Nachrichten von der „Bezeichnungsfront“ und aus dem „Labeldschungel“

Expertenforum der Akademie Fresenius zu Kennzeichnungsrecht und aktuellen Urteilen.

Etwas mehr als zwei Jahre ist die EU-Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung (LMIDV) in Kraft. Seitdem zeigen viele Fälle im Alltag der deutschen Lebensmittelhersteller und Kunden, wie schwer die Anwendung bei Zweifelsfällen in der Praxis fällt. Eine Fachtagung der Akademie Fresenius am 22. und 23. Oktober in Mainz brachte etwas Licht ins Dunkel. Experten aus Justiz, Wissenschaft und Praxis diskutierten aktuelle Fälle und Probleme der richtigen Nähwertangaben und Etikettierung.

Der NutriScore, die neue Nährwertkennzeichnung, die die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner in Deutschland einführen möchte, war auf dem Expertenforum ebenso Thema wie die Leitsätze für vegetarische und vegane Lebensmittel. Außerdem klärten Juristen und Vertreter aus Unternehmen und Behörden darüber auf, was die häufigsten Fehler bei Herkunftsangaben und Nährwertdeklaration sind – und wie sie sich vermeiden lassen.

Jeder zweite Deutsche ärgert sich über Angaben auf Lebensmitteln

„Rund die Hälfte der Deutschen ärgert sich zumindest gelegentlich über Angaben auf der Verpackung“, ist Christian Hummert von der Prüf- und Zertifizierungsgesellschaft SGS überzeugt. Die Verbraucher sind oft skeptisch: 84 Prozent glauben gemäß einer SGS-Verbraucherstudie, dass Verpackungen Lebensmittel besser darstellen, als sie sind. 45 Prozent sorgen sich, dass wichtige Angaben auf der Verpackung fehlen oder nur versteckt auftauchen. Jeder Fünfte glaubt, dass die Nährwerte nicht stimmen und zum Beispiel ein Produkt mehr Kalorien enthält als angegeben.

Dabei ist es zumeist gar nicht die bewusste Täuschungsabsicht der Hersteller, die zu einer falschen Angabe auf einer Verpackung führt. Eher liegt es an Unkenntnis und der Unübersichtlichkeit der rechtlichen Vorgaben. Für eine Studie hat das SGS Institut Fresenius in Taunusstein 146 Deklarationsprüfungen systematisch ausgewertet. Mit erschütterndem Ergebnis: „Bei 64 Prozent aller Etiketten gab es Verstöße oder Verbesserungsbedarf hinsichtlich des Zutatenverzeichnisses“ berichtete Christian Hummert.

Die häufigsten Fehlerquellen sind der Studie zufolge falsche Deklaration von Inhaltsstoffen, unübliche Formulierungen und fehlerhafte Orthographie. Aber auch bei der Wahl der richtigen Verkehrsbezeichnung haben viele Lebensmittelunternehmen Nachholbedarf, wie Hummert betonte. Häufig sei die Abgrenzung zu anderen Kategorien unklar. Auch unübliche Bezeichnungen und unangemessene Formulierungen in der Landessprache führen zu Verstößen gegen die Kennzeichnungspflicht.

Neues von der „Bezeichnungsfront“: Aktuelle Urteile zu deutschem Whiskey, Kinderwunsch-Tee und Rucola-Pesto fast ohne Rucola

Antje Dau von EDEKA berichtete über aktuelle Gerichtsurteile zu geschützten geographischen Bezeichnungen. So darf ein in Deutschland hergestellter Whiskey nicht den Namenszusatz „Glen“ verwenden, weil die Verbraucher bei diesem Zusatz fälschlicher Weise an schottischen Whiskey denken. Dafür ist die Bezeichnung „Pesto mit Basilikum und Rucola“ nicht irreführend, auch wenn in dem Pestoglas nur 1,5 Prozent Rucola enthalten ist. Einem Teehersteller haben die Gerichte verboten die Bezeichnung „Kinderwunschtee“ auf der Verpackung zu verwenden, solange keine wissenschaftlichen Nachweise für dessen Wirksamkeit vorliegen.

Verbraucherschutzverbände fordern „wahre und klare Kennzeichnung“

Die Aufmachung und Kennzeichnung fertig verpackter Lebensmittel soll Verbraucher transparent und verständlich über die Produktqualität informieren. Aktuelle Umfragedaten zeigen jedoch, dass es um das Vertrauen der Verbraucher nicht gut bestellt ist, wie Wiebke Franz von der Verbraucherzentrale Hessen mahnend feststellte. Lebensmittel-Kunden beschweren sich beim Portal der Verbraucherzentralen „lebensmittelklarheit.de“ über Produkte, die „Zutaten versprechen, aber nur Aromen oder Minimengen dieser Zutat enthalten“, über widersprüchliche Herkunftsangaben oder über „Phantasienamen, die in die Irre führen“. Sie forderte für die Verbraucher von den Herstellern „wahre Kennzeichnungen“ und „klare Worte statt sprachlicher Spitzfindigkeiten“.

Herkunftsangaben bei primären Zutraten bleiben schwierig

Martin Holle von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg betrachtete in seinem Vortrag die Kennzeichnungspflicht für primäre Zutaten. In der praktischen Umsetzung sorge die Begriffsfindung für die primäre Zutat oft für erhebliche Schwierigkeiten: „Bei der Beschreibung geografischer Gebiete steckt der Teufel oft im Detail“. Insbesondere bei zusammengesetzten Zutaten kann die Herkunftsbestimmung sehr komplex sein.

Der Verweis der Lebensmittelinformations-Verordnung auf das Zollrecht führt dabei zum Teil zu kuriosen Ergebnissen, die nicht den Erwartungen der Verkehrskreise an die Herkunft einer Zutat entsprechen. Dass die neue Leitlinie der EU-Kommission die Arbeit im nächsten Jahr spürbar vereinfacht, glaubt Holle allerdings nicht: „Der Entwurf der Kommissions-Leitlinie interpretiert die rechtlichen Vorgaben streng formalistisch und erschwert dadurch zusätzlich die praktische Umsetzung“.

Kommt bald das einheitliche Klimaschutz-Label?

Verbraucherforscherin Anke Zühlsdorf warf einen kritischen Blick auf die Lebensmittel-Kennzeichnungen (Front-of-Package Labelling) aus Verbrauchersicht und stellte dazu aktuelle Studien vor. Die unterschiedlichen Labels haben sich mittlerweile „als wichtiges Instrument zur Kommunikation von Vertrauenseigenschaften“ etabliert, so Zühlsdorf. Labels wie NutriScore festigten den „Trend zu mehrstufigen, interpretativen Labels“. Momentan gibt es eine große Konkurrenz unterschiedlicher Siegel, deshalb rechnet sie langfristig mit einer Konsolidierung des „Labeldschungels“ durch staatliche Regulierung. So sei es denkbar, dass es in Zukunft ein „staatliches Dachlabel für Nachhaltigkeitseigenschaften“ geben könnte. Als nächstes Label könnte ein Siegel die Verbraucher informieren, das den Beitrag des Lebensmittels zum Klimaschutz in Form eines farblichen Klimalabels ähnlich wie der Nutri-Score aufzeigt.

Expertenforum LMIV 2020 in Mainz

Der Termin für das 13. „Expertenforum LMIV“ steht bereits fest: 2020 findet die Veranstaltung vom 8. bis 9. Oktober in Mainz statt (Anmeldung: www.akdademie-fresenius.de/2777).

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Die Akademie Fresenius GmbH
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Quelle: Akademie Fresenius

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