Prädiabetes – Neue Erkenntnisse zu Erkrankungssubtypen ebnen den Weg für individuelle Prävention

Typ-2-Diabetes ist keine Erkrankung, die plötzlich entsteht. Meist entwickelt er sich über Jahre hinweg aus einer Vorstufe heraus, dem sogenannten Prädiabetes.

Auch wenn der Betroffene selbst nichts merkt und die Blutzuckerwerte noch unter dem kritischen Diagnosewert liegen, ist die Regulation des Blutzuckerspiegels schon in dieser Phase leicht beeinträchtigt.

Trotzdem bilden Menschen mit Prädiabetes keine homogene Gruppe, wie Mediziner der Universitätsklinik Tübingen, des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) in der Fachzeitschrift Nature Medicine erklären. Im Rahmen einer Langzeitstudie konnten sie sechs Subtypen des Prädiabetes identifizieren, die sich in Bezug auf Risikofaktoren, Krankheitsentstehung und Prognose deutlich unterscheiden. Laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und DZD, könnten sich daraus wichtige Ansätze für individuell angepasste präventive und therapeutische Maßnahmen ergeben.

Ein Lebensstil mit wenig Bewegung, viel sitzender Tätigkeit, unausgewogene Ernährung und Übergewicht gilt als Ursache für einen Typ-2-Diabetes. Seit Jahrzehnten steigt weltweit die Zahl der Betroffenen; allein in Deutschland sind mittlerweile mehr als acht Millionen Menschen von der gravierenden Stoffwechselstörung betroffen. „Wie rasch sich aus einem Prädiabetes ein manifester Diabetes entwickelt und welches Risiko für Folgeerkrankungen besteht, ist jedoch von Patient zu Patient sehr unterschiedlich“, so Professor Dr. med. Robert Wagner vom Universitätsklinikum Tübingen. Er nutzte die Daten von Probanden der Tübinger Familienstudie und des Tübinger Lebensstilprogramm (TULIP), die Professor Dr. med. Dr. h.c. mult. Hans-Ulrich Häring vor 25 Jahren initiierte, um die ursächlichen Krankheitsmechanismen für Diabetes zu verstehen.

Die Studienteilnehmer mit hohem Diabetesrisiko wurden regelmäßig klinisch, laborchemisch sowie in der Kernspintomografie phänotypisiert. „Neben Parametern des Zuckerstoffwechsels wurden nun auch die Insulinsekretion und -sensitivität gemessen, sowie die Verteilung des Körperfetts, die Blutfettwerte und genetische Faktoren analysiert“, erklärt Wagner die Vorgehensweise der Langzeitstudie.

Die Daten der rund 900 Probanden dienten als Grundlage für eine sogenannte Clusteranalyse. Das Ergebnis war eindeutig: „Es zeigten sich bei den Probanden sechs Subtypen, die sich hinsichtlich ihrer individuellen Risikofaktoren, als auch beim weiteren Krankheitsverlauf – also der Entwicklung eines manifesten Diabetes und des Risikos für Folgeerkrankungen – deutlich unterschieden“, erläutert einer der Studienleiter Professor Dr. med. Andreas Fritsche. Beispielsweise laufe nicht jede Person mit Übergewicht automatisch auch Gefahr, einen manifesten Diabetes zu entwickeln.

„Erst die Kombination einzelner Parameter wie Körperfettverteilung oder Insulinsensitivität macht eine klarere Einschätzung möglich. Allein aufgrund der Blutzuckerwerte, auf der die Diagnose von einem Prädiabetes oder Diabetes meist fußt, konnten wir diese Vorhersagen zu einer späteren Manifestation eines Diabetes bei den Probanden jedoch nicht treffen“, so die Studienleiter Häring und Fritsche. Die Studie zeige deutlich, wie wichtig es ist, auch andere Parameter neben den Blutzuckerspiegeln für eine Risikoeinschätzung einzubeziehen. „Aufbauend auf diesen bahnbrechenden Ergebnissen werden wir zukünftig die Mechanismen und maßgeschneiderte therapeutische Strategien in den Hochrisikoclustern untersuchen“, so Professor Dr. med. Andreas Birkenfeld, Ärztlicher Direktor der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie vom Universitätsklinikum Tübingen und DZD-Sprecher.

Für DDG und DZD sind diese neuen Erkenntnisse ebenfalls Grundlage für weitere prospektive Studien. „Es ist von immenser Bedeutung, die Frühphase der Stoffwechselerkrankung weiter zu erforschen – auch angesichts der weiter steigenden Zahlen der Diabeteserkrankten. Erst so können individuell angepasste Präventions- und Therapiemaßnahmen entwickelt und eingeleitet werden“, sagt DDG-Präsidentin Professor Dr. med. Monika Kellerer. „Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt in Richtung Präzisionsmedizin. Daran arbeiten wir im DZD weiter“, betont DZD-Vorstand Professor Dr. Dr. h.c. mult. Martin Hrabě de Angelis. Die aktuelle Studie zeige auch beispielhaft, wie wichtig die Verzahnung von Biochemie, Bioinformatik und universitärer klinischer Forschung sei – letztlich zum Wohle der Patienten.

Literatur:
Wagner, R., Heni, M., Tabák, A.G. et al. Pathophysiology-based subphenotyping of individuals at elevated risk for type 2 diabetes. Nat Med 27, 49–57 (2021). https://doi.org/10.1038/s41591-020-1116-9

Quelle: Christina Seddig Pressestelle
Deutsche Diabetes Gesellschaft