WWF kritisiert gravierende Mängel im MSC-Zertifizierungsprozess

Der WWF hat seinen Einspruch gegen die MSC-Rezertifizierung der norwegischen Offshore-Kabeljaufischerei zurückgezogen, obwohl die Fischerei nach Ansicht des WWF aufgrund von Beifang gefährdeter Arten nicht nachhaltig fischt.

In den Monaten zuvor hatte der WWF mehrere Entscheidungen im Zertifizierungsprozess aufgedeckt, die die Umwelt schädigen, statt sie zu schützen. Die strukturelle Dysfunktionalität im MSC-Zertifizierungssystem führte allerdings dazu, dass die meisten dieser Punkte im Einspruchsverfahren keinerlei Berücksichtigung gefunden und der Einspruch, der mit hohen finanziellen Mitteln verbunden ist, so keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. „Aus Sicht des WWF hat das MSC-System gravierende Mängel. Es lässt Umweltzerstörung wissentlich zu und kann nachhaltige Fischerei deshalb nicht garantieren“, so Philipp Kanstinger, Fischereiexperte beim WWF Deutschland.

Die norwegische Kabeljaufischerei wurde erstmalig 2010 MSC-zertifiziert, in diesem Jahr steht standardmäßig eine Neuüberprüfung an. Das Ziel ist die erneute Zertifizierung der Fischerei. In diesem Prozess hat der WWF auf die negativen Auswirkungen der Kabeljaufischerei auf den gefährdeten goldenen Rotbarsch und den Beifang von geschützten Korallen und Schwämmen hingewiesen. Darüber hinaus wurden keine ausreichenden Vorsorgemaßnahmen getroffen, um langfristige Schäden an empfindlichen marinen Ökosystemen wie Tiefseekorallengärten und Schwammwäldern zu reduzieren. Die Ökoregion Barentssee ist ein Gebiet mit außergewöhnlicher Biodiversität. Es hat die weltweit höchste Dichte an wandernden Seevögeln, einige der größten Fischgründe der Welt, vielfältige und seltene Gemeinschaften von Meeressäugern und das größte Tiefseekorallenriff der Welt.

Am Ende des Bewertungsprozesses erhob der WWF einen Einspruch gegen die Rezertifizierung, weil der Zertifizierer die angesprochenen Punkte nicht ausreichend berücksichtigte. In der anschließenden ersten Phase des Einspruchsverfahrens entschied der vom MSC einbestellte Richter, dass der Einspruch bezüglich der Nichteinhaltung der Meldepflicht und der nicht ausreichenden Schutzmaßnahmen für Korallen und Schwämme nicht angenommen wird. Damit wurde das Vorsorgeprinzip für eine Fischerei missachtet, die mit schwerem und unselektivem Gerät in einem sensiblen Ökosystem fischt. „Die norwegische Kabeljaufischerei ist gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Korallen- und Schwammbeifänge zu melden. Bisher gab es allerdings keine einzige Meldung. Wir wissen jedoch durch die Auswertung von GPS-Schiffsdaten, dass die Fischerei mit Grundschleppnetzen in Gebieten mit Korallen und Schwämmen fischt. Außerdem melden Kabeljaufischereien anderer Nationen, wie z.B. Russland, regelmäßig Korallen und Schwammbeifänge und sie fischen mit dem gleichen Fanggerät in den gleichen Gebieten. Schon der Zertifizierer ist dieser Unstimmigkeit nicht nachgegangen. Noch unverständlicher ist, dass nun der unabhängige Richter unseren Einspruch mit der Begründung abgelehnt hat, dass die Einschätzung der Legalität allein im Ermessen des Zertifizierers liegt“, erklärt Philipp Kanstinger.

Zudem bedroht die Fischerei den kollabierten Bestand des goldenen Rotbarsches, der im Fanggebiet der norwegischen Kabeljaufischerei beheimatet ist. Die Fischerei hatte seit Anfang ihrer MSC-Zertifizierung (2010) die Auflage, Beifänge dieser bedrohten Art zu vermeiden. Doch in dem zertifizierten Zeitraum nahm der Fischereidruck auf die Art weiter zu, aktuell ist er sechsmal höher als nachhaltig und der Bestand ist im Zertifizierungszeitraum um weitere 50 Prozent gesunken. Kurz vor dem Beginn des Rezertifizierungsprozesses der Fischerei wurde diese Auflage gestrichen. Der Zertifizierer begründet dies mit einer Neuinterpretation des MSC-Regelwerks, nach der goldener Rotbarsch nicht mehr als bedrohte Art klassifiziert wird. “Der goldene Rotbarsch wird auf der Roten Liste von Norwegen und in den Managementplänen für die Barentsee-Fischerei als bedrohte Art eingestuft. Der Zertifizierer entschied jedoch, dass der kollabierte Bestand im MSC-Kontext plötzlich nicht mehr bedroht sei. Das ist ein Irrsinn, auf den wir seit Monaten aufmerksam machen“, so Philipp Kanstinger. „Im vorherigen Einspruchsverfahren des WWF, das sich auf das gleiche Gebiet bezog, interpretierte der Zertifizierer, dass Tiefseekorallengärten und Schwammfelder nicht mehr gefährdet seien, wenn sie außerhalb von Schutzgebieten wachsen. Wir sind nicht bereit, uns erneut auf einen solchen kafkaesken Prozess einzulassen.“

Der WWF hat sich daher aus dem Einspruchsverfahren zurückgezogen und setzt die Gespräche mit der norwegischen Fischerei fort, um den Beifang von Korallen, Schwämmen und anderen gefährdeten Arten zu minimieren. Darüber hinaus fordert der WWF den MSC auf, wissenschaftsbasierte und objektive Bewertungen zu gewährleisten. Zertifizierungsbüros (CABs), die Bewertungen vornehmen, müssen unparteiisch sein und objektiv und unabhängig von ihren Auftraggebern handeln. Der MSC-Zertifizierungsprozess braucht zusätzliche Kontrollen und Verfahren, um sicherzustellen, dass die Kommentare von Peer-Reviewern und Stakeholdern vollständig berücksichtigt werden und dass nach dem Vorsorgeansatz gehandelt wird.

Zum Hintergrund

Der WWF hat bisher Einsprüche gegen 21 MSC Zertifizierungen eingelegt, darunter die gemeinsame Grundfisch-Schleppnetzfischerei in der Nordsee, die Thunfischfischerei im nordöstlichen tropischen Pazifik, die Echebastar-Fischerei auf Echten Bonito im Indischen Ozean und die Fischerei auf Roten Thun im Atlantik. Der Einspruch gegen die vorgeschlagene Zertifizierung der Galicischen Miesmuschel ist noch nicht abgeschlossen. Die Einsprüche waren weitgehend unwirksam, um eine vorzeitige Zertifizierung von Fischereien mit komplexen Nachhaltigkeitsfragen zu verhindern oder zu verbessern.

Quelle: WWF