Gemeinsam mit Effizienz zu mehr Nachhaltigkeit

Rückblick Dialogforen Primärproduktion und Verarbeitung.

Was braucht es von der Politik und der Food-Branche für eine erfolgreiche Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten? Antworten auf diese Frage lieferten die Dialogforen Primärproduktion und Verarbeitung am 21. und 28. September, in denen die jüngsten Fortschritte der genannten Sektoren im Rahmen der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung der Bundesregierung vorgestellt wurden.

Zu den beiden Online-Konferenzen hatte die DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) eingeladen: Insgesamt 168 Teilnehmende aus der Landwirtschaft, Fischerei, Wirtschaft und der Wissenschaft bis hin zu den Verbänden und der Politik diskutierten u. a. über die Bedeutung zu hoher Qualitätsstandards in der Erzeugung von Lebensmitteln, die Möglichkeiten zur Weitervermarktung von B-Waren sowie den Einsatz neuer Technologien, um Überproduktion und Ausschuss zu vermeiden.

Die Fakten seien für alle bekannt, so Dr. Doris Heberle vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in ihrem Grußwort: „Entlang der Wertschöpfungskette entstehen Lebensmittelabfälle und -verluste.“ Der aktuellen Erhebung vom Statistischen Bundesamt zufolge waren es im Jahr 2020 rund elf Millionen Tonnen. Davon fallen entsorgungsseitig mit 1,6 Millionen Tonnen etwa 15 Prozent in der Verarbeitung und mit 0,2 Millionen Tonnen zwei Prozent in der Primärproduktion an.

„Wenn wir unser Ziel bis 2030 erreichen wollen, Lebensmittelabfälle zu halbieren und Lebensmittelverluste zu reduzieren, dann setzen wir auf Sie als Vorreiter für die nachhaltige, ressourcenschonende und effiziente Lebensmittelproduktion“ sagte Dr. Heberle. Zum Hintergrund: Ziel der Vereinten Nationen ist es, bis 2030 Lebensmittelabfälle und -verluste weltweit über alle Sektoren der Wertschöpfungskette – von der Landwirtschaft bis hin zum Verbraucher – zu reduzieren; auf Handels- und Konsumebene zu halbieren.

Auch Deutschland hat sich dazu verpflichtet und im Februar 2019 die Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung vorgelegt, die derzeit weiterentwickelt wird. Seit Ende 2020 arbeiten Branchenexpert:innen an neun produkt- und branchenspezifischen Runden Tischen mit jeweils eigener Ausrichtung daran, wirksame Lösungsansätze zu identifizieren. Dieser Prozess wird von der DLG koordiniert. Eine Auswahl innovativer Ansätze wird in Demonstrationsprojekten getestet und vom Projektpartner Thünen-Institut ausgewertet.

Insgesamt sind es 23 Demonstrationsbetriebe, in denen solche Maßnahmen exemplarisch durchgeführt werden. Hierbei geht es beispielsweise um die Optimierung der Mengen- und Lieferplanung mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI), die Proteinproduktion via Insekten, die Sensibilisierung von Auszubildenden und Nachwuchskräften, die Verwertung von Erzeugnissen mit Schönheitsfehlern oder die Weiterverarbeitung von Rest- und Nebenstoffen aus der Produktion. Die Ergebnisse aller Projekte werden Ende des Jahres veröffentlicht. „Diese Projekte haben Leuchtturmfunktion, denn sie sind Beispiele potenziell wirksamer Hebel für die Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten“, erläuterte DLG-Projektleiter Rainer Schramm, der im Dialogforum „Verarbeitung“ einen Einblick in die Arbeiten gab.

Mit KI gegen Überproduktion und Ausschuss 

Bei der Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten in der Verarbeitung besteht die Herausforderung nicht zuletzt darin, Produzenten neue Technologien bereitzustellen, die für mehr Effizienz im Sinne der Nachhaltigkeit beim Umgang mit natürlichen Ressourcen sorgen. Für den IT-Experten Dirk Mayer ist klar: „Die konventionellen Technologien stoßen hier an ihre Grenzen“, wie der Senior Director Research der Software AG in seinem Vortrag betonte. Das Unternehmen ist einer der Partner im REIF-Projekt (Resource-Efficient, Economic and Intelligent Foodchain), das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Im Fokus dieses Vorhabens steht der Einsatz von KI in der Molkerei-, Fleisch- und Backwarenindustrie, um Lebensmittelabfälle und -verluste zu vermeiden. Um diese in den genannten Bereichen deutlich zu senken, seien vor allem zwei Aspekte entscheidend – „die Minimierung von Überproduktion und die Vermeidung von Ausschuss“, so Mayer. Intelligente Sensorik, Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz sollen die Produzenten dabei in Zukunft in vielen Prozessen unterstützen.

Produktionsverfahren, die kurzfristig sowohl auf schwankende Konsumentennachfrage als auch auf unterschiedliche Rohstoffqualitäten reagieren können, sind dabei Schwerpunkte, wie Mayer an Beispielen aus der Backwaren- und Fleischindustrie verdeutlichte. Ausschuss entsteht hier etwa beim Hochfahren der Anlagen, da die optimalen Parameter erst erreicht werden müssen. „Nach aktueller Schätzung können wir die Verluste an dieser Stelle durch eine KI-gesteuerte Prozesssteuerung um 90 Prozent reduzieren“, so Meyer. Was die künftige Umsetzung automatisierter und vernetzter Prozesse in der Praxis betrifft, brauche es zudem einen optimierten Daten- und Informationsaustausch über alle Wertschöpfungsstufen hinweg. Weitere Arbeiten im Projekt umfassen daher die Entwicklung einer digitalen Plattform auf Basis von Blockchain-Technologie. Ziel ist es, einen zentralen Marktplatz für KI-Services zu schaffen, um Anwender und Anbieter miteinander zu vernetzen.

Die zentrale Rolle zu hoher Qualitätsstandards

Fest steht, dass es für eine Reduzierung der Verluste und Abfälle in der Primärproduktion und Verarbeitung von Lebensmitteln genaue Kenntnisse darüber braucht, an welcher Stelle sie entstehen. Aufschlüsse darüber geben Untersuchungen des Braunschweiger Thünen-Instituts für Marktanalyse. Die Forschenden wollen dabei nicht nur die Stoffströme, die der Lebensmittelversorgungskette entzogen werden, quantifizieren und die Datenlage auf den neusten Stand bringen, sondern auch die Ursachen für Verluste und Abfälle ermitteln. „Gleichzeitig können wir durch unsere Analyse Reduzierungs- und Optimierungspotenziale identifizieren und Maßnahmen für Unternehmen und die Politik aufzeigen“, erläuterte Manuela Kuntscher im Dialogforum „Primärproduktion“.

Die Thünen-Forscherin stellte die Ergebnisse der jüngsten Online-Branchen-Befragung vor, an der 460 deutsche Primärproduzent:innen teilnahmen. Zu den zentralen Erkenntnissen zählt: Im Primärbereich planen und setzen die befragten Betriebe bereits Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen um. Überschüsse werden zum Beispiel im eigenen Betrieb veredelt oder über spezialisierte Plattformen vermarktet, statt sie als Abfall zu entsorgen. Dadurch entstehen Potentiale für die Betriebe, die alternative Verwendung außerhalb der Lebensmittelkette zu verringern, die laut der Ergebnisse des Thünen-Instituts 22 Prozent der produzierten Lebensmittel in der Primärproduktion ausmachen.

Wenn es zu Verlusten und Abfällen kommt, dann vor allem durch das Konsumverhalten und gesetzliche Vorgaben sowie zu hohe Qualitätsstandards auf der Abnehmerseite. Letzteres tritt gemäß der Antworten „sehr häufig“ (7 Prozent), „häufig“ (11 Prozent) oder „gelegentlich“ (13 Prozent) auf. Auch für Ernte- und Vorernteverluste ist dies neben Witterungseinflüssen und weiteren Faktoren ein wesentlicher Aspekt. „Für die Betriebe spielt der Lebensmittelhandel mit seinen Anforderungen eine zentrale Rolle“, erläuterte Kuntscher. „Viele von ihnen wünschen sich Unterstützung durch die Politik bei diesem Thema sowie eine Sensibilisierung der Konsument:innen.“

Aspekte, die auch von den 163 teilnehmenden Betrieben in der parallel durchgeführten Online-Befragung der Verarbeitungsbranche aufgegriffen wurden, wie Kuntscher beim Dialogforum „Verarbeitung“ zeigte. Zu den Erkenntnissen gehört hier: 84 Prozent der erzeugten Lebensmittel werden innerhalb der Lebensmittelkette verwendet. Lediglich fünf Prozent fallen als gewerblicher Abfall an. Zu den Ursachen zählen hier Prozessverluste, Qualitätskriterien und Rückstellproben im Rahmen der Qualitätssicherung, Retouren und Überproduktion. Die übrigen zwölf Prozent erfahren eine alternative Verwendung außerhalb der Lebensmittelkette.

„Wir sehen, es wird viel gemacht, um Abfälle zu reduzieren; auch eine Reduktion der Sortimentsbreite sowie der Rückstellmuster wird angestrebt. Wir sehen aber auch noch Potenzial für neue Maßnahmen“, so Kuntscher. „Die Lockerung von zu hohen Qualitätsanforderungen ist für Produzenten ein sehr wichtiger Punkt. Hier geht es auch um Anforderungen, die der Handel noch über die gesetzlichen Standards hinaus vorgibt.“ Hinzu kommt als wichtigster Part die Sensibilisierung der Gesellschaft für dieses Thema. Dies kann zu mehr Akzeptanz von Produkten mit Schönheitsfehlern führen, die sonst qualitativ einwandfrei sind. Genauso nötig erachten viele Betriebe eine finanzielle Förderung beim Einsatz neuer Technologien sowie die rechtliche Sicherheit bei der Umsetzung neuer Maßnahmen.

Spielräume für das optisch nicht Perfekte

Das Zepter in die Hand nehmen und die Vermarktung selbst gestalten – ein Betrieb, der diesen Weg bereits mit Erfolg geht, ist der von Dr. Ralf Schaab, Obst- und Gemüseerzeuger aus Wiesbaden. Unter der Marke „Landmarkt“ liefert der Hof einen Teil seiner Produkte aus eigener landwirtschaftlicher Herstellung direkt an Rewe-Märkte in seiner Region. Das Besondere am Konzept, welches Schaab beim Dialogforum „Primärproduktion“ vorstellte: Der Landwirt trifft mit den einzelnen Märkten individuelle Vereinbarungen. Dabei überlässt der Lebensmitteleinzelhändler die Preisgestaltung dem Erzeuger. „Damit haben wir die Möglichkeit, einen empfohlenen Richtpreis vorzuschlagen“, sagte Schaab. Die Belieferungshäufigkeiten richten sich dabei nach Sortiment und Nachfrage in den Märkten. „Gleichzeitig kümmern wir uns selbst um die Bestellungen und darum, dass unsere Produkte im Regal wieder aufgefüllt werden.“ Auch Waren der Handelsklasse II kann Schaab über das Landmarkt-Konzept bei Rewe verkaufen, beispielsweise Äpfel mit einem kleinen Schorffleck.

Derartige Waren, die aufgrund optischer Makel oder wegen einer veränderten Qualität vom Handel nicht akzeptiert werden, stellen Erzeuger noch immer vor Probleme. „Das gilt insbesondere bei Waren mit handelsbezogener Verpackung und Produkten mit eingeschränkter Haltbarkeit, die sich nicht ohne Weiteres weitervermarkten lassen“, erläuterte die Vorsitzende des Fachzentrums Lebensmittel, Prof. Dr. Katharina Riehn, im Dialogforum „Primärproduktion“, die als Moderatorin durch die Veranstaltung führte.

Wie sich optisch nicht perfektes Obst und Gemüse noch in den Verkauf bringen lässt, demonstrierte bei der Veranstaltung Jonathan Sehl, Gründer des Start-ups a.ware regional. Im Rahmen eines Projektes sammelte er aussortiertes Gemüse von landwirtschaftlichen Bio-Höfen, um es in 2,5 Kilogramm-Tüten zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen. „Die Akzeptanz der Verbraucher von Gemüsen mit kleinen Makeln ist sehr groß“, so Sehl. Schönheitsfehler seien eine Frage der Kommunikation. „Klärt man die Verbraucher auf und sagt ihnen, dass Erzeuger viele Lebensmittel nur aufgrund hoher Ansprüche der Abnehmer aussortieren, werden auch B-Waren gut angenommen.“

Von den Kosten bis zum Nutzen

Welche Mengen werden eingespart und wie nachhaltig sind die Maßnahmen in den Demonstrationsbetrieben? Am Thünen-Institut wird dies von Dr. Yanne Goossens ausgewertet. Auch für das Start-up a.ware regional führte die Wissenschaftlerin eine quantitative Bewertung der Ressourceneffizienz über eine Kosten-Nutzen-Analyse durch, die sowohl den ökonomischen als auch ökologischen und sozialen Nutzen jeder Maßnahme miteinbezieht. Auf diese Weise kann Goossens nicht nur die Erlöse, CO2-Einsparungen oder den sozialen Nutzen bemessen, sondern auch alle Kosten und Optimierungspotenziale sichtbar machen. „Pro investierten Euro konnte das Start-up bereits zum Zeitpunkt der Gründung 430 Gramm Lebensmittelabfälle retten und 130 Gramm CO2 vermeiden“, erläuterte Goossens.

Das Projekt von Jonathan Sehl ist ein Beispiel dafür, wie gezielte Maßnahmen dabei helfen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Ein weiteres kommt aus der Fleischverarbeitung: die Herstellung von Wiener Würstchen und Bockwürstchen auf Basis von „geretteter“ Ware. Einblicke in die Auswertung erhielten die Teilnehmenden beim Dialogforum „Verarbeitung“. „Momentan ist Rework bei Würstchen in dieser Qualitätsklasse nicht statthaft“, erläuterte Goossens. „Es handelt sich hier um eine experimentelle Maßnahme eines Betriebes, um neue Möglichkeiten auszuloten.“ Statt die Bruchware zu entsorgen, entfernt eine eigens entwickelte Schälmaschine die Darmhaut, sodass eine Rückführung der Rohware in die Produktion möglich ist. Innerhalb von einem Jahr würden dem Betrieb auf diese Weise 97 Tonnen weniger Lebensmittelabfälle entstehen, wenn denn der nötige Rahmen hierfür geschaffen würde. „Das entspricht mehr als 1.200 Schweinen und fast 4.000 Tonnen CO2, die an dieser Stelle eingespart werden könnten“, so die Wissenschaftlerin.

Upcycling von Alt-Brot zu Bier

Aussortiertem eine zweite Chance zu geben – darum geht es der Knärzje GmbH. Das Start-up steht für frisches Bier, das auch unter Verwendung von überschüssigem Brot gebraut wird. „Es handelt sich um ein Zero-Waste-Bier und das erste biologisch zertifizierte Bier gegen die Lebensmittelverschwendung“, erläuterte Daniel Anthes, Gründer und Geschäftsführer der Knärzje GmbH, der mit seinem Unternehmen als Demobetrieb im Dialogforum „Verarbeitung“ teilnimmt. „Wir wollen so mit einem bekannten und emotionalen Produkt über Food Waste aufklären.

Außerdem geht es hier auch um Genuss – das Problem kann also auch eine Lösung sein.“ Die ökologische und soziale Nachhaltigkeit gehört aus seiner Sicht zu den wichtigsten unserer Zeit – nicht zuletzt auch wegen des enormen CO2-Einsparpotenzials. Anthes, der auch Buchautor und in der Trend- und Zukunftsforschung unterwegs ist, will Zukunft vorleben und zeigen, dass der Wandel möglich ist.

Eine wesentliche Herausforderung stelle sich dabei in unserem Essalltag. Das Thema Lebensmittelabfälle sei – nach einer Metastudie von Paul Hawken (Drawdown) – nach Windkraft und Photovoltaik der drittgrößte Hebel zur Reduzierung freigesetzter CO2-Mengen. Im engen Umfeld der Lebensmittelabfälle sieht er die vier Megatrends Gesundheit, Konnektivität/Digitalisierung, Individualisierung und Neo-Ökologie. Anthes ist überzeugt davon, dass Zukunft nicht ohne Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeit nicht ohne Zukunft funktioniert. Und er betont, dass solch große Herausforderungen nur global und nicht in einem Nationalstaat allein zu lösen sind. Trotzdem könne man im Kleinen beginnen und Dinge vorleben: Anthes betreibt unter anderem einen Food Truck, in dem mit geretteten Lebensmitteln gekocht wird.

