Neue Studie von Slow Food über die geografischen Herkunftsangaben von Wurstwaren vorgestellt

Wurstwaren versus Respekt für die Tiere: Situation sieht alles andere als rosig aus.

Im Rahmen der Cheese 2021 wurde die Studie Europäische Qualitätssicherungssysteme: ­ Zwischen Identitätsstiftung und Markt vorgestellt, die 176 Produktionsprotokolle für verarbeitete Schweinefleischprodukte analysiert. Die diesjährige Cheese steht unter dem Motto „Respekt für die Tiere.” Denn ohne Tiere gäbe es weder Käse, noch zahlreiche andere Produkte. Und darüber kommen wir auch zur Betrachtung der Welt der Wurstwaren, die zu den beliebtesten Produkten auf den Esstischen der westlichen Welt gehören. Sie sind nicht nur leicht zur Hand und besonders beliebt bei den Konsumenten, sondern gehören auch zu den wichtigsten europäischen Exportgütern, untermauert durch geografische Angaben (g.A.) wie die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) und die geschützte geografische Angabe (g.g.A.).

Aber genau genommen sind die geografischen Angaben, die eigentlich die Vielfalt erhalten und die Qualität prämieren sowie die traditionellen europäischen Erzeugnisse schützen und fördern sollten, große Grauzonen mit wenig überzeugenden Ergebnissen.

«Derzeit wird eine Überarbeitung der betreffenden europäischen Verordnung geprüft. Wenn wir uns auf dem globalen Markt durch Nachhaltigkeit und Qualität auszeichnen wollen, müssen die neuen Anforderungen strenger sein. Darauf setzen wir unsere Hoffnung,» so Raffaella Ponzio, Verantwortliche für die Kampagne Slow Meat bei Slow Food. «Ein traditionelles Produkt zu schützen heißt, die Produktionsbedingungen zu garantieren, die entscheidend für den Erfolg und den guten Ruf des Produkts sind. Vergessen wir nicht, dass das Tierwohl und die Ernährung der Tiere identitätsstiftend sind. Sie verleihen den Wurstwaren ihre organoleptische Qualität ­– und sind ebenso wichtig wie die traditionellen Kenntnisse bei ihrer Verarbeitung.»

Weltweit gibt es insgesamt 650 eingetragene Schweinerassen, von denen 150 ausgestorben und weitere 164 vom Aussterben bedroht sind. Über 95% der europäischen Schweinefleischproduktion basiert auf wenigen Rassen, die genetisch auf ihre Leistung hin selektiert werden, um die Rentabilität der Betriebe zu steigern. Von den 176 analysierten Produktionsprotokollen beziehen sich 79 (44,9%) auf keine bestimmte Schweinerasse. 30 (17 %) geben an, dass sie kosmopolitische Rassen wie Large White, Landrace und Duroc verwenden. Die besonders virtuosen Herkunftsbezeichnungen, deren Produktionsprotokolle autochthone Rassen vorschreiben, finden sich in erster Linie in Portugal, Spanien und Frankreich. Der Studie von Slow Food nach legen diese Länder den höchsten Wert auf die verschiedenen Indikatoren, die wir jetzt nach und nach vorstellen werden.

Auch in Bezug auf die Herkunft des Fleisches ist die Situation dieselbe: Die in den Produktionsprotokollen festgelegten Grenzen sind nicht sehr gut definiert. 89 davon (also 50,6% der Gesamtmenge) enthalten keinerlei Angaben zur Herkunft des Fleischs. 74 Produktionsprotokolle (entsprechend 42%) hingegen sehen vor, dass Schweine, die für die Herstellung von verarbeiteten Erzeugnissen verwendet werden, zumindest im Herstellungsgebiet aufgezogen werden müssen. Nur 41 (23,3%) schreiben vor, dass die Schweine nicht nur in demselben Gebiet gezüchtet, sondern auch dort geboren sein müssen. Betrachtet man diesen letzten Wert von einem anderen Standpunkt aus, so stellt man fest, dass 135 Produktionsprotokolle von 176 (76,7% der Gesamtzahl) keinerlei Beschränkungen oder Angaben über den Geburtsort der Schweine enthalten.

