Neue Leitlinie belegt große Chancen der Adipositas-Therapie bei Kindern und Jugendlichen

Die gute Botschaft vorweg: Ein frühes Einschreiten bei Adipositas schon im Grundschulalter verspricht Erfolg und gute Aussichten für die weitere Gesundheit des Kindes. Eine neue Leitlinie hat Empfehlungen zur Behandlung des krankhaften Übergewichts wissenschaftlich überprüft, darunter auch gängige Konzepte und Programme.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) ist Mitherausgeberin des Papiers, das gemeinsam von 40 Expert*innen aus 16 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbänden und weiteren Organisationen erarbeitet wurde.

Der Inhalt der Leitlinie belegt einen Paradigmenwechsel, denn die wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen: Die `Schuld´ an einer Adipositas liegt nicht primär bei den Kindern oder deren Familien. Sie liegt vielmehr an sogenannten `adipogenen´ Lebensbedingungen in unserem Land, die der Einzelne nur sehr begrenzt willentlich beeinflussen kann. Für eine Prävention der Adipositas sind vor allem verhältnispräventive Maßnahmen (z.B. Reduktion des Zuckerangebots) nötig, die durch Gesellschaft und Politik initiiert werden müssen.

Die Anleitung und Schulung des Betroffenen mit dem Ziel, dessen persönlichen Lebensstil in einer multimodalen Adipositas-Therapie zu ändern (Kombination von Bewegungs-, Ernährungs- und Verhaltenstherapie), verspricht allerdings auch Erfolg. Insbesondere die spezielle Schulung von Kindern im Grundschulalter und vor allem ihrer Familien zeigt messbar positive Effekte. Dennoch heißt es in der Einleitung zu der jetzt vorgelegten, fast 80seitigen Leitlinie zur „Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ eher ernüchternd, dass die „erreichten Therapieeffekte eher gering“ sind und „oft nicht den Erwartungen der Betroffenen“ entsprechen.

Welche Hürden gibt es bei der Adipositas-Therapie?

PD Dr. Susanna Wiegand, vormals Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft für Adipositas im Kindesalter (AGA) und seit Oktober Vizepräsidentin der Deutschen Adipositas Gesellschaft, erläutert eine der Hürden bei der kindgerechten Therapie: „Wir wissen, dass Kinder und Jugendliche gerade von ambulanten Angeboten gut und nachhaltig profitieren können. Daher gilt für die Adipositas-Therapie ganz klar die Empfehlung `ambulant vor stationär´. Zugleich aber gibt es zu wenig Plätze für diese Konzepte, nach denen das Kind inmitten von Familie, Schule und Freundeskreis betreut wird.“

Der Grund: Noch immer würden ambulante Angebote seitens der Krankenkassen nur zögerlich unterstützt. Daher hätten sich schon viele Anbieter aus diesem Segment zurückgezogen, berichtet Prof. Wiegand.

„Wir benötigen bundesweit Schulungsangebote für junge Kinder und deren Familien. Die Leitlinie betont, dass allen Betroffenen der Zugang zu einem Schulungsprogramm ermöglicht werden sollte. Dies gilt auch für den ländlichen Bereich, in dem die Adipositasprävalenz höher liegt als in der Stadt. Die Einrichtung solcher Programme und deren Durchführung sollte in enger Zusammenarbeit mit den Krankenkassen erfolgen“, erläutert Prof. Dr. Martin Wabitsch. Er hatte zusammen mit Dr. Anja Moß, AWMF-Leitlinienassistentin, die Federführung bei der interdisziplinären Leitlinienerstellung und war für die DGKJ in das Expertengremium eingebunden.

Prof. Wabitsch gibt zu bedenken: „Bei Jugendlichen mit extremer Adipositas liegt die Erfolgsrate allerdings deutlich niedriger als bei jüngeren Kindern. Für diese spezielle Gruppe von jungen Patienten benötigen wir neue Therapiekonzepte!“.

Lebensstil und Lebensgesundheit

DGKJ-Präsidentin Prof. Dr. Ingeborg Krägeloh-Mann sieht in der neuen Leitlinie ein starkes Argument für die Tragweite der Betreuung von an Adipositas erkrankten Kindern: „Die umfangreiche Cochrane-Analyse und das Konsensverfahren, an denen alle einschlägigen Fachgesellschaften beteiligt waren, gibt Entscheidungsträgern jetzt fundierte wissenschaftsbasierte Empfehlungen an die Hand. Hinzu kommt, dass gerade bei der hier betroffenen sehr jungen Patientengruppe Entscheidungen einen nachhaltigen Einfluss auf die Lebensgesundheit haben können – umso wichtiger, dass man hier nach Evidenz und Expertise vorgeht.“

Auch die neu erschiene Leitlinie macht deutlich: Die Adipositas ist das Ergebnis des Lebensstils unserer Gesellschaft. Für das gesunde Aufwachsen von Kindern sind tiefergreifende Änderungen erforderlich, für die eine starke politische Unterstützung nötig ist.

Die Leitlinie online

Evidenzbasierte (S3-) Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA, AWMF-Nr. 050-002): „Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“.

Der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) gehören rund 17.000 Kinder- und Jugendärztinnen und –ärzte als Mitglied an. Ziel der wissenschaftlichen Fachgesellschaft: die bestmögliche gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Die DGKJ vertritt die Pädiatrie in Fachkreisen, in der Politik und in der Öffentlichkeit.

Für Subspezialitäten, in denen besondere Aspekte der Kinder- und Jugendmedizin behandelt werden, steht der DGKJ-Konvent als Plattform für den fachlichen Austausch bereit. Der Konvent verzeichnet fast 40 Mitgliedsorganisationen, darunter auch die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindesalter (AGA), die Vereinigung der in Deutschland auf dem Gebiet der Adipositas im Kindes- und Jugendalter tätigen Kliniker, Therapeuten, Fachkräfte und Wissenschaftler: www.a-g-a.de. Die AGA ist eine AG der Deutschen Adipositas Gesellschaft (www.adipositas-gesellschaft.de).

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Quelle: DGKJ