Sozialethische und nachhaltige Unternehmensführung

Das Alt-Brot zur Herstellung des Knärzje-Bieres stammt aus der Bio-Bäckerei Biokaiser. Hier verbindet Geschäftsführer Volker Schmidt-Sköries die Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten mit weiteren Aspekten der Wertschätzung. Im Dialogforum „Verarbeitung“ ging dieser auf die Prinzipien seiner sozialethischen und nachhaltigen Unternehmensführung ein. Für Überschüsse und Ausschuss nutzt der Betrieb neben dem Upcycling von Rest-Brot zu Bier die alternative Verwendung als Spende. Ein weiterer Teil geht an einen lokalen Schäfer zur Fütterung seiner Tiere. „Weggeschmissen wird bei uns wirklich nichts“, sagte Schmidt-Sköries. „Zudem haben wir ein hohes Interesse daran, weitere Wege zu finden, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden und Überschüsse in die Lebensmittelkette zurückzuführen.“

Seine Wertschätzung umfasst neben den erzeugten Lebensmitteln genauso die mitarbeitenden Menschen, die eigenen Handels- und Endkunden und die beliefernden Kornbauern. Unternehmensführung sieht Schmidt-Sköries als eine Balance zwischen Produkt/Dienstleistung, Arbeit/Mensch und Wirtschaftlichkeit. Dabei gehe es nicht um eine hierarchische Rentabilitätsstruktur, sondern um eine dynamische Balance, die ethische und kulturelle Aspekte nicht ausblende. Einige Aspekte hierzu seien die Begrenzung und das Teilen der Gewinne mit den Angestellten und den landwirtschaftlichen Erzeugern, ein partnerschaftliches Verhältnis zu den eigenen Lieferanten oder auch die Funktion der Verkaufsstellen als „beseelte Begegnungsstätten“, in denen Gespräche und auch Kunst ihren festen Platz haben.

Gerade jetzt sei aufgrund der gestiegenen Preise für die Getreidebauern eine gelebte Solidarität in der Lieferkette wichtig. Als Beispiele nannte er die Preise für geliefertes Getreide, die Biokaiser in diesem Jahr aus eigenem Antrieb angehoben habe, und auf Verbraucherseite eine Gruppe von fünf besonders beliebten Produkten, die im Preis trotz hoher Inflation bis zum Ende des nächsten Jahres nicht angehoben werden. Diese Aktion hat inzwischen weitere Kreise gezogen: Mit im Boot sind bundesweit sechs weitere Bäckereien und auch ein Unternehmen des Bio-Lebensmittelhandels.

Blick in die Gesellschaft

Abgerundet wurden beide Veranstaltungen durch einen Blick in die Gesellschaft durch Prof. Dr. Nina Langen, Leiterin des Fachgebiets Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. Sie gab Einblicke in das Dialogforum “Private Haushalte“. Nach wie vor fällt hier der Großteil der Lebensmittelabfälle an: Der Erhebung vom Statistischen Bundesamt zufolge waren es 6,5 Millionen Tonnen im Jahr 2020, was 59 Prozent aller Verluste entspricht. Der Projektfokus liegt auf der Erhöhung des Bewusstseins der Relevanz und der Folgen von Lebensmittelverschwendung, um deren Vermeidung in privaten Haushalten einfacher und selbstverständlich zu machen. „Wir wissen, dass Planung, Einkauf, Lagerung und Zubereitung und auch der Verbrauch selbst die Stellschrauben sind, an denen wir drehen können“, so Langen. Wie wirksam bestimmte Ansätze in diesem Feld sind, wird im Rahmen des Projektes getestet und evaluiert. „Es gibt bereits sehr viele Initiativen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Wir wollen diese vernetzen und herausfinden, was davon effizient ist, sodass später im Idealfall nur noch Maßnahmen durchgeführt werden, die wirklich helfen.“

Ein Sachverhalt, der auch von Dr. Diedrich Harms, Moderator des Dialogforums “Verarbeitung“, in seinem Fazit aufgegriffen wurde. „Lebensmittelverschwendung ist ein dringliches Problem unserer Zeit, das ist heute einmal mehr deutlich geworden“, so der Vorsitzende des DLG-Testzentrums Lebensmittel zum Ende der zweiten Online-Konferenz „Verarbeitung“.

Über die Dialogforen 

Die beiden Dialogforen Primärproduktion und Verarbeitung sind Teil der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Februar 2019 gestarteten Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung. Eingerichtet wurden dazu die fünf sektorspezifischen Dialogforen Primärproduktion, Verarbeitung, Groß- und Einzelhandel, Außer-Haus-Verpflegung und Private Haushalte.

In den beiden von der DLG koordinierten Dialogforen Primärproduktion und Verarbeitung werden konkrete Maßnahmen zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle von Expert:innen erarbeitet, Benchmarks definiert und ihre Umsetzung transparent gemacht. Koordiniert und durchgeführt werden die Arbeiten von der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft), wissenschaftlich begleitet vom Thünen-Institut für Markanalyse.

Quelle: DLG