Wandel der Ernährung: Individuelle Lebensmittel mit Zusatznutzen

Online-Zukunftsforum DLG-Think Food im Rückblick: Intelligente Personalisierung auf dem Vormarsch.

Wie sieht die Welt von morgen aus? Personalisierte Ernährungslösungen gehören zu den großen Versprechen der Zukunft. Das verdeutlichte die Online-Konferenz „Think Food“ der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft). Das Zukunftsforum stand unter dem Leitthema „Personalisierte Lebensmittel – Produkte. Innovationen. Technologien“. Als junger Markt besitzt dieser neue Food-Trend ein enormes Potential. Wie dieses am besten erschlossen werden kann, ist allerdings noch unklar. Innovative Lösungen, die Orientierung bieten, sind gefragt.

Ernährungsbedingte Krankheiten verursachen heute rund zwei Drittel aller Kosten im Gesundheitssystem. Inwieweit spielen dabei genetische Faktoren eine Rolle? Etwa hundert Gene wurden laut Prof. Dr. Gunter P. Eckert, Institut für Ernährungswissenschaften der JLU Gießen, bereits identifiziert, die im Zusammenhang mit Übergewicht stehen. Zusammen mit dem rasanten Fortschritt der Genomik, die in immer kürzerer Zeit, immer mehr genetische Daten zu immer niedrigeren Kosten erhebt, keimt seinen Worten zufolge die Hoffnung, mit genetischen Analysen passgenaue Ernährungsempfehlungen zu erstellen.

Möglicherweise scheint für individuelle Empfehlungen, zumindest bei den meisten Menschen, die genetische Prägung allerdings weniger entscheidend zu sein als die aktuelle Stoffwechsellage. Diese lässt sich an Hand von Biomarkern ableiten, von denen mittlerweile viele günstig im Kapillarblut zu messen sind. Daraus ergeben sich neue Perspektiven für die Produktentwicklung. Innovationen sollten hier Orientierung geben.

Für Michael Gusko, GoodMills Innovation GmbH Hamburg, ist das Ziel klar definiert: Die Analyse von Biomarkern, Genom und Mikrobiom liefert messbare Richtwerte für eine individuelle gesunde Ernährung, um Wohlstandskrankheiten vorzubeugen. „Wie sich die Industrie diesen Markt am besten erschließt, ist aber noch unklar. Sicher ist jedoch, dass wir als Lebensmittelindustrie umdenken müssen – fort von kostengünstigen Produkten für einen Massenmarkt“, meinte Gusko. Diverse Start-ups haben seinen Worten zufolge dank innovativer Lösungen bereits in verschiedenen Marktsegmenten Fuß gefasst: Ihr Portfolio reicht von Fitness-Trackern und Wellness-Apps mit maßgeschneiderten Ernährungsempfehlungen, die auf Körpergröße, Gewicht und Fitness basieren, bis hin zu Anbietern von Genanalyse-Tools wie DNAfit und Mikrobiom-Analysen wie DayTwo aus Israel oder MillionFriends aus Deutschland.

Eine Personalisierung des Einkaufserlebnisses kann über Apps, aber auch mit Hilfe von anderen digitalen Angeboten im LEH künftig realisiert werden, berichtete Judith Neuhaus, DLG-Fachzentrum Lebensmittel. Sie stellte die Ergebnisse der dreiteiligen DLG-Studie „My Food – Personalisierung und Ernährung“ vor, die auf einer Verbraucher-, Unternehmens- und Expertenbefragung basiert. Für Supermärkte können beispielsweise Apps, QR-Codes oder auch Beratungsroboter spezielle Kundenfragen zu Lebensmitteln beantworten: Ist ein Produkt laktose- bzw. glutenfrei oder besonders nachhaltig? Verbraucher sehen in der Nutzung solcher Roboter oder Apps einen deutlichen Mehrwert, der zu mehr Lebensqualität führt. Intelligente Personalisierung erfordert seitens der Unternehmen aber auch individuelle Beratung und empathische Kundengespräche. Genaues Wissen über die Zielgruppe, Trends und das Produkt selbst sind die Grundlage für eine erfolgreiche Personalisierung.

