Grüne Woche 2019: 11. Global Forum for Food and Agriculture

Foto: Messe Berlin GmbH, Volkmar Otto

Intelligente Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft.

In den vergangenen 50 Jahren hat sich die globale Nahrungsmittelproduktion verdreifacht. Dennoch leiden noch immer mehr als 821 Millionen Menschen an Hunger und über 2,5 Milliarden sind mangelernährt. Die Weltbevölkerung steigt weiter und benötigt immer mehr Ressourcen wie Wasser, Land und Energie. Lösungen müssen also her, die es der Landwirtschaft ermöglichen, ihre Erträge zu steigern und zugleich ressourcen- und umweltschonender zu wirtschaften.

Die Digitalisierung bietet hier großes Potenzial. Doch wie kann erreicht werden, dass alle Landwirte Zugang zu diesen Technologien erhalten und sie nutzen können? Und wie können dabei Datensicherheit und Datenhoheit gewährleistet werden? Dies waren zwei der zentralen Fragen, die auf dem 11. Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) diskutiert wurden.

Über 2.000 Vertreter aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft nutzten die 14 Fachpodien und zwei High Level Panels zum Erfahrungsaustausch. Erstmals hatten zudem aufstrebende Start-ups im Rahmen des GFFA die Möglichkeit, in einem Zukunftsforum über ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen zu informieren, und Wissenschaftler aus verschiedenen Forschungseinrichtungen stellten ihre Arbeit zu digitalen Lösungen in einem „Science Slam“ vor.

EU-Agrarkommissar Phil Hogan beklagte auf dem High Level Panel der Europäischen Kommission die digitale Kluft in Europa: Noch immer seien viele ländliche Gebiete nicht ausreichend mit Breitbandtechnologie versorgt. „Dies ist nicht nur eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch für die Wirtschaftskraft der Regionen“, so Hogan. Die EU-Mitgliedstaaten sollten die Digitalisierung nicht nur in ihre Politikplanung aufnehmen, sondern vor allem sicherstellen, dass die Programme und Technologien auch tatsächlich um- und eingesetzt werden.

Agrarministerin Julia Klöckner, die das GFFA in Anspielung auf das Weltwirtschaftsforum als das „Davos der Landwirtschaft“ bezeichnete, hat hierzu eine klare Vorstellung: „Ich möchte mein Ministerium zum digitalen Referenzministerium für die Bundesregierung machen.“ 15 Millionen Euro will die Ministerin hierfür zwischen 2019 und 2022 jährlich zur Verfügung stellen. Damit sollen auf landwirtschaftlichen Betrieben deutschlandweit digitale Testfelder eingerichtet werden, auf denen ermittelt wird, welchen Beitrag die Digitalisierung konkret leisten kann – zum Umwelt- und Ressourcenschutz, zum Tierwohl, aber auch zur Arbeitserleichterung und zum Verbraucherschutz.

Beispiele hierfür hatte ihr Amtskollege aus Australien, Landwirtschaftsminister David Littleproud, parat. Vier Bundesstaaten des dürregeplagten Kontinents nutzen gemeinsam Satellitentechnologie, um den Beweidungsdruck durch Schafe zu messen. Die Tiere sind dafür mit einem Transponder ausgestattet, mit dessen Hilfe ihr Standort ermittelt wird. Die Fleischgüte von Schlachttieren wird über einen Scanner bestimmt, was eine neutrale Qualitätsbewertung erlaubt und Konflikte zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern vermeiden hilft. „Wir investieren massiv in die Digitalisierung der Landwirtschaft. Und das zeigt Früchte: Zum ersten Mal in meinem Leben ist Landwirtschaft wieder sexy, kommen junge Leute in den ländlichen Raum zurück“, so Littleproud.

Dass junge Menschen fit für die digitale Revolution gemacht werden müssen, unterstützt auch die EU-Kandidatin für den Posten der Generaldirektorin der Welternährungsorganisation (FAO), Catherine Geslain-Lanéelle. Allerdings dürfe dabei niemand zurückgelassen werden. „Wir haben es in weiten Teilen der Welt mit einer alternden Gesellschaft zu tun und müssen sicherstellen, dass auch ältere Landwirte Zugang zu den neuen Technologien haben“, forderte die ehemalige Leiterin der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Der amtierende FAO-Generaldirektor José Graziano da Silva betonte auf dem High Level Panel seiner Organisation die Chancen der Digitalisierung für Kleinbauern. Diese stellen rund 90 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe weltweit und stehen für rund 56 Prozent der Nahrungsmittelproduktion. Für viele Kleinbauern sei es aber nahezu unmöglich, ihre Produkte zu verkaufen, da sie keinen Zugang zu den Märkten haben. Im Internet sieht Graziano da Silva eine Schlüsseltechnologie. „Wenn die Landwirte über das Netz verbunden sind, können sie auch mit kleinen Mengen am Markt auftreten und so ihre wirtschaftliche Situation verbessern“, ist der FAO-Generaldirektor überzeugt.

Dies bestätigte auch Chinas Vizeminister für Landwirtschaft und ländliche Räume, Qu Dongyu. Bis 2020 sollen Hunger und absolute Armut in China der Vergangenheit angehören. Seine Regierung fördert die Verbreitung von Mobiltelefonen und schnellem Internet auf dem Land und will vor allem den boomenden Online-Handel weiter vorantreiben. Um junge Landwirte mit potenziellen Verbrauchern in den Städten zu verbinden, können sie sich auf eigens organisierten Messen über entsprechende Apps informieren. „Ich wohne in Peking und kann die hausgemachten Produkte meiner Mutter bestellen“, freut sich der Vizeminister.

