Kennt Karl Lauterbach den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht?

Vom Bundesgesundheitsminister erwarten die Bürger wissenschaftlich 100% korrekte Aussagen. Im Bereich Ernährung nimmt es der Epidemiologe und selbst ernannte „Salzlos-Vegetarier“ Prof. Karl Lauterbach jedoch nicht so genau mit der Wahrheit – sondern kolportiert lieber lieb gewonnene Ideologien …

So warnte Lauterbach jüngst in der „Bild am Sonntag“ [1] vor einer großen ursächlichen Gefahr auf dem Teller: „Jeden Tag Wurst, Schnitzel oder Braten verursacht Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle, Diabetes, Darmkrebs. Zu viel Fleisch lässt uns leider auch schneller altern.“

Das Problem an dieser Aussage ist: Es existiert keinerlei Kausalevidenz, dass „jeden Tag Wurst und Fleisch“ die genannten Krankheiten verursacht. Und schon gar nicht allein, also als einziger Auslöser – denn die großen Volkskrankheiten basieren stets auf einem hochkomplexen Mix potenzieller Ursachen, resultierend aus dem individuellen Zusammenspiel zahlreicher persönlicher Lebensstilfaktoren. Also, das alles ist gar nicht so einfach wissenschaftlich exakt „dingfest zu machen“ und zu entflechten, was genau in welcher Ausprägung wofür verantwortlich ist.

Wenn überhaupt, gibt es hierzu aus wissenschaftlicher Sicht nur Vermutungen und Hypothesen basierend auf vagen Korrelationen (statistische Zusammenhänge). Und das liegt wiederum daran, dass Ernährungsforschung massiven Limitierungen unterliegt, die keine Ursache-Wirkungs-Belege erlauben – eine „kleine Auswahl“ dieser wissenschaftlichen Einschränkungsphalanx lesen Sie am Ende dieses Beitrags.

Könnte, könnte, Knusperente …

Lauterbach könnte demnach allerhöchstens verlauten lassen: „Jeden Tag Wurst, Schnitzel oder Braten könnte vermutlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfälle, Diabetes, Darmkrebs mit verursachen.“ Am Rande erwähnt: Das kleine Wörtchen „mit“ ist essenziell – so vorsichtig formuliert es daher sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, DGE, seit einigen Jahren: Hier heißt es immer „ernährungsmitbedingte“ Erkrankungen.

Genau so klar konjunktivistisch steht es beispielweise im Weltkrebsbericht (WCRF) aus 2020 geschrieben: „Schätzungen zufolge könnten 30–50 Prozent aller Krebsfälle durch das Einhalten von gesundem Körpergewicht, gesunder Ernährung, ausreichend körperlicher Aktivität, sowie durch die Vermeidung von berufsbedingten Karzinogenen, Umweltschadstoffen und bestimmten langfristigen Infektionen reduziert werden.“ [2]

Das aber macht unser Bundesgesundheitsminister nicht – bewusst oder unbewusst? Wie auch immer, aus diesen schwachen Daten einfach mal al gusto eine „Kausalwahrheit“ zu konstruieren, das ist eines Bundesministers, der sich „evidenzbasiert agieren!“ als öffentliche Handlungsmaxime auf die Fahne geschrieben hat, einfach nur unwürdig. Besonders paradox wirken seine unhaltbaren Aussagen vor dem Hintergrund, dass er selbst Epidemiologe ist – und damit sowohl die limitierte Aussageschwäche von Beobachtungsstudien als auch den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität kennen und korrekt kommunizieren sollte. Macht er aber nicht. Warum nur?

