Der Zusammenhang zwischen Ernährung, Gesundheit und Ökobilanz

Prof. Dr. Hans Hauner ist Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München (TUM), das an das Klinikum rechts der Isar angegliedert ist. Sein Text über den Zusammenhang von Ernährung, Gesundheit und Ökobilanz erhält in Corona-Zeiten besondere Brisanz und ist auch im TUM-Sammelband „Denkanstöße für die Zeit nach Corona“ (kostenloser Download) erschienen.

Ernährung ist die Grundlage jeden Lebens. Sie stellt die Zufuhr aller Stoffe sicher, die Leben ermöglichen und ein optimales Funktionieren garantieren. Je komplexer Lebewesen sind, desto breiter ist in
 der Regel der Bedarf an Nährstoffen. Die Evolutionsgeschichte zeigt aber auch, dass sich viele Lebewesen der Verfügbarkeit von Nährstoffen in ihrer Umwelt anpassen.

Und schließlich gibt es die Möglichkeit, dass Organismen eine hohe Flexibilität entwickeln, um eine wechselnde Nährstoffverfügbarkeit nutzen zu können. Letzteres trifft auch für den Menschen zu, der es gelernt hat, sich auf Änderungen des
 Nährstoffangebots, z. B. im Lauf von Jahreszeiten, einzustellen. Dies war die Voraussetzung, dass sich Homo sapiens so erfolgreich auf dem Planeten ausbreiten und viele Regionen und Klimazonen besiedeln konnte. Diese hohe „metabolische Flexibilität“ zeichnet ihn gegenüber anderen Lebewesen aus und hat erheblich zu seinem Erfolg und seiner Dominanz im Ringen der Arten um die natürlichen Ressourcen beigetragen.

Mensch passt Ernährung den Umweltbedingungen an

Die Erfolgsgeschichte des Menschen ist faszinierend und hat natürlich nicht nur mit dieser Fähigkeit zu tun, sondern ist auch durch seine Talente erklärbar, kohärente Sozialsysteme und Organisationsstrukturen zu schaffen und effektive Technologien zu entwickeln. Viele technische Innovationen, das damit verbundene Bevölkerungswachstum und der ungezügelte Ressourcenverbrauch mit vielfältigen ökologischen Konsequenzen gefährden aber inzwischen dieses Erfolgsmodell substanziell und erfordern nach einhelliger Meinung aller damit befassten Institutionen einen raschen Paradigmenwechsel und politisches Handeln.

Auch beim Thema Ernährung ist eine Situation eingetreten, die mit vielen Bedrohungen einhergeht und viele Fragen aufwirft. Die weltweite Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln reiche aus, um theoretisch mindestens 15 Milliarden Menschen ernähren zu können. Allerdings wird über die Hälfte der Getreideernte und der Großteil der Sojaproduktion für die Tiermast eingesetzt. Hier werden fünf bis sieben kg Futtermittel benötigt, um ein Kilo Fleisch zu erzeugen. Gleichzeitig ist damit ein hoher Land- und Wasserverbrauch sowie eine hohe Emission von Klimagasen verbunden.

Zu den Folgen zählt auch der Verlust an Biodiversität und Umweltschäden durch den hohen Einsatz von Insektiziden/ Pestiziden und Düngemitteln mit Stickstoffbelastung. Hinzu kommen hohe Ernteverluste, z.B. durch schlechte Logistik sowie Verschwendung auf Verbraucherseite. Die Nahrungsmittelproduktion ist insgesamt für 21 – 37 Prozent der globalen anthropogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich (IPPC 2019).

Problem der Unter- und Überernährung

Aus der medizinischen Perspektive gibt es dabei zwei Probleme, die aus der ungleichen Verteilung von Lebensmitteln resultieren: Zu einen sind Hunger und Unterernährung weit verbreitet. Über 800 Millionen Menschen leiden an Hunger, über zwei Milliarden an Eisenmangel, um nur zwei gravierende Beispiele zu nennen. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie ist eine rasche und deutliche Verschlechterung der Ernährungslage in vielen armen Ländern zu befürchten. Zum anderen gibt es derzeit mehr als 2 Milliarden Menschen mit Übergewicht, davon ein Drittel mit Adipositas als Folge einer chronischen Überernährung vor allem in den wohlhabenderen Ländern. Adipositas belastet fast alle Körperorgane und ist ein entscheidender Treiber für fast alle Zivilisationskrankheiten.

Qualität und Quantität der zugeführten Nahrung ist für die Gesundheit des Menschen daher von zentraler Bedeutung. Ernährungsbedingte chronische Krankheiten stellen heute in unserem Gesundheitssystem die größte Herausforderung dar und verursachen den Großteil der Kosten. Eine kürzlich durchgeführte Analyse des Global Burden of Disease Konsortiums ergab, dass Ernährungsfaktoren, definiert über 15 Subkategorien, rund 22 Prozent aller Todesfälle weltweit erklären. In Deutschland handelt es sich um eine Größenordnung von 18,5 Prozent.

Übergewicht kann schwere Krankheiten verursachen

Die dafür verantwortlichen Todesursachen sind in erster Linie Herz-Kreislauf-Krankheiten, aber auch Krebserkrankungen und Typ-2-Diabetes (GBD, 2019). Viele Menschen ahnen bzw. wissen intuitiv, dass ihr Essverhalten ihr Gewichtsproblem verursacht und viele Krankheiten und Beschwerden fördert, ignorieren diesen Zusammenhang aber gerne, wegen der möglichen Konsequenzen, die sich daraus für ihre Lebensweise ergeben. Essen ist eine emotionale, persönliche Angelegenheit, bei der jeder Mensch die Entscheidungsfreiheit behalten möchte. Nur so ist verständlich, warum viele Menschen den Zusammenhang zwischen ihrer Ernährung und ihrer Gesundheit so konsequent ausblenden.

