„Die wichtigste Ursache des Bluthochdrucks hierzulande ist Übergewicht“

Experten-Interview zu den Herzwochen 2021 „Herz unter Druck“.

Der Münchner Kardiologe Professor Dr. Heribert Schunkert ist einer der renommiertesten Bluthochdruckexperten und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Wir haben den Direktor der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am Deutschen Herzzentrum München nach den Ursachen von Bluthochdruck gefragt – und was man tun kann, um ihn zu vermeiden.

Bluthochdruck hat eine fatale Eigenschaft: Er ruiniert den Organismus in aller Stille. Wie macht sich hoher Blutdruck bemerkbar?

Prof. Schunkert: Wenn sich hoher Blutdruck bemerkbar macht, ist es zu spät. Dann ist der Körper schon geschädigt. Bemerkbar macht sich hoher Blutdruck durch Herzschwäche, koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt, Schlaganfall, Nieren- und Augenschäden.

Gibt es Vorzeichen, die vor der gefährlichen Entwicklung warnen, etwa Kopfschmerzen, Schwindel oder eine auffallend rote Gesichtsfarbe?

Prof. Schunkert: Diese Vorzeichen sind allesamt unzuverlässig. Wer darauf vertraut, rechtzeitig durch solche Symptome gewarnt zu werden, betreibt Vogel-Strauß-Politik. Im Bilde ist man nur, wenn man weiß, wie hoch der eigene Blutdruck ist. Das ist leicht zu bewerkstelligen. Bei jedem Arztbesuch kann man bitten, dass der Blutdruck gemessen wird, ebenso in der Apotheke.

Natürlich kann man auch selbst den Blutdruck messen. Liegt der Blutdruck wiederholt bei oder über 140/90 mmHg, besteht Bluthochdruck. Ist er hochnormal, also zwischen 130 und 139 mmHg, ist Aufmerksamkeit angebracht, denn ein solcher Wert kann schnell in Bluthochdruck übergehen.

Was halten Sie für die wichtigste Ursache des hohen Blutdrucks?

Prof. Schunkert: Die wichtigste Ursache des Bluthochdrucks hierzulande ist Übergewicht.

Und die zweitwichtigste?

Prof. Schunkert: Bewegungsmangel. Ein Mangel an Bewegung ist eng mit Übergewicht verbunden.

Wie führt Übergewicht zu Bluthochdruck?

Prof. Schunkert: Nehmen wir als Beispiel den Körper einer Frau, deren Herz-Kreislauf-System auf ein Gewicht von etwa 60 Kilogramm angelegt ist. Wenn sie aber ein Gewicht von 90 Kilogramm mit sich herumträgt, muss das Herz mehr arbeiten, also mehr Blut pro Minute auswerfen. Das vermehrte Blutvolumen fließt durch Gefäße, die nur für einen Körper von 60 Kilogramm ausgelegt sind. Dann erfolgt die Blutversorgung des Körpers unter erhöhtem Druck.

Bei Übergewicht werden die Hormone Aldosteron und Cortisol vermehrt ausgeschüttet und treiben den Blutdruck nach oben. Zugleich wirkt Übergewicht auf den Körper wie eine niedrig schwelende Entzündung. Auch das hinterlässt in den Gefäßen Spuren und erhöht den Blutdruck. Übergewichtige Menschen neigen zu Atemaussetzern im Schlaf. Dadurch sinkt die Sauerstoffsättigung des Blutes. Das führt zur Ausschüttung von Stresshormonen – und damit zu erhöhtem Blutdruck. Übergewicht führt nicht nur zu hohem Blutdruck, sondern auch zu Diabetes, sogar schon bei Kindern, zu Herz- und Krebserkrankungen und zum Verschleiß der Gelenke. Übergewicht ist ein enormes Gesundheitsproblem. In Deutschland sind 54 Prozent der Erwachsenen übergewichtig oder stark übergewichtig.

Wie sollte die Ernährung aussehen, wenn man nicht zunehmen will?

