Heringsfischerei im Nordostatlantik vor Verlust des MSC-Zertifikats

Da sich Regierungen in den vergangenen Jahren nicht auf eine gemeinsame Fangquotenregelung einigen konnten, werden die MSC-zertifizierten Fischereien auf atlanto-skandischen Hering (1) ihr MSC-Zertifikat nach am 30. Dezember 2020 verlieren.

Etwa 600.000 bis 700.000 Tonnen atlanto-skandischen Hering fangen die von der Suspendierung bedrohten Fischereien pro Jahr, das sind 60 bis 65 Prozent aller MSC-zertifizierten Heringsfänge. Supermärkte und Fischhändler verkaufen den mit dem MSC-Siegel ausgezeichneten Hering an Endverbraucher in ganz Europa.

In den vergangenen Jahren haben die kombinierten Fangmengen der Fischereien die wissenschaftlich empfohlene Menge stets überschritten. Schuld daran waren und sind ein unzureichendes Bestandsmanagement, insbesondere das Fehlen einer gemeinsamen Fangquotenvereinbarung zwischen den involvierten Küstenländern und Fischereistaaten (Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Großbritannien, Island, die Färöer, Norwegen, Russland und Grönland). So haben die Fischereien im Jahr 2019 gemeinsam 777.165 Tonnen gefangen – 32 Prozent mehr als die vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) empfohlene Fangmenge für dieses Jahr.

Auch für das laufende Jahr 2020 ist angesichts der von den beteiligten Ländern angestrebten Fangmengen erneut mit einer Überschreitung der wissenschaftlich empfohlenen Fangmenge um fast ein Drittel (oder 168.312 Tonnen) zu rechnen (2).

Ohne Einigung ist der Heringsbestand in Gefahr

Die Fischerei auf atlanto-skandischen Hering ist klar dabei, die Schwelle zur Nachhaltigkeit zu unterlaufen (Fakten und Schaubilder). Auch die Fangmengen im Jahr 2021 müssen deutlich unterhalb der bisherigen Fangmengen liegen, wenn sich die beteiligten Staaten an die kürzlich vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) ausgesprochene wissenschaftliche Empfehlung für das Jahr 2021 halten wollen.

Bei der MSC-Zertifizierung der Heringsfischereien im Nordostatlantik vor fünf Jahren verwiesen die unabhängigen Gutachter darauf, dass das Fehlen eines internationalen Fangquotensystems langfristig eine Gefahr für den atlanto-skandischen Heringsbestand darstellen könne. Sie hatten die Fischereien daher mit der Auflage zertifiziert, dass bis 2020 ein vernünftiges Bestandsmanagement etabliert sein müsse – andernfalls würden die Fischereien ihre Zertifizierung wieder verlieren.

Das Programm des Marine Stewardship Council (MSC) ist darauf ausgerichtet, die langfristige Stabilität und Gesundheit von Fischbeständen zu sichern und zu gewährleisten. Den ungesunden Zyklus von Überfischung und Bestandserholung zu vermeiden, ist ein wichtiges Prinzip des MSC-Umweltstandards für nachhaltige Fischerei. Dies wird umso bedeutsamer mit Blick auf den Klimawandel, welcher die Produktivität von Fischbeständen zusätzlich belastet und ihre Verbreitung beeinflusst (3).

„Wir benötigen internationale Vereinbarungen“

Das Jahrestreffen der nordostatlantischen Küstenstaaten (Beginn: 5. Oktober 2020; hier werden internationale Maßnahmen für das Fischereimanagement vereinbart) ist eine Gelegenheit für die Regierungen, das Problem der fehlenden Quotenregelung zu lösen und so die langfristige Nachhaltigkeit des atlanto-skandischen Heringsbestandes zu sichern.

Der atlanto-skandische Hering hatte bereits in den 1960er Jahren die Auswirkungen von Überfischung zu spüren bekommen: Der Bestand, einst einer der größten Fischbestände der Welt, brach damals aufgrund von Überfischung zusammen. Es hat ihn 20 Jahre gekostet, sich wieder zu erholen.

Erin Priddle, MSC-Programmdirektorin für Nordeuropa, sagt:

„Wir appellieren an die Teilnehmer dieses internationalen Regierungstreffens im Oktober, sich zu einer Quotenaufteilung zu verpflichten, die der wissenschaftlichen Empfehlung entspricht. Nur so können wir die Stabilität des atlanto-skandischen Heringsbestands kurz-, mittel- und langfristig gewährleisten. Einzelne Fischereien betreiben einen enormen Aufwand, ihre Nachhaltigkeit zu verbessern. Doch alleine können sie es nicht schaffen. Weit wandernde Fischbestände, wie der des atlanto-skandischen Herings, achten nicht auf Landesgrenzen. Daher benötigen wir internationale Vereinbarungen und müssen dazu übergehen, Ökosysteme auf adaptive, wissenschaftsgeleitete Art und Weise als Ganzes zu managen, anstatt die Fischerei national zu verwalten.”

Die unabhängigen Gutachter, die die sehr wahrscheinliche Suspendierung der atlanto-skandischen Heringsfischereien beschieden haben, empfehlen noch einen weiteren Zertifikatsentzug: Ebenfalls in Ermangelung einer gemeinsamen Vereinbarung über Fangquotenregelungen sollen vier MSC-zertifizierte Fischereien, die im gleichen Fanggebiet  nach Blauem Wittling fischen, am 30. Dezember ihr MSC-Zertifikat verlieren.

Ebenfalls aus demselben Grund haben 2019 bereits die Makrelenfischer im Nordostatlantik ihr MSC-Zertifikat verloren. Aufgrund des schlechten Bestandsmanagements im Nordostatlantik ist ihr Zertifikat bis heute suspendiert.

ANMERKUNGEN:

1) Bei den vom Zertifikatsverlust betroffenen Fischereien handelt es sich um folgende Fischereien auf atlanto-skandischen Hering:

2) Die Zahl ergibt sich aus dem Verhältnis der Fangmengenempfehlung des ICES (525,594 tonnes) und der von den Fangnationen angekündigten Fangmengen (693,915 tonnes): ICES advice on fishing opportunities, catch and effort for Northeast Atlantic and Arctic Ocean ecoregions (2020) (S.3, Table 4)

3) IPCC Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate (2019) (Chapter 5)

Ein Faktenblatt zu atlanto-skandischen Hering gibt es hier.

Quelle: MSC