Ähnlich nebulös sieht es auch bei den Zuchtverfahren aus: 127 Produktionsprotokolle (72,2% der Gesamtzahl) nehmen dazu keine Stellung und lassen damit alle Zuchtmethoden zu, die nicht durch nationales oder europäisches Recht verboten sind. Da über 75 % der 150 Millionen Schweine in der EU in sehr großen Betrieben aufgezogen wird (und nur 3 % in Betrieben mit einigen Dutzend Schweinen), liegt nahe, dass die überwiegende Mehrheit der Produkte (Würste, Schinken, Schweinefleischkonserven) aus Massentierhaltungsbetrieben stammt, deren Techniken meilenweit von idealen Tierschutzstandards entfernt sind. Eine Ausnahme bilden wiederum Portugal, Spanien und Frankreich, aus denen 47 Produktionsprotokolle für extensive oder semi-extensive Tierhaltung stammen.

Was genau bedeutet das alles?

Versuchen wir, diese Konzepte zu übersetzen. Schauen wir uns zum Beispiel das Gewicht und das Alter der Tiere an, wenn sie geschlachtet werden: 40,3% der Produktionsprotokolle (71 von den insgesamt 176) stellt diesbezüglich keinerlei Beschränkungen auf, 21 beschränken das Gewicht und 3 das Alter. Weniger als die Hälfte (81) legen für beide Kriterien Vorgaben fest.

Ein weiterer signifikanter Aspekt ist die Entfernung des Schlachthofs vom Zuchtbetrieb, da der Transport eine schwerwiegende Belastung für die Tiere bedeutet: 72,2% der Produktionsprotokolle (127) geben keine Beschränkungen für diese Entfernung vor. Jedes Jahr werden allein in den EU-Ländern 1 Milliarde und 37 Millionen „Nutztiere” transportiert: 1 Milliarde Hühner oder anderes Geflügel und 37 Millionen Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und Pferde. 8 Millionen dieser Tiertransporte dauern länger als 8 Stunden, oftmals fast 30 Stunden und manchmal sogar bis zu 96 Stunden, also ganze vier Tage.

Bei derart langen Reisen wird die Gesundheit der Tiere oft stark beeinträchtigt:  Be- und Entladen, Langstreckentransporte, Überbelegung, mangelnde Ruhe, Hunger und Durst verursachen Stress und Leiden sowie die konkrete Gefahr von Stürzen, Verletzungen und Krankheiten, die sogar tödlich enden können.

Was die Tiere essen, erreicht auch uns

67,6% der Produktionsprotokolle machen keine genauen Angaben zur Herkunft des Tierfutters, dabei ist die Ernährung ein wesentlicher Faktor für die Qualität von Fleisch. Italien importiert 85 bis 90% der Sojaprodukte und des Sojamehls aus Brasilien, Argentinien, Kanada und den USA – Ländern, in denen Soja zum Großteil als GVO angebaut wird (74% des weltweit angebauten Sojas sind GVOs). Damit liegt auf der Hand, dass ein Großteil des in Italien verarbeiteten Schweinefutters GVOs enthält. Verboten sind GVOs nur bei Bioprodukten und bei zwei französischen g.U.-Erzeugnissen, deren Hersteller zu den Slow Food Presidi gehören: Jambon de Noir de Bigorre und Jambon de Porc Kintoa. Nur 8,5 % der Produktionsprotokolle  verbieten bestimmte Lebensmittel oder Produkte, wie Fischmehl, Nebenprodukte der Milchverarbeitung oder Schlachtabfälle.

Und was ist mit der Weidewirtschaft? Eine Fata Morgana: nur 46 von 176 Produktionsprotokollen (26,1 % der Gesamtzahl) sehen die Weidehaltung von Tieren vor. Wiederum handelt es sich um französische, portugiesische und spanische Produktionsprotokolle.

