Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft

Forschungsprojekt „SocialLab“ hat untersucht, wie Verbraucher, Landwirte und der Handel ticken.

Die landwirtschaftliche Tierhaltung wird in der Öffentlichkeit seit Langem kritisch gesehen. Gesellschaftliche Vorstellungen, wie mit Tieren umzugehen sei, und die moderne landwirtschaftliche Praxis liegen häufig weit auseinander. Doch worauf legen die Verbraucherinnen und Verbraucher besonders viel Wert, welche Erwartungen haben sie an tierhaltende Betriebe? Und welche Rolle kann der Handel als Bindeglied zwischen Stall und Teller spielen? Das Verbundprojekt SocialLab, an dem acht Forschungseinrichtungen, koordiniert vom Thünen-Institut in Braunschweig, beteiligt waren, sollte Antworten finden. Am 13. März 2019 stellten die Wissenschaftler die Ergebnisse im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vor.

In Gruppendiskussionen mit Verbrauchern stießen die SocialLab-Forscher jenseits von Pauschalbegriffen wie „Massentierhaltung“ schnell auf Zielkonflikte: Konsumenten müssen sich nicht nur zwischen billigen und hochpreisigen, dafür tiergerecht produzierten Waren entscheiden. Auch zwischen Aspekten wie Tierwohl, Umweltschutz und Klimawirkungen gilt es abzuwägen. So entspricht etwa der Freilandauslauf dem arteigenen Verhalten vieler Nutztiere, dies kann aber mit verstärkter Belastung von Böden und Grundwasser durch Exkremente einhergehen.

Bei Befragungen zeigten sich oft Hilflosigkeit im Umgang mit sich widersprechenden Zielen und die Tendenz, diese Zielkonflikte zu verdrängen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse von SocialLab: Der Wunsch nach mehr Tierwohl steht in der Bevölkerung weit oben – höher als Umweltziele, arbeitswirtschaftliche Ziele der Betriebe oder selbst Aspekte der Arbeitssicherheit. Das sind Bereiche, bei denen von der Landwirtschaft erwartet wird, innovative Lösungen zu finden.

Ministerin will Ergebnisse konkret nutzen

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die die SocialLab-Veranstaltung eröffnete, betonte die Relevanz der Ergebnisse: „Verbraucher schätzen die Vielfalt an hochwertigen Lebensmitteln in Deutschland, sie wollen regionale Produktion um die Ecke. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass die gesellschaftlichen Anforderungen an eben jene Produktion größer werden, besonders im Bereich der Tierhaltung. Diese Anforderungen würden es gerade aber den regionalen Kleinbetrieben, die im Wettbewerb stehen, schwer machen, zu überleben. Oder: Die Mehrheit ist für mehr Tierwohl, aber beim Einkauf selten bereit, mehr Geld dafür auszugeben.

Es sind diese Zielkonflikte, die das Projekt SocialLab in den Blick nimmt. Mit 2,4 Millionen Euro fördere ich dieses Forschungsvorhaben, halte es für eines der spannendsten, das wir unterstützen. Geforscht wird entlang der Frage, was wir tun können, damit die Haltung von landwirtschaftlichen Nutztieren in Deutschland eine bessere Akzeptanz findet. Denn wir entwickeln sie kontinuierlich weiter, die Verbesserung des Tierwohls und der Nachhaltigkeit spielen dabei eine große Rolle. Der Erfolg von Neuerungen wird aber nicht nur auf dem Hof entschieden, sondern auch an der Kasse im Supermarkt – die Mehrkosten kann nicht alleine der Landwirt tragen.

Deshalb ist es so wichtig, dass das SocialLab bei Verbrauchern wie Landwirten Bewusstsein schafft für die Position des jeweils anderen und wir für unsere Arbeit im Ministerium erfahren, wo die Defizite liegen beim Verstehen. Und wo Ansatzpunkte sind, um unsere Anliegen so zu vermitteln, dass sie noch besser ankommen. Die Ergebnisse werden wir ganz konkret nutzen, insbesondere für die Entwicklung der Informationskampagne zu unserem Tierwohlkennzeichen.“

Methodisch breit aufgestellt

In dem Forschungsprojekt setzten die Projektpartner einen breiten Methodenmix aus Befragungen, Analyse von Einkaufsdaten, Eye-Tracking, aber auch innovativen neurowissenschaftlichen Verfahren ein. So kamen sie zu differenzierten Aussagen hinsichtlich Verbrauchererwartungen und Verbraucherverhalten, zu den Einstellungen der Landwirte und zu den Möglichkeiten des Lebensmitteleinzelhandels.