Gesundheit ist und bleibt der zentrale Treiber für Food-Innovationen, das haben schon Free-From-Produkte, Superfoods oder Functional Food gezeigt. Wenn sich die Bedürfnisse der Konsumenten verändern, sollte das Angebot entsprechend angepasst werden. Doch nicht immer ist das der Fall. Enthält ein Lebensmittel Spuren von Allergenen oder nicht? Auf diese wichtige Frage gibt es für Lebensmittelallergiker bislang keine verlässliche Antwort, was sie in ihrer Essensauswahl deutlich einschränkt. Denn gesetzlich ist die Spurenkennzeichnung bislang nicht geregelt, betonte Sabine Schnadt, Deutscher Allergie- und Asthmabund, Mönchengladbach. Dies stellt Hersteller, Handel und Allergiker derzeit vor große Herausforderungen. Denn in relevanten Mengen können unbeabsichtigte Einträge bei betroffenen Verbrauchern zu unerwünschten allergischen Reaktionen führen. Entwicklungen im Bereich personalisierte Ernährung werden deshalb intensiv verfolgt.

Neben der Gesundheit interessieren sich Verbraucher zunehmend auch für die Qualität und Wirkung von Lebensmitteln, betonte Prof. Dr. Gertrud Morlock, Lehrstuhl für Lebensmittelwissenschaften, JLU Gießen. Sie erforscht, ob bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe eine positive, gesundheitliche Wirkung aufweisen, die z.B. Potential für einen Health Claim oder Functional Food hat. Gerade in diesem Bereich stehen Authentizitätsprüfungen und genaue Laboranalysen im Fokus. Weil Funktionalität in einer leistungsorientierten Zukunft immer wichtiger wird, müssen Lebensmittel zusätzlich auch ihren Zusatznutzen verstärkt unter Beweis stellen.

Grundsätzlich gibt es Lebensmittel, die die Personalisierung leichter machen als andere. So sind z.B. Müslis, also eine Kombination texturähnlicher Einzelkomponenten, durch einfaches Zusammenschütten einfach zu personalisieren. Bei Saucen gestaltet sich das schwieriger. Es werden dort auch Einzelkomponenten vermischt, aber durch einen zusätzlichen prozessualen Schritt wird das Lebensmittel erst danach verzehrfähig. Es durchläuft also einen tieferen Produktionsprozess und damit verringert sich die Möglichkeit der gezielten Individualisierung.

Um den Markt der personalisierten Lebensmittel bedienen zu können, stehen Industrieunternehmen deshalb vor großen Herausforderungen, berichteten Marcel und Linda Boltz, Unternehmensberatung Wert & Ehrlich Hamburg. Wenn Lebensmittelunternehmen das Spannungsfeld zwischen gewohnter Massenproduktion und einzeln anzufertigenden personalisierten Lebensmitteln lösen wollen, ist es sinnvoll, eine kundenzentrische Produktstrategie einzuführen. Nach Ansicht von Marcel und Linda Boltz eignet sich Open Space Change ideal dafür: Es spricht eine Einladung an alle Mitarbeiter aus – nicht nur an die agilsten – und es erlaubt durch Lean Change die Zusammenarbeit so zu organisieren, dass diese angemessen für das jeweilige Unternehmen ist und besondere Sachzwänge dabei berücksichtigt werden. Dieses Vorgehen ermöglicht Unternehmen aus eigener Kraft nötige Veränderungen auf dem Weg zu personalisierten Lebensmitteln zu entwickeln, Anpassungen selber zu implementieren und dabei alle Beteiligten mitzunehmen.

Quelle: DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft e.V.)