Kampagne ohne Kompetenz / Foodwatch und die Sterbestatistik

Kampagne ohne Kompetenz

Foodwatch und die Sterbestatistik

Von Detlef Brendel

Im Handwerk gibt es zwei interessante Regeln. „Erst grübeln, dann dübeln.“ Oder alternativ: „Was nicht passt wird passend ge­macht.“ Nach dem zweiten Prinzip arbeiten die Essensretter von Foodwatch. Pseudowissenschaftliche Schlampigkeit gehört zu den Grundtugenden von Kampagnen-Strategen. Am 17. April 2020 hat Foodwatch die Pressemitteilung „Bayer-Monsanto, BASF und Syngenta müssen Export hochgiftiger Pestizide stoppen!“ herausgegeben. In dieser ultimativen Mitteilung, die den genannten Firmen vorwirft, Profit mit umwelt- und gesundheitsschädlichen Pestiziden zu machen, wird behauptet, damit „trügen die Chemieriesen eine große Mitverantwortung für die 200.000 Toten, die laut Schätzungen der Vereinten Nationen jedes Jahr allein an Pestizidvergiftung sterben.“ Nicht nur die Kausalität, dass Tote an Vergiftungen sterben, ist falsch. Die Essensretter sind schließlich nicht die Retter von Sprache und Logik. Im Eifer der Kampagnen-Entwicklung muss es auch manchmal eine schnelle Feder bei der Formulierung sein. Wo gehobelt wird … .

Weitaus bedenklicher ist der forsche Umgang mit der Wissenschaft. Martin May, Geschäftsführer Pflanzenschutz und Leiter Kommunikation beim Industrieverband Agrar (IVA), hat sich die Mühe gemacht, die Quelle dieser angeblichen UN-Schätzung zu recherchieren. Eine solche Schätzung der UN hat es nie gegeben. In einem Papier aus dem Jahr 2017 wird die Zahl mit dem Verweis auf eine Studie genannt. Diese wiederum stammt aus dem Jahr 2013. Es ist lediglich eine Literaturstudie, in der eine im Jahr 2003 in die Welt gesetzte Schätzung genannt wird. Und auch damit ist die Herkunft der angeblich 200.000 jährlich sterbenden Toten noch nicht geklärt. Es wird lediglich per Fußnote auf eine Quelle aus dem Jahr 1990 verwiesen. Die Urheber der historischen Schätzung, die Martin May mit seiner dankenswerten Recherche ermitteln konnte, müssen nach der Angabe eines nicht mehr verfügbaren Dokuments offenbar in der Schweiz gelebt haben. Auf welche Anwendung welcher Pestizide während der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts sich eine nicht mehr nachvollziehbare Schätzung bezieht, ist nicht zu klären. Die einzige Aussagekraft dieser Zahl besteht in der Erkenntnis, dass fantasievolle Behauptungen durch regelmäßige Wiederholungen eine extrem lange Lebensdauer haben.

In einer durch die Pandemie geprägten Zeit, in der am Corona-Virus gestorbene Menschen in einer traurigen Statistik sorgfältig erfasst werden, sollte niemand mit einer forsch in die Welt gesetzten Zahl aktuelle Statistiken toppen wollen. Auch die Moral kann eine Grenze des Handelns sein.

Die Spendensammler von Foodwatch wird dieser Offenbarungseid im Hinblick auf die wissenschaftliche Sorgfalt nicht stören. Ihr Geschäftsmodell basiert wesentlich auf den Prinzipien selektiver Wahrnehmung und strategisch notwendiger Lüge. In der Mitteilung „Lebensmittel und das Corona-Virus“ vom 27.03.2020 hat Foodwatch mehrfach als kompetente Quelle das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zitiert. In einer wirklich ernsthaften Krise war es für die Essensretter eine verlässliche und glaubwürdige Institution. Wenn das BfR bei unsachlichen Skandalisierungen von Foodwatch auf deren Fehlerhaftigkeit hinweist oder Entwarnung gibt, gilt das Institut dagegen als befangen und ahnungslos. Eine sachliche und wissenschaftlich kompetente Bewertung durch das BfR passt nicht zur Strategie der Agitation. Auch beim Thema der sterbenden Toten durch Pestizidvergiftung hätte die Lektüre der BfR-Statements zu Glyphosat wertvolle Dienste leisten können. Aus der fachlich basierten Sicht des Instituts geht es den Glyphosat-Gegnern nicht um das Thema Gesundheit, sondern um die Erklärungshoheit zur Landwirtschaftspolitik. Und weil Glyphosat eine Schlüsselsubstanz für gentechnisch veränderte Pflanzen ist, gehört es zur Inkarnation des Bösen. Die Substanz schadet nicht, aber hat einen Nutzen, den man aus politischem Kalkül nicht will. Wie soll man damit von gutgläubigen Menschen Geld eintreiben?