Landwirtschaft im Klimawandel: Europa will dafür neue Züchtungstechnologien nutzen

Neue Züchtungsverfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas können „zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen“ und passen zu den ehrgeizigen Zielen des Green Deal, so das Ergebnis einer groß angelegten Studie der EU-Kommission.

Doch derzeit sind Tests und Anbau solcher Pflanzen im Freiland de-facto verboten. Das zwanzig Jahre alte Gentechnik-Recht sei deswegen nicht mehr zweckmäßig. Umwelt- und Aktionsgruppen laufen dagegen Sturm.

Es war eine „Sensation“ (Die Zeit), als die EU-Kommission am 29. April ihre mit Spannung erwartete Studie zu neuen Züchtungstechniken (oder New Genomic Techniques, NGT) vorstellte. Den Auftrag hatte der Rat der Europäischen Union Anfang 2019 erteilt. Dazu hatte die Kommission nicht nur wissenschaftliche Expertise eingeholt, sondern auch die Mitgliedstaaten und eine Vielzahl von Interessengruppen konsultiert. Zudem flossen Gutachten der Europäischen Behörden für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und des Europäischen Ethikrates ein.

Lange hatte die EU vor sich hergeschoben, wie sie mit den neuen Verfahren – etwa der Gen-Schere CRISPR/Cas – umgehen sollte. Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2018 fallen damit entwickelte Pflanzen unter das Gentechnik-Recht. Das kommt nicht nur einem Anbau- und Anwendungsverbot gleich, sondern mobilisiert auch die in der Gesellschaft weit verbreiteten Anti-Gentechnik-Reflexe.

Um so überraschender die zentralen Ergebnisse der Studie: „Mit Pflanzen, die gegenüber Krankheiten, Umweltbedingungen und Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger sind, können die NGT zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen beitragen. Für diese Erzeugnisse spricht darüber hinaus … ein geringerer Bedarf an landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, etwa Pestiziden.“ Um diese Potenziale nutzen zu können, müssten die geltenden Gentechnik-Vorschriften an den „wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden.“

Sofort setzte heftiger Gegenwind ein. „Heute ist ein schwarzer Tag für die Natur“, postete Starköchin und Grüne Europaabgeordnete Sarah Wiener auf Facebook. „Der Bericht stellt eine Bedrohung für das europäische Vorsorgeprinzip dar“, ergänzte der Grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner. Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) ging mit „Auch Neue Gentechnik ist Gentechnik“ auf Kollisionskurs.

Ein paar Tage zuvor hatten 94 Verbände und Gruppierungen vorwiegend aus der Umwelt- und Öko-Szene in einem gemeinsamen Brief dafür geworben, die neuen Verfahren „strikt“ als Gentechnik zu regulieren. Sie stellten eine „neue Dimension der Eingriffstiefe ins Genom“ dar, verbunden mit „großen Risiken für Mensch, Tier und Umwelt.“

Mit ihrer Rhetorik wollen die NGOs erreichen, dass auch die neuen, mit Genome Editing entwickelten Pflanzen automatisch der „Gentechnik“ zugeschlagen werden. Dazu wiederholen sie die gleichen pauschalen Einwände wie seit 25 Jahren, unterlegt mit einer moralisch überhöhten Natürlichkeit. Gegen das gesellschaftliche Negativ-Image der Gentechnik haben die neuen Verfahren kaum eine Chance – allerdings nur, wenn beides ohne Unterschiede in den gleichen Topf geworfen wird.

Doch die neuen Verfahren sind weit mehr als eine etwas modernere Variante der alten Gentechnik. Genome Editing ist ein Quantensprung, eine nobelpreiswürdige Revolution in der Molekularbiologie: Damit müssen nicht mehr „fremde“ Gene von außen eingeführt werden, ohne zu wissen, wo sie im Erbgut landen, sonders erstmals ist es möglich, gezielt an einer vorbestimmten Stelle im Genom eine Punktmutation herbeizuführen – im Prinzip nicht anders als bei jeder natürlichen Mutation.

In der Wissenschaft ist es weitgehend Konsens, immer wieder bestätigt von zahlreichen Akademien, Expertenkommissionen und Fachgesellschaften: Ist in einer genom-editierten Pflanze keine Fremd-DNA vorhanden und hätte sie so auch unter natürlichen Bedingungen entstehen können, soll sie nicht mehr als GVO gelten, sondern eher wie eine klassisch gezüchtete Pflanze bewertet werden.

So eindeutig die Wissenschaft auch ist, das über Jahre gewachsene gesellschaftliche Unbehagen gegenüber der Gentechnik lässt sich nicht so schnell entkräften.

Doch nicht zuletzt der Klimawandel und die Jahrhundertaufgabe einer nachhaltigen, weniger Ressourcen verbrauchenden Landwirtschaft erzwingen es, die alten Gegensätze „öko“ und „konventionell“, „natürlich“ und „gentechnisch“ zu überwinden. Bis 2030 will die EU den Einsatz „chemischer Pestizide“ halbieren, den Düngemitteleinsatz um 20 Prozent reduzieren und den Anteil von Öko-Landwirtschaft auf mindestens ein Viertel steigern, so will es die Farm to Fork-Strategie, ein „Eckpfeiler des europäischen Green Deal“.

Das alles bedeutet erst einmal weniger Erträge. Wenn nicht zusätzliche Flächen „unter den Pflug kommen“ sollen, wird es ohne technologische und züchterische Innovationen nicht gelingen, in Europa genug Lebensmittel zu erzeugen. Gerade ist eine wissenschaftliche Publikation einer internationalen Autorengruppe erschienen. Unterlegt mit Beispielen aus Forschung und Entwicklung plädiert sie für eine Kombination aus Ökologischem Landbau und neuen biotechnologischen Züchtungsverfahren, um auch mit weniger Flächen- und Ressourcenverbrauch auf längere Sicht eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln gewährleisten zu können.

Doch bisher verhindern die „nicht mehr zweckmäßigen“ Gentechnik-Gesetze, das Potenzial der neuen Verfahren zu nutzen. Darauf weist auch die Studie der EU-Kommission immer wieder hin. Bis zu einer Überarbeitung ist es noch ein weiter Weg. Im Mai will der Europäische Rat erstmals über die Studie und die daraus folgenden Schritte beraten. Einem erneuerten Gesetz müssen auch EU-Parlament und Mitgliedstaaten mehrheitlich zustimmen. Mindestens drei Jahre wird es wohl dauern – und wie es dann am Ende aussieht, weiß heute niemand.

Bis dahin wird es vermutlich genug genom-editierte Pflanzen geben, die zeigen können, was möglich ist. Allerdings: Außerhalb der Europäischen Union.

Quelle: transGEN