Aus zwei natürlich vorkommenden Proteinen hat ein Wissenschaftsteam aus Kiel und Melbourne ein neues Protein entwickelt, das in Laborversuchen sehr effektiv gegen Typ-2-Diabetes wirkt. Die Erkenntnisse haben sie am Mittwoch in Nature veröffentlicht.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Professor Stefan Rose-John, Biochemiker an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“, haben ein Molekül entwickelt und hergestellt, das in Laborversuchen die Insulinempfindlichkeit bei Typ-2-Diabetes verbessert. Das Molekül setzt sich aus Teilen der beiden natürlich vorkommenden Signalmoleküle IL-6 und CNTF zusammen. Durch die neue Zusammensetzung vereint das synthetische Protein die positiven Eigenschaften beider Ursprungs-Proteine, aber ohne deren ungewünschte Nebeneffekte. In Zukunft könnte es möglicherweise als neuartiges Medikament gegen Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Team um Rose-John gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Melbourne in Australien am Mittwoch in Nature.
Schätzungsweise 370 Millionen Menschen weltweit sind an Typ-2-Diabetes erkrankt, laut Vorhersagen könnte sich die Zahl bis 2030 sogar verdoppeln. Die wichtigsten Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes sind Übergewicht und mangelnde Bewegung. Bei Typ-2-Diabetes sprechen die Körperzellen immer schlechter auf das Hormon Insulin an, sie werden also mehr und mehr insulinresistent. Muskel- und Fettzellen können dadurch keine Glukose, also Zucker, mehr aufnehmen, da dieser Prozess über Insulin gesteuert wird. Darüber hinaus beginnt die Leber, da sie nicht mehr auf Insulin reagiert, ungehemmt Glukose herzustellen und ins Blut zu bringen. Somit bricht nach und nach das gesamte Blutzucker-Gleichgewicht zusammen und der Blutzuckerspiegel steigt immer mehr.
Zwei aussichtsreiche Moleküle mit unerwünschten Nebenwirkungen
Vorangegangene Studien konnten zeigen, dass das Signalmolekül IL-6 eine positive Wirkung auf die bei Typ-2-Diabetes gestörte Stoffwechselreaktion hat: Sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen konnte es sowohl das Übergewicht als auch die Insulinresistenz verringern. Dadurch könnte es eigentlich ein guter Wirkstoff gegen Typ-2-Diabetes sein. Das Signalmolekül wirkt allerdings auf viele verschiedene Weisen im Körper, unter anderem ist es auch entzündungsfördernd und kommt daher als Medikament gegen Typ-2-Diabetes nicht in Frage.
Das Molekül CNTF verbesserte in Studien ebenfalls die Insulin-Empfindlichkeit und reduzierte Übergewicht. In klinischen Studien stellte sich allerdings heraus, dass zwei Drittel der Patientinnen und Patienten gegen CNTF Antikörper bilden, die damit das Molekül unwirksam machen. Ihr Immunsystem nimmt den Stoff als fremd wahr und versucht ihn zu bekämpfen. Somit scheidet CNTF also ebenso wie IL-6 als Medikament für Typ-2-Diabetes aus.
Die Lösung: Eine Kombination aus beiden
„In unserem Labor haben wir schon vor einiger Zeit ein Molekül entworfen, das zum größten Teil aus Bauteilen von IL-6 besteht und bei dem ein Abschnitt durch einen Abschnitt aus CNTF ausgetauscht wurde“, berichtet Rose John vom Institut für Biochemie an der CAU. „Im Austausch mit meinem australischen Kollegen Mark Febbraio von der Monash University in Melbourne kam uns dann die Idee, dass dieses konstruierte Molekül möglichweise ähnlich wie CNTF und IL-6 bei Diabetes-Typ-2 wirken könnte, aber ohne die bekannten ungewünschten Nebenwirkungen.“
Das Molekül hatten die Forschenden um Rose-John ursprünglich hergestellt, um mehr über den Aufbau und die Funktionsweise der sogenannten Rezeptorkomplexe von IL-6 und CNTF herauszufinden. Das sind zweiteilige Strukturen auf Körperzellen, an die sich spezifisch bestimmte Signalmoleküle von außerhalb der Zelle – hier also IL-6 oder CNTF – binden, beide Teile dadurch zusammenführen und eine bestimmte Reaktion in der jeweiligen Zelle hervorrufen.
Das neue Molekül führt in seinem Rezeptorkomplex ein Element vom IL-6-Rezeptorkomplex und ein anderes vom CNTF-Rezeptorkomplex zusammen – eine Kombination, die so im Organismus eigentlich nicht vorkommt. Das ist ein entscheidender Vorteil, wenn man das Molekül als Medikament einsetzen möchte: Dadurch, dass das neue Molekül einen Rezeptorkomplex aktiviert, den sonst kein Molekül aktiviert, gingen die Forschenden davon aus, dass es auch keine Entzündungsreaktion wie IL-6 hervorrufen würde. Darüber hinaus hofften sie, dass das neue Molekül auch keine Autoimmunreaktion wie CNTF auslösen würde, da es zum großen Teil aus IL-6-Bausteinen besteht, die das Immunsystem als körpereigen ansieht.
Vielversprechende Wirkung
Rose-John und Febbraio beschlossen daraufhin, dieses Molekül genauer zu testen. Im Kieler Labor von Rose-John haben sie es zuerst so angepasst, dass es sich besser für die Versuche eignet. Die australischen Forscherinnen und Forscher testeten dann damit ausführlich deren metabolische Wirkung im Labor und in Versuchstieren.
Und tatsächlich, das Molekül mit dem Namen IC7Fc hielt, was es versprach: Es senkte bei übergewichtigen Mäusen den Zuckergehalt im Blut und stellte die Insulinsensitivität wieder her. Außerdem nahmen die Mäuse, die mit dem Molekül behandelt wurden, ab. Gleichzeitig rief IC7Fc keine unerwünschten Immun- oder Entzündungsreaktionen hervor. Das konnten die Forschenden auch in menschlichen Zellen zeigen. IC7Fc ist also offenbar wesentlich verträglicher als das reine CNTF. „Ich bin begeistert, wie gut es funktioniert. Als nächstes wollen wir unser Molekül in klinischen Studien testen. Wenn sich unsere Beobachtungen bestätigen, könnte IC7Fc ein neuer Wirkstoff für die Behandlung von Typ-2-Diabetes werden“, meint Rose-John.
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BU: Professor Stefan Rose John, Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“, Direktor des Biochemischen Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Leiter des Sonderforschungsbereichs 877 „Proteolyse als regulatorisches Ereignis der Pathophysiologie“.
Foto / Copyright: T. Böschen / Exzellenzcluster PMI, Uni Kiel.
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Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen / Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war.
An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Institut für Weltwirtschaft und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel – Leibniz Lungenzentrum).
Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.
Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen
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E-Mail: rosejohn@biochem.uni-kiel.de
Originalpublikation:
Maria Findeisen, Tamara L Allen, (…), Stefan Rose-John and Mark A Febbraio, Treatment of type 2 diabetes with the designer cytokine IC7Fc, Nature (2019).
https://www.nature.com/articles/s41586-019-1601-9
Quelle: Frederike Buhse Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Exzellenzcluster Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen