Fairtrade Zertifizierung | Wie funktioniert Fairtrade?

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In einkommensschwachen Regionen ist die kleinbäuerliche Landwirtschaft für rund 70% der Familien die größte Quelle an Einkommens-, Job- und Lebensmittelsicherheit.

Obwohl die meiste Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in unserer Welt von kleinbäuerlichen Betrieben kommen, sind die dort arbeitenden Landwirte oft leider höheren Risiken, unausgewogener Verhandlungsmacht und oft unfairen Handelspraktiken ausgesetzt.

Was ist Fairtrade?

Was genau ist also Fairtrade? Das Fairtrade Zertifizierungssystem entstand aus einer Bewegung, um Ungerechtigkeiten im Handelsmarkt zu beseitigen. Das Fairtrade Modell fordert von Firmen, dass sie gerechte Preise an Kleinbauern bezahlen und gleichzeitig von den Herstellern, dass sie höhere ethische und umweltfreundliche Standards haben, was dazu beiträgt die Rechte von Arbeitern sowie die Umwelt zu schützen. Fairtrade zertifizierte Produkte können beispielsweise von Kakao, Kaffee, zu Bananen oder Tee, bis zu Kräutern und vieles mehr reichen.

Heute konzentriert sich Fairtrade darauf, gemeinsam mit Kleinproduzenten und Arbeitern in einkommensschwachen Regionen bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese neuen Bedingungen geben ihnen Zugriff zu internationalen Märkten, und was noch wichtiger ist, ein wirklich stabiles Einkommen. Um den Einfluss von Fairtrade zu verstehen müssen wir uns aber erstmal mit der Ungerechtigkeit des konventionellen Handelssystems befassen.

Probleme mit konventionellem Handel

Das Handelssystem ist komplex und voll von verschiedenen Akteuren und Risiken. Innerhalb des Handels gibt es Hersteller, Käufer (wie Produzenten oder Lieferanten), Transporter und Händler (wie Großhändler oder Lebensmittelgeschäfte) – jeder mit seinen eigenen Risiken, wie Schädlingsbefall, die Verfügbarkeit von Transportmittel oder der Verlust von Produktqualität oder -quantität. All diese Akteure werden im konventionellen Markt den Risiken, wie Nachfrage oder Preis ausgesetzt. Wenn jede Gruppe also seinen eigenen Risiken ausgesetzt wird, was macht die Kleinbauern in einkommensschwachen Regionen dann so viel angreifbarer?

1. Fehlende Infrastruktur des Markts

Kleinbauern werden oft unversicherten Risiken ausgesetzt, besonders wenn sie aus ärmeren Regionen mit einer weniger entwickelten Infrastruktur kommen. Ihnen fehlt oft der Zugang zu Informationen über die Marktpreise, Nachfrage oder sogar alternative Handelskanäle. Dies stellt Kleinbauern schon auf eine niedrigere Verhandlungsposition mit Käufern, vor allem wenn sie als individuelle Kleinbauern mit größeren, mehr etablierten Käufern verhandeln.

In einem globalisierten Handelssystem, in dem schriftliche Verträge und Bedingungen üblich sind, können Kleinproduzenten zusätzliche Herausforderungen bei der Durchsetzung von Vereinbarungen haben. Das kommt daher, dass sie an eine Handelskultur gewöhnt sind, die auf mündlichen Vereinbarungen und zwischenmenschlichen Beziehungen aufgebaut ist. Ohne schriftliche Verträge können Käufer aus den zuvor vereinbarten Käufen ohne rechtliche Konsequenzen zurücktreten und die Hersteller mit unverkaufter und verderblichen Ware zurücklassen, was den Wert verringert.

2. Produktionskosten und -risiken

Die Herstellung von Qualitäts-Lebensmitteln kann für Kleinbauern sehr schwierig sein. Neben den üblichen Risiken, wie Dürre, Flut, Hagel, Schädlingsbefall und Krankheiten, haben viele Kleinbauern auch noch Produktionskosten. Sei es durch Investitionen in Land, Schädlingsbekämpfungsmittel, Düngemittel, landwirtschaftliche Technologien und Systeme oder sogar zusätzliche Arbeit, wenn sie nicht genug helfende Hände in der Familie haben. Diese Produktionskosten steigen nur, wenn Hersteller sich auch noch an die Probleme durch den Klimawandel, wie Wassermangel und Naturkatastrophen anpassen müssen. Diese Probleme wirken sich noch stärker auf Kleinbauern aus, da sie tendenziell geringere Produktionsmengen und geringere Gewinnmargen haben.

3. Preisschwankungen und unbeständige Märkte

Während die Produktionskosten ansteigen, bekommen Kleinbauern zusätzlichen Druck von einem unbeständigen Markt: Produkte können den einen Monat eine höhere Nachfrage und Marktpreis haben, nur um dann den nächsten Monat wieder zu sinken. Diese Schwankungen wirken sich letztendlich auf die Einnahmen der Kleinbauern aus, sei es zum Guten oder zum Schlechten. Im schlimmsten Fall sind Kleinbauern oft finanziell stärker betroffen als andere Akteure im Handelssystem. Manchmal sinken die Marktpreise sogar unter die Produktionskosten. Dies bedeutet einen Verlust für Kleinbauern, der erschütternd sein kann, wenn man bedenkt, dass viele dieser Produzenten bereits in Armut leben.

Solche angespannten Finanzen und Ressourcen wirken sich folglich auf Landarbeiter und Arbeiter aus, sei es in Form von unfairer Bezahlung, illegaler Arbeit oder schlechten Arbeitsbedingungen (wie lange Arbeitstage und schlechte Hygienebedingungen).

Wie unterscheidet sich das Fairtrade Zertifizierungssystem?

Das Fairtrade Zertifizierungssystem ist letztendlich dazu da, um Kleinbauern und Arbeiter vor ausbeuterischen Handelsverhalten zu schützen und ihnen gleichzeitig mehr Macht zu geben, um ihre eigene wirtschaftliche Stellung durch gerechtere Rahmenbedingungen zu verbessern. Wie funktioniert es also genau?

Gemeinsam arbeiten, nicht isoliert

Kleinbauern können es schwierig finden Zugang zum globalen Markt zu finden, wenn sie nur mit ein paar Hektar Land alleine sind. Unter dem Fairtrade Modell kommen mehrere Landwirte in Gruppen zusammen, um sich in lokalen ‚Genossenschaften‘ zusammen zu tun, die ihre Verhandlungsmacht verstärkt. Die Genossenschaften haben ein demokratisches System, die Entscheidungen werden also durch Wahlen entschieden. Dieses Konzept ist nicht viel anders als Gewerkschaften, in denen organisierte Arbeitergruppierungen durch ein Tarifvertragsrecht größeren Einfluss auf ihre Löhne und Arbeitsverhältnisse haben.

„Durch das zusammenbringen all dieser Hersteller und ihre Organisation in einer Genossenschaft werden sie tatsächlich viel stärker. Viel stärker, um zu verhandeln, aber auch viel stärker, um ihre eigenen landwirtschaftlichen Anwendungen und Gemeinden zu entwickeln, da die Zusammenkunft in Genossenschaften es ihnen ermöglicht Schulen und Kliniken oder sogar Straßen zu bauen. Dies sind alles reale Beispiele, die in der Fairtrade-Familie vorkommen. Der Einfluss von Fairtrade beginnt sogar schon bevor überhaupt ein Handel stattfindet,“ sagt Peter d’Angemond, Geschäftsführer von Fairtrade Netherlands.

Das Erschaffen einer Infrastruktur für gerechten Handel

Innerhalb des Zertifizierungssystems gibt es Fairtrade zertifizierte Käufer und Hersteller. Um eine Fairtrade Zertifizierung zu bekommen müssen beide Gruppen ihren Fairtrade-Standards folgen. Für Käufer bedeuten diese Fairtrade Standards, dass sie die Hersteller schützen, was Langzeitverträge mit Kleinbauern und Vorauszahlungen vor der Ernte bedeuten. Dies soll einen verlässlichen Rahmen schaffen und stabilere Beziehungen zwischen Kleinbauern und ihren Abnehmern oder Händlern schaffen.