Ministers Pressestelle: Reden ist Silber, schweigen ist Gold

Eine Anfrage bei Lauterbachs Pressestelle im BMG resultierte in „stillschweigendem Verleugnen des Chefs des Hauses“, konkret: Das BMG zog es vor, zu den aktuellen Fleisch-Verursacher-Aussagen seines Ministers keine Stellungnahme abzugeben. So bleibt bedauerlicherweise auch nebulös im Dunkeln, was Lauterbach damit meint, dass „zu viel Fleisch uns leider auch schneller altern lässt“. Immerhin liefert er damit einen spannenden Ansatz zur kreativen Diskussion seiner möglichen Fantasien, die dieser – ebenfalls in keiner Weise wissenschaftlichen belegten – Aussage zugrunde lagen. Vielleicht aber war auch wie in diesem Interview ein „technischer Übertragungsfehler“ der Schuldige, dass Lauterbach unschuldig falsch zitiert wurde: „Aus Kreisen des Gesundheitsministeriums hieß es gegenüber WELT, ein Sprecher des Ministers habe eine falsche Version des Interviews verschickt …“ Bilde sich jeder seine eigene Meinung und frage sich:

  • Warum „verleugnet“ die Pressestelle ihren Bundesminister? Wie finden Sie das, besonders im Hinblick auf transparente und offene Kommunikation, die man von einem Bundesministerium erwarten müsste?
  • Was meinen Sie: Sollte ein Bundesgesundheitsminister die „Wahrheit nach seinen Ansichten öffentlich dehnen“ dürfen, oder muss er immer objektiv und vollumfänglich bei den wissenschaftlichen Fakten bleiben?
  • Und, was denken Sie, meint Lauterbach wohl mit „schneller altern“ durch Fleischverzehr?

In diesem Sinne: Amüsant-anregende Gespräche! Und hier gern noch die „Best of limitations of nutrition science“ kredenzt – die unser Bundesgesundheitsminister vielleicht vor lauter Coronakommunikation vergessen hatte …

Warum Ernährungsstudien keine Beweise liefern

Die Gründe sind außerordentlich vielfältig, aber sehr einfach nachvollziehbar. Auch wenn beispielsweise in winterlichen Infektionszeiten gern immer wieder von „Stärkung des Immunsystems durch XYZ essen“ schwadroniert wird, es ändert nichts an der „ewigen Tatsache“: Ernährungsforschung kann keinerlei Kausalevidenz (also Ursache-Wirkungs-Beziehungen) liefern, weil wesentliche Voraussetzungen im Studiendesign dafür nicht erfüllt werden. Die relevanten Limitierungen, die ökotrophologische Studien auf Kristallkugelniveau „downgraden“, sind:

1. Beobachtungsstudien

Das Fundament der Ernährungsforschung. Diese Studien, auf denen das gängige Ernährungs(halb)wissen basiert, können keine Beweise (Kausalitäten) liefern, sondern nur vage Vermutungen und Hypothesen abgeleitet von schwachen Korrelationen.

2. Korrelationen

Statistische Zusammenhänge, über deren tatsächliche Verbindung man nichts weiß. Bsp.: Rotweintrinker leben länger. Liegt es am Rotwein oder am „Rest“ des Lebensstils, weil diese Menschen mehr Geld haben, eine bessere Gesundheit, höhere Jobs etc.? Eine Korrelation liefert keine Kausalität!

3. Kausalität

Ursache-Wirkungs-Beziehung, die Mangelware der Oecotrophologie schlechthin. Ein einfaches Beispiel: Skorbutkranke haben einen Vitamin-C-Mangel. Gleicht man diesen aus, verschwindet die Erkrankung vollständig. Ursache: Vitamin-C-Mangel → Wirkung: Skorbut.

4. Harte klinische Endpunkte

Kausalevidenz für die entscheidenden Forschungstargets (die harten klinische Endpunkte) wie Herzinfarkte, Schlaganfall, Krebs oder Lebenserwartung können nur hochwertige Studie liefern. Diese existieren in der Ernährungswissenschaft nicht – und sie wird es auch niemals geben. Stattdessen müssen sich die Essforscher mit …

5. Surrogatparametern

Das sind Ersatzwerte wie Blutdruck oder Blutwerte. Sie sind schwach in ihrer begrenzten Aussagekraft und liegen zudem meist nur als Korrelationen vor.

6. Randomisierung

Einer der wichtigsten Studienfaktoren: das zufällige Verteilen der Menschen in die Studiengruppen, damit diese vergleichbar sind. Im Bereich der „großen Ernährungsfragen“ ist die Randomisierung jedoch unrealistisch bis unmöglich, denn: Es ist nicht umsetzbar, von einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe eine bestimmte Ernährungsweise zu fordern und zu erwarten, dass die Teilnehmer sich über die erforderlichen Jahre bis Jahrzehnte daran halten. Würde man beispielsweise wissen wollen, ob vegetarische Ernährung gesünder ist als „Alles-Essen“ und teilt die Probanden demnach zufällig in diese beiden Gruppen auf, welcher Steak-Freund hört da schon gern: „Alea iacta est – die Würfel sind gefallen: Sie sind in die vegetarische Gruppe gelost worden und dürfen jetzt fünf Jahre lang während der Studienlaufzeit kein Fleisch essen.“ Umgekehrt will man sich den Aufschrei der Empörung gar nicht vorstellen: Ein Vegetarier wird in die Allesesser-Gruppe randomisiert. Hinzu kommt …

7. Placebo

Placebo-Fleisch wäre auch noch nötig, aber das gibt es ebenfalls nicht. Generell existiert kein einziges Placebo-Lebensmittel – und damit gibt es auch keine Placebogruppe als Studienarm. Sehr arm. Denn damit lässt sich die Wirksamkeit einer Intervention am besten erforschen.

8. Verblindung / Doppelblind

Weder der Arzt respektive Studienleiter noch die Probanden (Studienteilnehmer) wissen, ob sie in der Interventions-, der Vergleichs- oder in der Placebogruppe sind. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit echter Ergebnisse, weil keine Erwartungen und Wünsche in die Studie hineininterpretiert werden (was die Ergebnisse in der Regel verfälscht). Ernährungsforschung bleibt auch hier leider ein Blind-flug, denn weder die Einfach- noch eine Doppelverblindung ist auf dem Teller möglich.

9. Fehlende Dosis-Wirkungs-Beziehung

In den meisten Studien zeigt sich eine sogenannte J- oder U-Kurve, d. h., beispielsweise die Menschen mit niedrigem hohem Wurstverzehr sterben früher als die mit moderatem Konsum. Es liegt demnach keine aussagekräftige und auf Kausalität hindeutende Dosis-Wirkungs-Beziehung vor, bei der mit steigendem Verzehr ein wachsendes Risiko einhergehen müsste.

10. „Wachsweiches“ Datenfundament

Die Mengen an verzehrten Lebensmitteln, also die Studiengrundlage, basieren stets auf den unüberprüfbaren Eigenangaben der Probanden. Und hier weiß man: Es wird gern geschummelt, die Antworten sind (fast) nie 100% ehrlich, Stichwort „Underreporting“ – aus Gewissensgründen wird gern mehr vermeintlich »gesunde Kost« angegeben, dafür die „bösen“ Lebensmittel nach unten „korrigiert“. Ergo: Man kann allein die Datengrundlage schon nicht ernst nehmen, denn sie ist alles andere als valide. Und oftmals wird diese nur ein einziges Mal zu Beginn einer Studie abgefragt, die zehn Jahre oder länger läuft.

11. Keiner wird über Jahre das Gleiche essen

Auch wenn man den Angaben der Probanden vertrauen könnte – eine vorgegebene studien-standardisierte Ernährungsform über Jahre bis Jahrzehnte konsequent durchzuhalten, das hält kein Mensch stringent durch – besonders dann nicht, wenn es um die Analyse und damit den Verzehr einzelner Lebensmittel(gruppen) geht, Studienvorgaben im Sinne von Anweisungen wie „Essen Sie jeden Tag mindestens eine Portion Brokkoli, Blumenkohl oder Romanesco“ oder „Verzehren Sie mindestens 7 Äpfel und Birnen pro Woche“, das klappt vielleicht die ersten paar Monate – aber dann hat man irgendwann sicher keine Lust mehr darauf und entwickelt vielleicht sogar eine echte Aversion gegenüber der „Interventionskost“. Völlig gaga würde es, wenn man beispielsweise den Gesundheits-Effekt von Fertiggerichten wie Dosenravioli erforschen möchte: Der fortgesetzte Zwangskonsum, den sowieso keiner länger als ein bis zwei Wochen mitmachen würde, könnte sicher auch grundlegende „ethisch-kulinarische“ Fragen aufwerfen. Und das ist noch nicht alles – kennen Sie:

12. Confounder

Das sind die „berühmt-berüchtigten“ Störfaktoren, die einen unerwünschten verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse von Beobachtungsstudien haben. Also beispielsweise Lebensstilfaktoren wie Sex, Geld, Freizeit und allerlei emotional und sozial Zwischenmenschliches, aber auch „banales“ wie Sonneneinstrahlung und Frischluftqualität in unter-schiedlichen Studienländern – das alles beeinflusst und verfälscht die Ergebnisse (teils massiv), wird jedoch nicht in den Fragebögen erfasst. Die Studiendesigner nutzen zwar diverse statistische Methoden, um diese Verzerrungen herauszurechnen. Jedoch weiß keiner sicher, welche dieser Faktoren in welcher Art die Ergebnisse verfälschen.

13. Publikations-Bias

Die Schieflage der Veröffentlichungen. Die Studienlage hat massive Schlagseite, denn die Papers, die zu zeitgemäßen, gesellschaftlich akzeptierten Ergebnissen kommen, werden wahrscheinlicher publiziert als diejenigen, die genau das Gegenteil beobachten. Beispiel: Zwei Studien untersuchen den Zusammenhang von rotem Fleisch und Herzinfarkt. Nur eine davon beobachtet eine positive Korrelation, also „je mehr böses Steak, desto mehr Herzinfarkte“, so wird wohl diese Arbeit eher veröffentlicht – und die andere, die nichts oder gar eine inverse Korrelation ergeben hat, die verschwindet in der Schublade.

14. Mythenkranz aus Spekulationen

Zu alldem passt abschließend folgende Erkenntnis, die DER SPIEGEL Mitte 2017 zum Besten gab: „Ausgerechnet die Ernährung, ein Thema, das jeden betrifft, widersetzt sich ein paar Grundregeln der seriösen Forschung: randomisierte Doppelblindstudien? Eine absurde Vorstellung. Ernährungsforschung weist methodische Schwächen und wissenschaftliche Lücken auf. Ausgerechnet die fundamentale Frage der Lebensführung umgibt daher ein Mythenkranz aus Spekulationen und unbewiesenen Hypothesen.“

Aufgrund all dieser Limitierungen existiert bis heute keine einzige klinische Studie nach höchsten EBM-(evidence-based-medicine) Kriterien, die auch nur einen einzigen harten Endpunkt kausal belegen konnte. Es gibt Myriaden Korrelationen, kleine schwache kurze RCT (randomised clinical trials), Mäusestudien, die allesamt stets nur Surrogatparameter bewerten (können). Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebs, Mortalität als harten Endpunkt für irgendeine Ernährungsweise respektive spezielle Lebensmittel(gruppen) oder gar einzelnen Inhaltsstoffe kausal belegt? Null.

15. Alternative Evidenzen

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass selbst die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) im November 2019 öffentlich klar konstatierte, dass auch in Zukunft Studien zur Ermittlung von Kausalevidenz nicht zu erwarten seien: „Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Ernährungsbereich für Lebensmittelempfehlungen andere Wege beschritten werden müssen als auf die Studien zu hoffen, die in der Praxis nicht durchführbar sind …“ Oder anders in Donald Trumpisch formuliert: „Uns fehlt valide Kausalevidenz, also müssen wir ,Alternative Evidenzen‘ zur gesunden Ernährung finden …“ Worauf die basieren, das wissen Sie inzwischen, oder?

[1] BamS: Lauterbach im großen Weihnachtsinterview: Rotwein, Schnaps und Kater-Tricks, 24.12.2022

[2] WRCF-Bericht 2020