass die IGFBP2-Spiegel bereits vor der Lebererkrankung vermindert sind. Ursächlich dafür ist die Übertragung von Methylgruppen an bestimmten Stellen der IGFBP2-DNA-Sequenz, die das Gen in der Leber hemmten. Diese so genannten epigenetischen Veränderungen kommen unter anderem durch den Lebenswandel zustande. Auch in Blutzellen übergewichtiger Menschen mit einer gestörten Glucosetoleranz wurden derartige Modifikationen der DNA im IGFBP2-Gen zuvor nachgewiesen.

Von Mäusen und Menschen

Das interdisziplinäre Forschungsteam um Schürmann und Schulze nutzte Erkenntnisse aus Klinik und Labor für die Auswertung von Blutproben und Daten aus der Potsdamer EPIC-Studie. „Diese Arbeit zeigt sehr schön, wie translationale Forschung funktioniert: Ein Befund aus der Klinik wird aufgegriffen, im Labor mechanistisch analysiert und schließlich in einer bevölkerungsweiten Studie untersucht“, sagt Schürmann.

Die aktuellen Analysen der Forscher weisen darauf hin, dass die Hemmung des IGFBP2-Gens Typ-2-Diabetes begünstigt. Zudem beobachtete das Wissenschaftlerteam, dass schlankere Studienteilnehmer und Studienteilnehmer mit geringeren Leberfettanteilen höhere Konzentrationen des schützenden Bindungsproteins im Blut haben. Höhere Plasmakonzentrationen von IGFBP2 waren mit einem geringeren Risiko verbunden, in den Folgejahren an Typ-2 Diabetes zu erkranken. „Mit unserer Studie erhärtet sich die Annahme, dass der IGF-1-Signalweg auch beim Menschen eine wichtige Rolle für die Entstehung von Typ-2-Diabetes spielt“, ergänzt Dr. Clemens Wittenbecher, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE und Erstautor der Studie.

Literatur

Original-Publikation
Wittenbecher C, Ouni M, Kuxhaus O, Jähnert, M, Gottmann P, Teichmann, A, Meidtner, K, Kriebel, J, Grallert, H, Pischon, T, Boeing, H, Schulze, MB, Schürmann, A. Insulin-like growth factor binding protein 2 (IGFBP-2) and the risk of developing type 2 diabetes. Diabetes 2018
https://doi.org/10.2337/db18-0620

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https://doi.org/10.1093/hmg/ddw121

Baumeier C, Saussenthaler S, Kammel A, Jähnert M, Schlüter L, Hesse D, Canouil M, Lobbens S, Caiazzo R, Raverdy V, Pattou F, Nilsson E, Pihlajamäki J, Ling C, Froguel P, Schürmann A, Schwenk RW. Hepatic DPP4 DNA Methylation Associates With Fatty Liver. Diabetes 2017 (
https://doi.org/10.2337/db15-1716

Schwenk RW, Jonas W, Ernst SB, Kammel A, Jähnert M, Schürmann A. Diet-dependent alterations of hepatic Scd1 expression are accompanied by differences in promoter methylation. Hormone and Metabolic Research 2013 https://doi.org/10.1055/s-0033-1348263

Hintergrundinformationen

Epigenetik

Die Epigenetik ist ein relativ junges Forschungsgebiet. Es untersucht veränderte Gen-Funktionen, die nicht auf eine Änderung der DNA-Sequenz zurückzuführen sind, aber dennoch vererbt werden können. Studien der letzten Zeit weisen verstärkt darauf hin, dass auch die Ernährung als Umweltfaktor den Aktivitätszustand von Genen nachhaltig beeinflussen kann, z.B. durch chemische (epigenetische) Veränderungen der DNA-Bausteine.

Hierzu zählen auch Methylierungen. Diese entstehen, wenn Methylgruppen an die DNA binden. Diese kann die Aktivierung der Gene entweder erschweren oder erleichtern. Die direkte Methylierung der DNA verändert dann dauerhaft die Genexpression, wenn sie in Steuerbereichen von Genen erfolgt (sogenannten CpG-Inseln), die durch die Modifikation der Histone zugänglich gemacht wurden.

EPIC-Potsdam-Studie

Die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Potsdam-Studie ist eine prospektive Kohortenstudie. Zwischen 1994 und 1998 wurden 27.548 Frauen und Männer zwischen 35 und 65 Jahren rekrutiert. Sie haben Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten, ihrem Lebensstil sowie ihrem gesundheitlichen Status ausgefüllt.

Diese Befragung wurde ca. alle 3 Jahre wiederholt. Die EPIC-Potsdam-Studie ist Teil einer der größten Langzeitstudien weltweit mit insgesamt ca. 521.000 Studienteilnehmern aus zehn europäischen Ländern. Ziel ist, den Einfluss der Ernährung auf die Entstehung von Krebs und anderen chronischen Erkrankungen zu erforschen.

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Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).

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Quelle: DIfE