Prof. Schunkert: Um nicht zuzunehmen, sollten leere Kohlenhydrate, die nur Kalorien liefern, vermieden werden: in erster Linie Zucker, zuckerhaltige Getränke, Süßigkeiten, Eis, aber auch Weißmehlprodukte wie Weißbrot, Kuchen, Kekse, Knabberzeug. Die leeren Kohlenhydrate gehen schnell ins Blut über, sättigen aber nur kurze Zeit. Hungrig greift man dann nach weiterem Essbaren und führt sich mehr Kalorien zu, als der Körper braucht. Auch in einem Apfel ist Zucker enthalten, Fruchtzucker. Aber es dauert viel länger, bis der Fruchtzucker ins Blut kommt, weil er zunächst aufgeschlüsselt werden muss, damit der Körper ihn verwerten kann. Dadurch hält das Sättigungsgefühl länger an. Als optimal hat sich die sogenannte Mittelmeerküche erwiesen. Das bedeutet jedoch nicht Pizza und Pasta, sondern sehr viel Gemüse, Salat, Rohkost, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, magere Milchprodukte, wenig Fleisch, eher Fisch, eine Vielfalt von Kräutern und Gewürzen.

Welche Rolle spielt Salz?

Prof. Schunkert: Wir essen zu viel Salz. In verarbeiteten Lebensmitteln ist viel Salz verborgen, beispielsweise in Brot, Wurst und Käse. Besonders salzreich sind auch Konserven- und Fertiggerichte. Ein Zuviel an Salz ist ein Zeichen für eine ungesunde Ernährung. Gemüse, Rohkost und Obst enthalten sehr wenig Salz. Wer sich für eine gesunde Ernährung entscheidet, isst automatisch salzärmer und löst damit den größten Teil des Salzproblems.

Wie führt Bewegungsmangel zu hohem Blutdruck?

Prof. Schunkert: Unsere Gefäße haben die Aufgabe, das Blut dahin zu bringen, wo es gebraucht wird. Sie sind nicht starre Röhren, sondern elastisch und dehnbar. Um das Gefäßsystem elastisch zu erhalten, muss es trainiert werden. Wenn man hauptsächlich am Schreibtisch arbeitet und die Freizeit auf der Couch verbringt, fehlt dieses Training. Die Gefäße werden steif. Dann kann Blut nur mit erhöhtem Druck durch das Gefäßsystem transportiert werden.

Wie viel Bewegung braucht der Mensch?

Prof. Schunkert: Ideal sind 30 Minuten Ausdauertraining an fünf Tagen in der Woche. Dieses Maß an körperlicher Aktivität sollte man – auch wenn man älter wird – so lange wie möglich beibehalten. Je nach Vorliebe kann das ein strammer Spaziergang sein, Fahrradfahren, Joggen, Schwimmen, Tanzen oder Tennis spielen.

Wie wirkt Stress auf den Blutdruck?

Prof. Schunkert: Heute ist Stress oft von Dauer: Stress bei der Arbeit, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor der Zukunft, Stress in der Familie. Um den chronischen Stress besser auszuhalten, greifen manche Menschen zur Zigarette, sie essen zu viel und trinken zu viel Alkohol. Aber auch ohne solch ein gesundheitsschädigendes Verhalten erhöht Stress den Blutdruck: Er stößt molekulare Prozesse an, die zu einer chronischen Entzündung im Körper führen. Das schädigt die Gefäße und erhöht den Blutdruck. Zum Glück ist man Stress nicht hilflos ausgesetzt, man kann lernen, damit besser umzugehen.

Kann Bluthochdruck auch genetisch bedingt sein? Ja, es gibt eine erbliche Belastung für hohen Blutdruck. Dabei handelt es sich nicht um ein einzelnes Gen, sondern um mehrere Genvarianten, die allesamt hohen Blutdruck begünstigen. Zurzeit kann man diese Varianten noch nicht routinemäßig durch Genanalysen feststellen. Aber es gibt Hinweise, beispielsweise wenn bei einem normalgewichtigen Menschen unter 35 Jahren Bluthochdruck auftritt oder wenn im Stammbaum viele frühe Todesfälle durch Schlaganfall oder Herzinfarkt auffallen. Auf keinen Fall ist die ererbte Veranlagung ein unabänderliches Schicksal. Wir haben gelernt, dass man die genetische Belastung nicht von Lebensstilfaktoren abkoppeln kann. Erbliche Belastung verschlimmert die Folgen eines ungesunden Lebensstils um das Vier- bis Achtfache – andererseits ist mit einem gesunden Lebensstil bei genetisch bedingtem Bluthochdruck mehr zu bewirken als bei Hochdruckpatienten ohne diese Veranlagung. Ein konsequent gesunder Lebensstil, das Vermeiden von Übergewicht, eine gesunde Ernährung und viel Bewegung können die erbliche Belastung neutralisieren.