Gerechte und nachhaltige Preise festlegen

Das vielleicht einzigartigste am Fairtrade System ist der „Mindestpreis“ und das zusätzliche „Prämien“ Zahlungsmodell, dessen Ziel es ist den Einfluss von unbeständigen Märkten auf Kleinbauern entgegen zu wirken. Fairtrade zertifizierte Käufer müssen den Landwirten einen Mindestpreis oder aber den aktuellen Marktpreis für ihre Produkte bezahlen, es kommt darauf an welcher gerade höher ist. Verschiedene Produkte haben verschiedene Mindestpreise, die durch Abstimmung von Fairtrade-Herstellern bestimmt werden (da diese tatsächlich 50% der Fairtrade-Organisation besitzen).

In die lokalen Gemeinden investieren

Zusätzlich zum Mindestpreis müssen die Käufer auch eine ‚Fairtrade-Prämie‘ bezahlen. Jedes Produkt hat seinen eigenen Prämien-Betrag. Diese Prämien dienen als zusätzliche Gelder, die zum investieren in die Gemeinde (zum Beispiel für Straßen, Schulen, Wasserrohre, etc.), Geschäftsangelegenheiten (wie Schulungen und Ressourcen) genutzt werden können. Dieses Geld wird in einen Topf gesteckt, damit die kleinbäuerlichen Genossenschaften demokratisch darüber abstimmen können, für was und wie sie die Prämien investieren wollen.

Alle Transaktionen, die zwischen den Fairtrade Herstellern und Käufern stattfinden müssen in Form eines Vertrages aufgezeichnet werden. Diese Transaktionen werden regelmäßig von Dritten geprüft, um sicher zu stellen, dass die Hersteller angemessen mit dem Mindestpreis und der Prämie zu ihren Produkten bezahlt wurden.

Kommt Fairtrade auch den Landwirtschafts-Arbeitern zugute?

Dir wird vielleicht aufgefallen sein, dass wir nur besprochen haben, inwieweit Fairtrade die Kleinbauern beeinflusst. Was ist aber mit dem Einfluss auf die landwirtschaftlichen Arbeiter? Die Hilfsarbeiter sind die am stärksten marginalisierte Gruppe in der Nahrungskette, verdienen das niedrigste Einkommen und sind zusätzlich oft ungerechten Arbeitsverhältnissen ausgesetzt. Funktioniert das Fairtrade-System auch in der Hinsicht, dass es auch diese Arbeiter stärkt?

Ja, Fairtrade hat auch Zertifizierungsstandards für seine Hersteller – egal ob es Kleinbauern sind oder größere Güter und Plantagen. Diese sind so konstruiert, dass sie für soziale und ökologische Kriterien verantwortlich gemacht werden können. Zusätzlich zum Befolgen von nationalen Arbeits- und Umweltrechten beinhalten die Fairtrade Standards auch:

  • Keinerlei Missbrauch (das beinhaltet auch den verbalen Missbrauch)
  • Keinerlei Diskriminierung gegen irgendein Mitglied oder irgendeine soziale Gruppe
  • Lohnsätze müssen gleich oder höher sein, als die gesetzlichen und regionalen Mindestlöhne
  • Verbotener Einsatz von Schwarzarbeit, Zwangsarbeit und Kinderarbeit
  • Verbotener Einsatz von Gefahrenstoffen
  • Verbotener Einsatz von genetisch veränderte Organismen (GVOs)

Die Fairtrade Zertifizierung von größeren Gütern und Plantagen gilt für bestimmte Produkte (wie Bananenplantagen, Tee-Güter), während die Zertifizierung von anderen Produkten (wie Kaffee und Kakao) nur auf kleinbäuerliche Genossenschaften beschränkt ist. Überprüfungen werden regelmäßig von FLOCERT, einem unabhängigen externen Prüfer durchgeführt, um sicherzugehen, dass alle Produkte den Fairtrade Standards entsprechen. Während Fairtrade die Entwicklung fördert und Möglichkeiten bietet, unerfüllte Standards anzugehen, werden sämtliche Hersteller Organisationen oder Händler, die gegen wesentliche Kernanforderungen (z. B. illegale Arbeit) verstoßen, suspendiert oder dezertifiziert.