Zielkonflikte gibt es nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch in den landwirtschaftlichen Betrieben. An welchen Stellschrauben sollen Landwirte drehen, ohne an den Verbraucherwünschen vorbei zu produzieren? Und wie viel Mehrkosten können sie sich leisten, wenn unklar ist, ob ihnen diese auch finanziert werden? Gespräche mit Landwirten haben gezeigt, dass Entwicklungen, die ein Mehr an Tierwohl ermöglichen, durchweg begrüßt werden. Allerdings nehmen sie die derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen dafür als wenig förderlich wahr.

Ein Blick ins Verbrauchergehirn

Wie stark sich Erwartungen auf das subjektive Empfinden auswirken, wurde in einem Wahlversuch deutlich. Verbraucher sollten Kochschinken bewerten. Getestet wurden – jeweils vom gleichen Verarbeiter hergestellt – Kochschinken von Schweinen aus unterschiedlichen Haltungsbedingungen (konventionell, biologisch und zwei andere tiergerechte Haltungssysteme). Bei der Blindverkostung erhielten die Testpersonen die Schinkenproben zunächst ohne Kennzeichnung und konnten keine Unterschiede feststellen. Anschließend wurden den Probanden die Haltungssysteme erläutert und sie konnten noch einmal testen. Hierbei traten deutliche Unterschiede auf: Die Bio-Variante wurde am besten bewertet und die konventionelle am schlechtesten.

Berichterstattung in den Medien

Das Bild der Bevölkerung über Tierhaltung wird maßgeblich durch die Medien geprägt. Die Berichterstattung darüber nimmt in den (Print-)Medien seit Jahren zu. Sie ist in der Regel anlassbezogen. In den Regionalmedien stehen vor allem die lokalen Facetten der Tierhaltung im Vordergrund, sowohl in positiver Hinsicht als auch bei Problemen. Insgesamt, so zeigen die Analysen, ist die Themenvielfalt groß; es wird vielfach abwägend und nicht wertend berichtet, auch wenn zunächst ein Problem als Aufhänger dient.

Die Rolle des Handels

Ob Innovationen in der Nutztierhaltung erfolgreich sind, wird am Ende nicht im Stall, sondern am Regal entschieden – über Top oder Flop entscheiden die Verbraucher. Dem Handel kommt hier eine wichtige und noch zu wenig berücksichtigte Rolle zu, denn er ist in der Lage, die oft nur latenten Präferenzen der Verbraucher zu steuern (zum Beispiel mit Bannern über dem Regal). Derzeit sieht sich der Handel allerdings meist als reiner Bereitsteller von Produkten. Mit den SocialLab-Ergebnissen zu den Präferenzen der Konsumenten wäre er in der Lage, die Verbraucher stärker an die Produkte heranzuführen, die ihren Vorstellungen am ehesten entsprechen.

Projektbeteiligte:

  • Thünen-Institut für Marktanalyse, Braunschweig (Koordination)
  • Fachhochschule Südwestfalen, Soest (Fachbereich Agrarwirtschaft)
  • Georg-August-Universität Göttingen (Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte)
  • Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Lehrstuhl für Betriebswirtschaft)
  • Privates Forschungs- und Beratungsinstitut für angewandte Ethik und Tierschutz INSTET, Berlin
  • Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik)
  • Technische Universität München (Lehrstuhl für Marketing und Konsumforschung)
  • Zeppelin-Universität Friedrichshafen als assoziierter Partner (Gastprofessur für Konsumverhalten und Verbraucherpolitik)

Nähere Infos zum Projekt
(Hier ist auch der 70-seitige Abschlussbericht mit weiteren Ergebnissen als PDF zu finden.)

Kontakt:

Dr. Inken Christoph-Schulz
Thünen-Institut für Marktanalyse, Braunschweig
Tel.: 0531 596-5311
Mail: inken.christoph@thuenen.de

Pressekontakt:
Dr. Michael Welling, Pressesprecher
Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel:   0531 596-1016
Fax:  0531 596-1099
Mail:  michael.welling@thuenen.de

Das Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei – kurz: Thünen-Institut – besteht aus 14 Fachinstituten, die in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Technologie forschen und die Politik beraten.

Quelle: Thünen-Institut

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