Bei allen Chancen der Digitalisierung dürfe man nicht deren Risiken unterschätzen, mahnte die Staatssekretärin für Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in der Senatsverwaltung Berlin, Margit Gottstein. „Wer über Datenmacht verfügt, nimmt entscheidenden Einfluss auf die Wertschöpfungsketten.“ Die sozialen Medien hätten es vorgemacht: Nur wenige Plattformen zur Datengenerierung und zum Datenaustausch haben sich flächendeckend durchgesetzt. Eine ähnliche Entwicklung könnte die Landwirtschaft durchlaufen. Gottstein warnte vor einer weiteren Machtkonzentration, beispielsweise bei Saatgutherstellern oder in der Landtechnik.

Die Gefahr sieht auch der Staatssekretär der argentinischen Regierung für Agro-Industrie, Luis Miguel Etchevehere. In dem Land, das sechsmal so groß wie Deutschland ist, werden jährlich 34 Millionen Hektar Ackerfläche bepflanzt. „Intelligente“ Maschinen sorgen dafür, dass die Landwirte schon bei der Ernte wissen, was sie im nächsten Jahr an Saatgut benötigen. Doch was passiert mit all den gesammelten Informationen? „Wir werden im März eine Online-Plattform einführen, über die wir Unternehmen unter anderem befragen, welche Daten sie mit ihren Maschinen erheben und wie sie diese nutzen“, sagte Etchevehere. Firmen, die sich beteiligen und hier freiwillig für Transparenz sorgen, sollen durch ein Gütesiegel belohnt werden.

„Wir haben schon immer gesagt, dass die Daten nicht dem Unternehmen gehören, sondern dem Farmer, und dass sie nur für den Zweck genutzt werden dürfen, für den sie erhoben wurden“, sagte das Vorstandsmitglied der Bayer AG, Liam Condon. Der Leiter der Abteilung „Crop Science“ versicherte, dass die von seinem Unternehmen gesammelten Daten nicht für die Erstellung von Algorithmen genutzt werden und auch nicht an Dritte weitergegeben werden.

Landwirt Andreas Dörr, der auf seinem 1.000-Hektar-Betrieb in der Rhön schon seit 1998 auf digitale Lösungen setzt, sieht das pragmatisch: „Bei sensiblen Betriebsdaten, beispielsweise Pachtverträgen, ist mir Datensicherheit sehr wichtig. Wenn es aber um vernetzte Maschinendaten geht und ich über meine App beispielsweise die Algorithmen zur Unkrauterkennung verbessern kann oder der Landtechnikhersteller die Daten nutzt, um die Maschinen zu verbessern, habe ich kein Problem damit.“

Den politischen Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung bildete traditionsgemäß die 11. Berliner Agrarministerkonferenz. Zum ersten Mal in der Geschichte des GFFA sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Landwirtschaftsministerinnen und -ministern aus 74 Staaten sowie Vertretern zahlreicher internationaler Organisationen. Die Kanzlerin legte dabei das Augenmerk auf die Chancen der Digitalisierung – für die Bekämpfung des weltweiten Hungers, aber auch, um mit einer nachhaltigen Landwirtschaft die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens umzusetzen.

Der digitale Wandel bedeute für viele Länder allerdings einen riesigen Sprung, der mit enormen kulturellen Veränderungsprozessen verbunden sei, so Merkel. „Damit der Mensch im Zentrum der Dinge bleibt, brauchen wir Regulierung, einen Rahmen, der Rechtssicherheit bringt“, forderte die Kanzlerin. Solch ein Rahmen müsse international abgestimmt werden.

Die anwesenden Regierungsvertreterinnen und -vertreter verpflichten sich in ihrem Abschlusskommuniqué, nach Lösungen zu suchen, um die bestehende digitale Kluft zu verringern und den Zugang zu digitalen Technologien in der Landwirtschaft weltweit zu verbessern. Hierfür soll die FAO das Konzept für einen unabhängigen internationalen Digitalrat ausarbeiten. Dieser soll die Länder in Fragen der Digitalisierung beraten und den Austausch von Ideen und Erfahrungen vorantreiben.

Zudem soll die UN-Organisation in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren eine Technikfolgenabschätzung zu den Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume erarbeiten. Und sie soll eine Methodik entwickeln, um den Digitalisierungsgrad in den einzelnen Ländern und Regionen der Erde zu ermitteln. Diese „Digital-Diagnose“ soll zeigen, wie weit sie jeweils in der Digitalisierung sind, um im Anschluss passgenaue Lösungen für jede Region zu finden.

„Die Entscheidung zur Einrichtung eines internationalen Digitalrates ist ein Durchbruch!“, sagte Agrarministerin Klöckner zum Abschluss der Konferenz und versprach, die begonnenen Diskussionen auf dem GFFA 2020 fortzusetzen.

Das Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) wird seit 2009 im Rahmen der Internationalen Grünen Woche Berlin veranstaltet. Auf der hochkarätigen Konferenz treffen sich Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt für drei Tage in Berlin, um über zentrale Zukunftsfragen der globalen Landwirtschaft und Welternährung zu diskutieren. In diesem Jahr stand die Konferenz unter dem Motto „Landwirtschaft digital – Intelligente Lösungen für die Landwirtschaft der Zukunft“.

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