Betrachten wir abschließend Nitrite und Nitrate, zwei Stoffe, die bei der Verarbeitung von Wurstwaren und Salami verwendet werden, um das mikrobielle Wachstum zu kontrollieren, die Lebensmittel besser haltbar zu machen, die Farbe zu erhalten und das Aroma zu verfeinern. Allerdings gelten diese Stoffe als gefährlich und potenziell krebserregend, wenn sie in zu großen Mengen verzehrt werden. Die Mengen an Nitriten und Nitraten in Wurstwaren sind nicht gefährlich, wir sollten uns aber bewusst sein, dass es sich um Verbindungen handelt, die wir Tag für Tag auch aus anderen Quellen wie Gemüse und Wasser aufnehmen. Es wäre wichtig, die Aufnahme von tierischen Nebenprodukten zu begrenzen, zumal es möglich ist, nitrit- und nitratfreie Produkte herzustellen: die so genannten natürlichen Wurstwaren, die Slow Food schon seit langem fördert.

«Es wird also deutlich, dass die Erzeugung von geografischen Angaben überwiegend mit einem Modell der industriellen Tierhaltung verbunden ist, das wegen seiner Umweltauswirkungen, seiner Folgen auf die Gesundheit der Verbraucher und seines mangelnden Respekts für die Tiere in den landwirtschaftlichen Betrieben unter Kritik steht. Der europäische Rechtsrahmen sollte allgemeine Leitlinien, sowie für jede Produktkategorie spezifische und in jedem Land gültige Vorgaben mit Mindestanforderungen zu wichtigen Aspekten enthalten, die als Richtlinie für die Erstellung von Produktionsprotokollen und deren einheitliche und kohärente Auslegung und Anwendung dienen können,» schließt Ponzio.

Die Situation ist also alles andere als rosig. In Anbetracht dieser Analyse stellt Slow Food folgende Forderungen auf:

  • In den Produktionsprotokollen sollen ausdrücklich die Zuchtverfahren der Tiere angegeben sein, aus denen Wurstwaren hergestellt werden, dabei soll größerer Wert auf Respekt für die Tiere gelegt werden, auf eine bessere und ortsgebundene Ernährung sowie auf die Schlachtung im Herkunftsgebiet;
  • Die Verwendung einheimischer Rassen soll gefördert und damit historische Genotypen wiederbevölkert werden, sowie eine extensive Haltung begünstigt werden;
  • Der Einsatz von Nitriten, Nitraten und anderen chemischen Zusatzstoffen soll verboten und durch technologische Verfahren ersetzt werden, die auf die Temperatur einwirken, falls möglich auch durch natürliche Stoffe pflanzlichen Ursprungs;
  • Bei den g.U. soll größerer Wert auf die Wiederherstellung historischer und traditioneller Herstellungsverfahren gelegt werden, einschließlich der Festlegung historischer Herstellungsgebiete und natürlicher Reifungsräume;
  • Der Transport lebender Tiere über große Entfernungen soll verboten und Transporte über Entfernungen von weniger als 100 km auf ein Minimum reduziert werden, da sie für die Tiere zutiefst traumatisch sind.

Die Cheese 2021 wird von Slow Food in Zusammenarbeit mit der Stadt Bra organisiert. Die Veranstaltung wird durch die Unterstützung von Partern ermöglicht, die die Werte und Ziele der Veranstaltung teilen. Hauptpartner: BBBell, BPER Banca, Consorzio del Parmigiano Reggiano, Egea, Pastificio Di Martino, Quality Beer Academy (QBA) und Reale Mutua.

Hier finden Sie die Pressemitteilungen zur Cheese 2021

Cheese Pressestelle:

Slow Food: Paola Nano (329 832 1285); Alessia Pautasso +39-342-864 1029); press@slowfood.it

Stadt Bra: Elena Martini, Roberto Buffa;  +39-0172-438278; urp@comune.bra.cn.it

Quelle: Slow Food