Die Rechte der Arbeiter schützen

Es ist wichtig zu wissen, dass kleinbäuerliche Farmen in einkommensschwachen Regionen normalerweise von Familien besessen und betrieben werden. Manchmal stellen größere kleinbäuerliche Betriebe dennoch Arbeiter ein, allerdings sind ländliche Gemeinden oft auf soziale Beziehungen (wie Verwandte und Nachbarn) angewiesen, um zusätzliche Hilfe zu erhalten. Diese Arbeiten werden in der Regel informell vereinbart weswegen es an offiziellen vertraglichen Diensten fehlen kann.

Auf Plantagen oder Gütern hingegen werden normalerweise Arbeiter eingestellt, um sich um die Pflanzen und Ernte zu kümmern. Hier schaffen die Fairtrade Standards eine Infrastruktur, um Leiharbeiter zu schützen und zu stärken. Fairtrade zertifizierte Plantagen oder Gütern müssen Verträge für ihre Leiharbeiter haben und ihnen erlauben sich zusammenzuschließen, um für ihre Rechte einzustehen. Außerdem müssen sie die Fairtrade Standards für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Arbeiter (zusätzlich zu den sozialen Kriterien, die schon erwähnt wurden) einhalten.

Fairtrade-Prämien für Arbeiter

Die Fairtrade-Prämien sind auch für Lohnarbeiter auf Fairtrade zertifizierten Plantagen oder Gütern reserviert. Die Prämien werden in der Regel einem gemeinsamen Ausschuss auf der Plantage übergeben, der von den Arbeitern verwaltet wird. Sie selber können zusammen entscheiden, was sie mit der Prämie anstellen wollen – ohne, dass der Plantagen Eigentümer was dazu sagen kann. Besonders bei Leiharbeitern können diese Prämien als Zusatzlohn oder als Lohnaufstockung verwendet werden, da zwischen dem gezahlten Mindestlohn und einem existenzsichernden Einkommen oft eine Lücke besteht.

„Ein existenzsicherndes Einkommen ist nicht dasselbe wie der Mindestlohn. Viele Länder verwenden tatsächlich ein Mindestlohnniveau, es könnte aber auch einfach nicht reichen, um die Situation zu verändern. Der Punkt eines existenzsichernden Einkommens ist ein Lohn, der sich an den Lebenshaltungskosten orientiert: was sind die Kosten einer vernünftigen Unterkunft, vernünftigen Lebensmitteln, vernünftiger Bildung, Zugang zu medizinischer Versorgung, Transport. Das alles zusammen bestimmt ein existenzsicherndes Einkommen. Und wir sind sehr darauf ausgerichtet, das Niveau existenzsichernder Einkommen für Arbeiter zu erreichen. Wenn es eine Lücke zwischen den derzeitigen Löhnen und einem existenzsicherndem Einkommen gibt, dann schließen die Zusätze diese Lücke vielleicht,“ erklärt Peter d’Angremond (FairtradeNL).

Die große Frage: Funktioniert Fairtrade wirklich?

Heute besteht das Fairtrade System weltweit aus über 1,7 Millionen Landwirten und Arbeitern und hat über 35.000 Fairtrade zertifizierte Produkte. Seit 2014 haben Fairtrade-Landwirte und Arbeiter über eine halbe Milliarde Euros in Fairtrade-Prämien erhalten. Einige Studien haben gezeigt, dass die Fairtrade Zertifizierung auf einige kleinbäuerlichen Gemeinden positive Auswirkungen hatte (wie eine höhere Einschreibung in die High School in Costa Rica), aber keinerlei Effekt auf die ungelernten Arbeiter derselben Region zeigte.

Klar ist: Fairtrade zeigt Wirkung. Die Bewegung hat an Fahrt gewonnen, da sich immer mehr Verbraucher und Unternehmen zum Kauf gerecht gehandelter Waren verpflichten. Zwischen 2004 und 2018 stieg der Einzelhandelsumsatz um 8,8 Milliarden US-Dollar. Es hat die tiefgreifenden und tief verwurzelten Probleme des Handelssystems ans Licht gebracht. Und obwohl es nicht die Lösung für Veränderungen ist, ist es sicherlich aber eine von vielen.

„Fairtrade allein kann das Ausmaß an Herausforderungen durch Klimakatastrophen und die Ungleichheit in den Wertschöpfungsketten nicht bewältigen; das derzeitige globale Wirtschaftssystem muss dringend umgebaut werden.“

– Fairtrade International

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