Mehr als nur Bratling: Der neue Grünkern-Genuss

Lange haftete Grünkern ein wenig charmantes und wenig genussvolles Image an. Man verband mit ihm vor allem die Öko-Bewegung der 80er-Jahre, Bratlinge und vielleicht ein nahrhaftes Essen, aber ganz sicher kein kulinarisches Highlight.

Dabei beginnt die Geschichte des Grünkerns schon viel früher und hat allerlei spannende Fakten auf Lager. Heute ist der Grünkern angesagt wie nie und längst ist klar: Er ist vielseitig einsetzbar – und echt lecker!

Um gleich einem häufigen Missverständnis vorzubeugen: Grünkern ist keine eigene Getreidesorte, sondern nichts anderes als unreif geernteter Dinkel. Aber warum sollte man ein Getreide unreif ernten?, fragt man sich da zu Recht. Und tatsächlich wurde diese Idee nur aus der Not heraus geboren, da Mitte des 17. Jahrhunderts schlechtes Wetter immer wieder zu Ernteausfällen führte und man schließlich beschloss, die Körner lieber gleich vom Feld zu holen, bevor sie der Schimmel befallen konnte. Reif oder unreif, egal, es würde sich schon eine Lösung finden. Und die fand sich.

Vom unreifen Getreide zum aromatischen Hungerstiller

Natürlich hat es Gründe, warum man Dinkel eigentlich erst erntet, wenn er reif ist. Ein wichtiger ist die Ausbildung von Stärke. Unreifer Dinkel ist noch sehr feucht – hat also einen hohen Wasseranteil – und verdirbt daher schnell. Also trocknete man ihn, anfangs noch in der Restwärme der Backhäuser, später in Malz- und Flachsdarren, noch später in eigenen Grünkerndarren. Über die Jahre und Jahrhunderte hinweg entwickelte sich der Trocknungsprozess stetig weiter, heute erfolgt er in speziellen Heißluftanlagen. Das Trocknen („Darren“) macht Grünkern nicht nur haltbar, es verleiht ihm auch sein typisches, rauchig-würziges Aroma.

Historische Grünkerndarre

Grünkern und Dinkel: Gleicher Samen, anderes Korn

Die frühe Ernte sowie das Darren führen dazu, dass sich Grünkern deutlich von Dinkel unterscheidet, auch wenn es sich letztlich um das gleiche Getreide handelt. Das betrifft Aromatik wie Inhaltsstoffe und ganz entscheidend: das enthaltene Eiweiß. Gluten, das berüchtigte Klebereiweiß, das ein Getreide beziehungsweise daraus hergestelltes Mehl überhaupt erst backfähig macht, sorgt normalerweise für Elastizität und Stabilität eines Teiges, der so Gasbläschen in sich einschließen und aufgehen kann. Dinkelteige haben diese Eigenschaft, Grünkernteige aber nicht. Was bedeutet: Man kann mit Grünkern nicht backen. Jedenfalls kein Brot, wie wir es gewohnt sind.

Luxusprobleme für die von Hungersnöten heimgesuchte Bevölkerung von vor über 300 Jahren, die aus Grünkern kurzerhand Suppen und Eintöpfe herstellte, das geht nämlich ganz wunderbar. Menschen mit einer Zöliakie (also einer Glutenunverträglichkeit) müssen Grünkern dennoch meiden. Das Gluten im Grünkern tut zwar beim Backen nicht mehr, was es soll, bei Zöliakie-Patienten aber immer noch, was es nicht soll. Menschen ohne Zöliakie müssen sich aber keine Sorgen machen und können das aromatische Korn mit all seinen Inhaltsstoffen genießen.

Ein Getreide mit deutscher Geschichte

Grünkern ist eine deutsche Erfindung. Es waren die hungrigen Bauern des heutigen Baulands, einer Region im Nordosten Baden-Württembergs, die auf die Idee kamen, den Dinkel frühzeitig vom Feld zu holen und zu darren. Kein Wunder, denn die Gegend ist auch als „Badisch Sibirien“ bekannt – hier war man schlechtes Wetter gewohnt und ging lieber kein Risiko ein. Außerdem hat der Dinkelanbau in Süddeutschland von jeher eine lange Tradition, denn Dinkel ist robust und gerade die Sorte „Bauländer Spelz“ gut geeignet für trockene und nährstoffarme Böden, wie es sie im Bauland gibt.

Und so ist der „Fränkische Grünkern“ heute eine geschützte Ursprungsbezeichnung und darf nur aus unreifem Dinkel der Sorte „Bauländer Spelz“ hergestellt werden. Aussaat, Ernte und Darre müssen zudem in fünf Landkreisen in Baden-Württemberg und Bayern durchgeführt werden. Sonst ist es zwar auch Grünkern, aber eben kein echter Fränkischer Grünkern.

Angesagte Grünkern-Küche

Was damals Leben rettete und worauf man sich auch später immer wieder besann, wenn die Zeiten schlecht waren, verlor nach und nach an Bedeutung. Zumal neue Züchtungen des viel ertragreicheren Weizens den Dinkelanbau in den Schatten stellten und somit auch die Herstellung von Grünkern. Grünkern ging es wie vielen Lebensmitteln: Ihm haftete das Image der schlechten Zeit, des Arme-Leute-Essens, des Verzichts an. Wer will das schon, wenn die Zeiten gerade rosig sind?

Das hat sich inzwischen jedoch geändert. Nachdem die 80er-Jahre dem Grünkern schon einmal zu neuer Aufmerksamkeit verhalfen, ist er heute wieder im Kommen. Und zwar nicht mehr als staubiger Bratling. Immer mehr Freunde der Kulinarik – vom Sternekoch bis zum Foodblogger und hin zum experimentierfreudigen Kochanfänger entdecken die Vielseitigkeit des Grünkern. Natürlich halten sich nach wie vor Suppen und Eintöpfe, auch Bratlinge finden noch ihren Weg von der Pfanne auf den Teller. Es geht inzwischen aber auch innovativer – und vor allem internationaler.

Die Kreativität unserer heutigen Foodies lässt Grünkern in neuem Glanz erstrahlen und dem Leser das Wasser im Mund zusammenlaufen: Grünkern-Risotto mit Kräuterseitlingen und Radicchio, Grünkern-Salat mit Granatapfel und Minze, mit Grünkern gefüllte Auberginenröllchen, Grünkern-Pilaw mit Spinat und Kichererbsen, Vegane Grünkern-Curry-Pfanne, Grünkern-Bolognese, Chili sin carne mit Grünkern … Und selbst Brot kann man heute daraus backen. Gewusst wie, die richtige Mischung macht´s. Und Sauerteig natürlich.

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Quelle: Wissensforum Backwaren