Dieses Verhalten ist aber problematisch. Wägen Menschen ihre Interessen sachlich ab, dann gibt es am Ende möglicherweise andere Prioritäten als kurzfristigen Essgenuss. Auf lange Sicht wünschen sich die meisten Menschen, möglichst lange gesund und fit zu bleiben und ein möglichst hohes Alter zu erreichen. Dies führt zu einem ständigen Konflikt zwischen kurzfristigen Genussbedürfnis, Gesundheit und Langlebigkeit. Meist dominiert der kurzfristige Genuss, zumal dieser über das Belohnungssystem hilft, mit Alltagsstress und anderen psychischen Belastungen besser klarzukommen.

Das kurzfristige Genussstreben steht im Fokus vieler Geschäftsinteressen. Stets präsente, verführerische Werbung, Druck durch „Peer Groups“ und eine „toxic food environment“ tragen dazu bei, dass sich Menschen allzu häufig gegen ihre langfristigen Interessen entscheiden und persönlichen Schaden in Form von Krankheiten und Verlust von Lebensqualität und Lebenserwartung in Kauf nehmen. Eine sinnvolle Synthese von beidem und ein gutes Gleichgewicht ist möglich, erfordert aber ein Umdenken des Individuums und der gesellschaftlichen Akteure.

Das One-Health-Konzept

Die Lösung für dieses Dilemma wäre ein umfassender systemischer Ansatz, wie er bereits seit Jahren als One-Health-Konzept diskutiert wird, aber von politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit noch nicht ernsthaft aufgegriffen wurde. Ziel sollte es sein, einen vernünftigen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Schutz der Ökosysteme und dem Freiheitsraum und der Lebensweise des Menschen. Diese Vision ließe sich schon längst verwirklichen, scheitert aber bislang am Beharrungsvermögen der Bevölkerung und an Geschäftsinteressen Einzelner bzw. kleiner Gruppen. Global betrachtet wächst der Handlungsdruck enorm, da der Klimawandel mit unglaublicher Wucht voranschreitet und immer stärker die Existenzgrundlagen vieler und gerade ärmerer Länder bedroht.

Gerade in jüngster Zeit wird der enge Zusammenhang zwischen Ernährung, Gesundheit und Ökobilanz immer stärker thematisiert und analysiert. Eine internationale Kommission hat im vergangenen Jahr einen Vorschlag unterbreitet, wie bei anhaltendem Bevölkerungswachstum (Annahme: Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050) die natürlichen Ressourcen erhalten und gleichzeitig alle Menschen ausreichend ernährt werden können.

Diese Vision würde allerdings eine dauerhafte Änderung der Ernährung des Menschen implizieren, mit dem Vorteil, dass damit auch ein erheblicher Gewinn an Gesundheit verbunden wäre. Dabei wird eine pflanzlich betonte Kost mit geringem Anteil von Fleisch und Fleischprodukten (< 300 g/ Woche) empfohlen, die weitgehend vor den weitverbreiteten Zivilisationskrankheiten schützen und Lebensqualität und -erwartung erhöhen dürfte.

Auch Artenvielfalt / Biodiversität würden deutlich profitieren und ein bedeutender Beitrag zum Erreichen der Klimaziele geleistet werden (Willett et al., 2019). Ein solch großer Wurf würde massive Änderungen unserer Landwirtschafts- und Ernährungssysteme sowie des Konsumverhaltens erfordern. Es wäre ein breiter systemischer Ansatz, der weit über die medizinische Perspektive hinausgeht und der Menschheit bei vielen aktuellen Herausforderungen gleichzeitig helfen könnte.

Gesunde und nachhaltige Ernährung

Das Thema gesunde und nachhaltige Ernährung war bereits vor der Covid-19-Pandemie „virulent“ mit vielen kreativen Ideen und Initiativen, die häufig von jungen Startups, aber auch von potenten Investoren, die z.B. auf pflanzliche, vegane Burger setzen, verfolgt wurden und werden. Auch an der Technischen Universität München (TUM) gibt es dazu eine Reihe von interessanten Aktivitäten.

Beispielsweise arbeitet das interdisziplinäre Kompetenzcluster der Ernährungsforschung „enable“, das an der TUM koordiniert wird, stark daran, beliebtes Fastfood ohne sensorische Einbußen gesünder zu machen, Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung für gesündere Alternativen zu unterstützen oder Kindern und Jugendlichen über unterhaltsame Spiele und andere Formate eine bessere Ernährung zu vermitteln, um nur wenige Beispiele zu nennen. Dafür bieten neue Technologien und die kreative Begeisterung junger Menschen sehr viel Potenzial. Am Ende brauchen wir aber koordinierte, systemische Ansätze aller Stakeholder, um den beschriebenen Herausforderungen angemessen zu begegnen und eine hohe Lebensqualität zu erhalten.

Literatur

GBD 2017 Diet Collaborators: Health effects of dietary risk in 195 countries, 1990– 2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet April 3, 2019

Willett W, Rockström J, Loke B et al.: Food in the anthropocene: the EAT-Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. Lancet January 16, 2019

Quelle: TUM