Neuerdings wird intensiv über die Auswirkung von Umweltproblemen auf den Blutdruck diskutiert.

Prof. Schunkert: Luftverschmutzung, Schwefeldioxid und Feinstaub erhöhen den Blutdruck, ebenso dauernd hohe Lärmpegel durch Flugzeuge und Straßenverkehr. Auch der Klimawandel wirkt sich aus, etwa durch extreme Hitzeperioden. Die Situation ist komplex. An sich ist Wärme günstig: Wärme senkt den Blutdruck. Aber extreme Hitzeperioden setzen den Körper so unter Stress, dass der Blutdruck steigen kann. Oft kann auch das Gegenteil geschehen: Die Gefäße weiten sich, der Blutdruck fällt ab. Wenn man sich in der Hitze aufhält, schwitzt, zu wenig trinkt, kann es zu Schwindel, Ohnmacht, Herzrhythmusstörungen kommen.

In Hitzeperioden treten Herzinfarkt und Schlaganfall vermehrt auf. Vorbeugen kann man, indem man die Hitze möglichst meidet. Einen durch Schwitzen verursachten Flüssigkeitsverlust sollte man nicht nur durch das Trinken von Wasser oder Tee, sondern den Verlust von Elektrolyten wie Natrium, Kalium, Magnesium auch durch den Verzehr von Gemüse, Salat und Obst ausgleichen. Manchmal fällt der Blutdruck so stark ab, dass die Dosis der Blutdruckmedikamente nach Rücksprache mit dem Arzt angepasst werden muss. Während Hitzeperioden sollte der Blutdruck häufig kontrolliert werden.

Gibt es auch eine erbliche Belastung?

Prof. Schunkert: Ja, es gibt eine erbliche Belastung für hohen Blutdruck. Dabei handelt es sich nicht um ein einzelnes Gen, sondern um mehrere Genvarianten, die allesamt hohen Blutdruck begünstigen. Zurzeit kann man diese Varianten noch nicht routinemäßig durch Genanalysen feststellen. Aber es gibt Hinweise, beispielsweise wenn bei einem normalgewichtigen Menschen unter 35 Jahren Bluthochdruck aufritt oder wenn im Stammbaum viele frühe Todesfälle durch Schlaganfall oder Herzinfarkt auffallen. Auf keinen Fall ist die ererbte Veranlagung ein unabänderliches Schicksal. Wir haben gelernt, dass man die genetische Belastung nicht von Lebensstilfaktoren abkoppeln kann. Erbliche Belastung verschlimmert die Folgen eines ungesunden Lebensstils um das Vier- bis Achtfache – andererseits ist mit einem gesunden Lebensstil bei genetisch bedingtem Bluthochdruck mehr zu bewirken als bei Hochdruckpatienten ohne diese Veranlagung. Ein konsequent gesunder Lebensstil, das Vermeiden von Übergewicht, eine gesunde Ernährung und viel Bewegung können die erbliche Belastung neutralisieren.

Interview: Dr. Irene Oswalt

Das vollständige Interview ist veröffentlicht in der neuen Begleitbroschüre zu den bundesweiten Herzwochen 2021 „Bluthochdruck – Herz und Gefäße schützen“, die Interessierte kostenfrei bei der Deutschen Herzstiftung telefonisch 069 955128400, per E-Mail an bestellung@herzstiftung.de (Stichwort: Herz unter Druck) oder online über www.herzstiftung.de/bestellung beziehen können.

Infos zu den bundesweiten Herzwochen unter www.herzstiftung.de/herzwochen2021

Kontakt zur Pressestelle:
Michael Wichert (Ltg.)
Tel. 069 955128114
Pierre König
Tel. 069 955128140
E-Mail: presse@herzstiftung.de

Originalpublikation:
Deutsche Herzstiftung (Hg.), „Bluthochdruck: Herz und Gefäße schützen“ – Begleitbroschüre anlässlich der Herzwochen 2021 „Herz unter Druck: Ursachen, Diagnostik und Therapie des Bluthochdrucks“, Frankfurt a. M. Nov. 2021.

Weitere Informationen: http://www.herzstiftung.de/herzwochen2021

Quelle: Michael Wichert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Herzstiftung e.V./Deutsche Stiftung für Herzforschung