Die Fünf-Prozent-Hürde / Zucker-Grenzwert ist Verbrauchertäuschung

Von Detlef Brendel

Der mantraartig wiederholte Zucker-Grenzwert von fünf Prozent hat sich in die Hirne der Ideologen und auch einiger unkritischer Wissenschaftler eingegraben.

Eine Begründung für ihn gibt es nicht. Viele plappern ihn nach. Keiner macht sich die Mühe, einmal zu prüfen, woher diese angebliche Schallgrenze für eine gesunde Ernährung stammt.

Foodwatch fordert: „Marketing für Ungesundes, das sich ausschließlich an Kinder richtet, sollte in Zukunft gar nicht mehr erlaubt sein dürfen.“ Wer definiert, was ungesund ist? Gesunde Lebensmittel, die die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfüllen, sollen von den Verboten nicht betroffen sein, stellt die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) fest.

Und die SPD-Fraktion im Bundestag plant jetzt Werbeverbote und Strafsteuern. Auch dabei glaubt man dank fehlender Kompetenz an die Fünf-Prozent-Hürde für den Zucker. Bei den ideologischen Argumentationen wird immer wieder Bezug auf die WHO genommen. So wird forsch behauptet, die mit Werbeverbot und Strafsteuern zu belegenden Produkte würden nach WHO-Kriterien definiert.

Das Papier der Erkenntnis heißt: „WHO Regional Office for Europe nutrient profile model“. Nach diesem Papier gehen Schokolade und Säfte auf keinen Fall, Käse mit Einschränkungen aber Eier sind erlaubt. Die WHO ist allerdings keine Institution der Ernährungswissenschaft. Im Gegenteil. Es lohnt, die Kompetenz und die Glaubwürdigkeit dieser Organisation sorgfältig zu analysieren.

WHO: Die finanzierte Adipositas-Strategie

Die magische Grenze von fünf Prozent Zucker in der Ernährung hat Prof. Philip James definiert, der nach zuverlässigen Recherchen wissenschaftlicher Organisationen, publiziert im „British Medical Journal“, für seine strategischen Initiativen gegen das angebliche Übergewicht von der Pharmaindustrie mit Millionen geschmiert und finanziert wurde. Ihm gelang es 1990 in dem WHO-Report 797 erstmals die Empfehlung abzugeben, den Zuckerverzehr auf maximal zehn Prozent der zugeführten Kalorien zu begrenzen. Viele Experten waren der Meinung, dass es dafür keine Grundlagen gibt und zudem die Beschäftigung mit der weltweiten Unterernährung erheblich wichtiger sei als die Konzentration auf das von der Pharmaindustrie gewünschte Thema Übergewicht. James ließ sich nicht von der gut finanzierten Strategie abbringen. Er gründete die International Obesity Task Force (IOTF), die versuchte, für die WHO Daten zu sammeln und sogar in den Entwicklungsländern Übergewicht als aufkeimendes Risiko ausmachte.

Im Jahr 2002 wurde der WHO-Report 916 publiziert, der eine Rstriktion beim Zuckerverzehr forderte. Mehr als hundert Länder lehnten ihn ab, weil die Zucker-Einschränkung keine wissenschaftliche Basis hatte. Die IOTF blieb bei ihrer Strategie. Sie forderte diskriminierende Kennzeichnungen, Werbebeschränkungen und eine Zuckersteuer. Das Netzwerk von James funktioniert bis heute. Ehemalige Schüler und Gefolgsleute sind in der WHO gut positioniert. Das beste Beispiel ist Francesco Branca, Direktor des Department of Nutrition for Health and Devolopment der WHO in Genf.

Im März 2015 hat die WHO eine aktualisierte Richtlinie zum Zuckerverzehr publiziert. Als Empfehlung mit so genannter eingeschränkter Aussagekraft wurde gefordert, die Zufuhr freier Zucker auf unter fünf Prozent der Gesamtenergiezufuhr zu reduzieren. Da war sie, die Grenze. Grundlage für diese Empfehlung waren drei dürftige Beobachtungsstudien zur Karieshäufigkeit. Analysiert wurde, welche Auswirkungen in Japan die Verknappung von Zucker im Jahr 1946 im Vergleich zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hatte. Über 70 Jahre alte Daten wurden bemüht, um eine aktuelle Empfehlung zum Zuckerverzehr zu formulieren. Und wer hat diese irrelevante historische Betrachtung ausgearbeitet? Philip James persönlich. So entstehen vermeintliche Grenzwerte, die nicht evidenzbasiert sind, sondern eminenzbasiert.

Kartell der Ahnungslosen

Bei den Richtlinien der WHO ist das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse gepflegte Praxis. Dazu gibt es sogar wissenschaftliche Bewertungen. Das GRADE-System (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation) untersucht die wissenschaftliche Qualität von Studien. Umfangreiche Analysen zu den von der WHO herausgegebenen Richtlinien und deren Hintergründe hat das „Journal of Clinical Epidemiology“ publiziert. Die Ergebnisse sind vernichtend. Untersuchungen nach dem GRADE-System haben gezeigt, dass die WHO-Richtlinien seit Jahren mehrheitlich auf Studien basieren, deren Niveau diese eher für den Papierkorb qualifiziert. Für eine Promotion würde solcher Humbug nicht reichen. Für Richtlinien ist er die Grundlage. Das „National Center for Biotechnology Information“ (NCBI) publizierte 2015 die Schlussfolgerung, dass die Integrität der WHO wegen der nachweislich unwissenschaftlichen Arbeit gefährdet ist.

Dieses unseriöse Konglomerat von pseudowissenschaftlichen Empfehlungen wird nach wie vor für die Behauptung genutzt, man habe Kriterien, um Nahrungsmittel als gesund oder ungesund einzustufen. Es ist substanzloser Unsinn. Und sogar die SPD-Fraktion will sich daran jetzt orientieren. Was von dem Zucker-Grenzwert von fünf Prozent wissenschaftlich zu halten ist, wurde von der mit wissenschaftlicher Akribie arbeitenden Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) dokumentiert. Ende 2021 hat die EFSA in einem Gutachten festgestellt, dass die wissenschaftliche Literatur bis heute keine Erkenntnisse für einen Zuckergrenzwert liefert. Die EFSA unterstreicht, dass es keine wissenschaftlichen Arbeiten gibt, die es ermöglichen, eine Aufnahmemenge für Zucker festzulegen. Es ist, so die klare Aussage, kein Schwellenwert zu bestimmen.

Vielleicht sollten die Anti-Zucker-Aktivisten einmal in sich gehen und dann feststellen, dass die Wissenschaft sehr störend für ideologische Absichten sein kann. Ein nachweislich geschmierter Professor, Verzicht auf wissenschaftliche Evidenz, historische Betrachtungen zur Zahngesundheit im Nachkriegs-Japan. Das sind die Grundlagen für die Fünf-Prozent-Definition. Man könnte unterzuckerte Hirne vermuten.