Emotionales Essen: Genuss zulassen – und reflektieren

Experten bei f.eh live im Talk zum Thema „Essen und Emotionen – wie hängt das zusammen?“: Bewusst essen und Muster erkennen, um Verhaltensänderung anzustoßen.

Positive Emotionen wie Freude, aber auch negative wie Stress, Wut oder Angst beeinflussen unser Essverhalten. Während manche Menschen insbesondere in Stresssituationen den Appetit verlieren, greifen andere verstärkt zu – vor allem bei Süßem, Salzigem oder Hochkalorischem.

Das forum. ernährung heute (f.eh) hat daher im Rahmen von f.eh live im Talk mit Prof. Dr. Christoph Klotter (Hochschule Fulda) und Gabriele Haselberger (Therapie, Beratung & Skillstraining Haselberger) über Ursachen und Folgen von emotionalem Essen gesprochen. Sie kommen überein, dass man auf Körpersignale bewusster hören und sich statt restriktivem Essen Genuss erlauben soll. Im Gespräch mit Marlies Gruber, Geschäftsführerin des f.eh, raten sie Personen, die zu emotionalem Essen neigen, zu einem mehrwöchigen Selbstexperiment mit einem Esstagebuch mit Speisen, Gründen für deren Verzehr und damit verbundenen Emotionen. Damit können sich eine innere Achtsamkeit sowie alternative Belohnungsformen entwickeln lassen. Das Webinar kann auf der Seite forum-ernaehrung.at/live-im-talk nachgesehen werden.

Essen und Emotionen sind untrennbar miteinander verbunden – sei es bei positiven oder negativen Stimmungslagen. Als ein Beispiel nennen die Experten die Erfahrung einer Zurückweisung, die oftmals durch Essen kompensiert wird. Ursache für dieses Verhalten sind die frühe Entwicklung im Mutterleib und das Stillen, die die Nahrungsaufnahme auch zu einer Erfahrung des Geliebtwerdens machen. Menschen reagieren auf veränderte Umstände aber unterschiedlich. So haben während der Corona-Pandemie viele Menschen zugenommen, andere wiederum den Appetit verloren.

Anders ist das beim Essen in der Gemeinschaft: Die gemeinsame emotionale Grunderfahrung beim Treffen in einer Gruppe oder mit der Familie schafft eine soziale Zugehörigkeit, denn früher war der Genuss die Feierlichkeit an sich und kommunikativer Mittelpunkt des Tagesablaufs. Heute wird eher nebenbei mit dem Smartphone in der Hand gegessen, womit das Essen keinen Einfluss mehr auf den Tagesablauf hat. Hinzu kommt, dass der Mensch ursprünglich darauf ausgerichtet war, Hunger zu bewältigen, und erst seit 200 Jahren im Überfluss lebt. Das sorgt dafür, dass Genuss oft mit Scham verbunden wird, weil er fälschlicherweise als Form des Kontrollverlusts und Niederlage gegen den inneren Schweinehund gesehen wird. Umgekehrt leiten Menschen, die bewusst auf bestimmte Nahrungsmittel verzichten (z. B. tierische Produkte), ein Überlegenheitsgefühl aus ihrem Verhalten ab.

Braucht Reflektion und Mindset-Änderung

Essstörungen entstehen oft aus solchen Formen von Selbstzwang. Darüber hinaus spielen äußere Einflüsse eine Rolle, etwa Schönheitsideale, von denen man glaubt, sie nicht erreichen zu können. Magersüchtige möchten durch die Kontrolle über ihren Körper auch ihre Emotionen steuern und verlernen, sowohl Hunger- als auch Sättigungsgefühl wahrzunehmen.

Übermäßig gesundes Essen wiederum kann bei anderen unkontrollierte Essanfälle provozieren und in Folge ebenfalls zu einer Essstörung führen. Dann verspüren die Menschen meist zwar Hunger, aber kein Sättigungsgefühl. Dadurch entsteht während des Essens der Zwang, weiter zu essen, oder es kommt im Extremfall aufgrund der emotionalen Bedingungen sogar zum Abdriften in eine Binge Eating Disorder.

Von „gesundem Essen“ zu reden, raten beide Experten ab. Einerseits wird bei Gesundheit oft ans Gegenteil gedacht – die Krankheit. Das macht Angst. Andererseits rebellieren Menschen gegen ein Gesundheitsdiktat. In beiden Fällen wird das erwünschte Ziel des besseren Essverhaltens nicht erreicht.

Bewusst genießen & kleine Sünden akzeptieren

Sollen Emotionen mit Essen kompensiert werden, dann greifen Betroffene gerne zu hochkalorischen Lebensmitteln. Christoph Klotter führt das auf die genetische Programmierung zurück: So viel wie möglich zu essen, wenn Nahrung verfügbar ist, und dabei auch vorwiegend fette und süße Speisen. Dadurch kann der Körper Reserven anlegen und das Überleben sichern. Ein Verhalten, das bei der heutigen Angebotslage nicht nötig ist.

Wie kann man also mit emotionalem Essen umgehen? Christoph Klotter rät zu bewusstem Genuss und dazu, sich mittels Selbstexperiment über mehrere Wochen selbst zu erkunden. Was esse ich? Was bekommt mir? Nutze ich das Essen als Verstärker? So kann man die Emotionen und Situationen erkennen, die gewisse Verhaltensmuster auslösen. Dabei sollte man die jeweilige Emotion aber nicht wegschieben, sondern akzeptieren und sich auch selbst verzeihen können. Ist das Essen eine Form der Belohnung, kann sie durch eine alternative Belohnung ersetzt werden, etwa Bewegung an der frischen Luft, ein Gespräch, Musikhören etc. Gabriele Haselberger verweist darauf, wie wichtig es ist, zwischen Hunger und Appetit zu unterscheiden und bei zweiterem darauf zu achten, was davor geschah und welche Emotion sich entwickelt hat. Daran anknüpfend geht es darum, einen selbstfürsorglichen Umgang zu pflegen, zu lernen anders mit Stress und negativen Emotionen umzugehen und eine innere Achtsamkeit zu entwickeln.

Bei Essstörungen sollte man sich professionelle Begleitung holen, die mitunter über Jahre hinweg zur Seite steht und in Ausnahmesituationen Hilfestellungen geben kann. Sich Hilfe über Hotlines oder Therapiezentren zu holen, ist vor allem vor einem drohenden Kippen der Stimmung ratsam, so Gabriele Haselberger. Im Zuge einer Therapie können dann die individuellen Ursachen untersucht und therapiert werden.

Quelle: f.eh