Die „Chocolate Scorecard“ untersucht die dunkle Seite der süßen Köstlichkeit

Bittersüße Schokolade: Die „Chocolate Scorecard“ untersucht anhand von sechs Nachhaltigkeitsdimensionen das Abschneiden von 72 Schokoladenunternehmen.

Nur 11 Prozent der untersuchten Unternehmen verfolgen ihren Kakao bis zu seinem Ursprung zurück – kennen also wirklich seine Herkunft.
Zwischen den bekannten Marken gibt es große Unterschiede: Kund:innen können mit ihrem Einkauf Druck auf Hersteller ausüben, sich gegen Kinderarbeit und Abholzung zu engagieren.

Bald werden zu Ostern wieder jede Menge Schokoladeneier den Menschen die Feiertage versüßen. Mit der bitteren Seite von Schokolade hat sich die vierte Ausgabe der „Chocolate Scorecard“ beschäftigt. Sie hat 72 der größten Schokoladenunternehmen der Welt nach Nachhaltigkeitskriterien wie Entwaldung, Transparenz, existenzsichernde Löhne und Kinderarbeit untersucht. Dabei zeigt sich: „Süße Schokolade ohne schlechtes Gewissen ist möglich. Doch noch viel zu wenige Hersteller engagieren sich ausreichend gegen Entwaldung, Kinderarbeit und für existenzsichernde Löhne. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre eigenen Lieferketten nachhaltig sind – bis hin zu den Lieferanten ihrer Zulieferer“ so WWF-Expertin Michelle Neuhaus.

Die „Chocolate Scorecard“ ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit verschiedenster NGOs, Unternehmen und Universitäten, um soziale und ökologische Herausforderungen in den Lieferketten von Kakao zu thematisieren. Von den 53 Unternehmen, welche auf die Anfrage für die aktuelle «Chocolate Scorecard» geantwortet haben, verfügen 48 über Regeln zur Nichtabholzung. Diese verpflichten ihre Lieferanten, Kakao aus Gebieten zu beziehen, in denen keine Zerstörung der Baumkronen stattfindet. Aber nur die Hälfte (28 Firmen) stellt die Forderung, dass die Lieferanten sich weiter verbessern müssen, und hat eine Option, sie auszuschließen bei dauerhafter Nicht-beachtung.

Nur 11 Prozent der untersuchten Unternehmen verfolgen ihren Kakao bis zu seinem Ursprung zurück, außerdem werden durchschnittlich 40 Prozent des Kakaos indirekt eingekauft. Das heißt, Konsumenten wissen nicht wirklich, woher der Kakao ihrer Schokolade stammt. Michelle Neuhaus, die beim WWF Deutschland ein Projekt für entwaldungsfreie Kakaolieferketten leitet, schlussfolgert: „Die Unternehmen müssen strenge Vorgaben für die Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten machen, um die Herkunft ihres Kakaos zu erfassen. Nur so werden die Nachhaltigkeitsversprechen der Unternehmen glaubwürdig.“

Viele Kakaobauernfamilien leben in großer Armut. Um das zu ändern, braucht es eine faire Vergütung. Rund die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen der „Chocolate Scorecard“ gibt an, einen sogenannten «Referenzpreis für ein existenzsicherndes Einkommen» eingeführt zu haben. Die meisten Unternehmen aber zahlen diesen Preis nicht für einen großen Teil ihrer Kakaoeinkäufe. Ein existenzsicherndes Einkommen ist das jährliche Nettoeinkommen, das eine Kakaobauernfamilie benötigt, um einen angemessenen Lebensstandard zu führen.

Zu den Firmen, die mit Abstand am besten bei der Scorecard abschneiden, gehören diejenigen, die ihren Daseinszweck mit einer Mission für bessere Anbau- und Lebensbedingungen in den Kakaoländern verknüpft haben. Zu ihnen zählen Original Beans und Tony’s Chocolonely auf Platz eins und zwei der Scorecard. Im oberen Mittelfeld folgen einige große Markenhersteller wie Ritter Sport, Ben&Jerry’s, Nestlé und Ferrero, die in einzelnen Aspekten zu den besten ihrer Branche gehören und bei anderen ihre Anstrengungen verstärkt haben. Auch der Lebensmitteleinzelhandel bringt mit seinen Eigenmarkenprodukten viel Schokolade auf den Markt. Hier landen Aldi Nord und Süd auf den ersten Plätzen im Retailer-Ranking, Lidl im oberen Mittelfeld.

Am anderen Ende der Scorecard stehen diejenigen, die sich gar nicht zurückgemeldet haben. Dazu gehören Mondelez (Milka, Toblerone, Daim) und Unilever (Langnese, Magnum, Cremissimo), aber auch Metro und REWE. „Unter dieser stillen Gruppe mag es einzelne Engagierte geben, doch andere hoffen wohl eher mit Passivität und Intransparenz davonzukommen“, so Michelle Neuhaus. Der WWF Deutschland bedauert die Nichtteilnahme seines Partners EDEKA. Denn so bleibt auch die Initiative „Cocoa for Future“ unsichtbar, mit der EDEKA sich auf den Weg gemacht hat, den Kakaoanbau nachhaltiger und klimaresistenter zu gestalten und die Lebensumstände der Farmer:innen und ihrer Familien zu verbessern. Der WWF hat die Initiative in der Entwicklung des Agroforstkonzeptes unterstützt und zu Maßnahmen zum Schutz und Erhalt der Biodiversität beraten.

Hintergrund

Kakao ist weltweit einer der Hauptverursacher der fortschreitenden Entwaldung und somit verantwortlich für Klimakrise und Biodiversitätsverlust. Westafrika – mit der Elfenbeinküste und Ghana als den beiden größten Produzenten – ist für drei Viertel der weltweiten Produktion verantwortlich. Die beiden Länder haben in den letzten 60 Jahren den größten Teil ihrer Waldflächen verloren: rund 94 Prozent in der Elfenbeinküste und 80 Prozent in Ghana, wobei ein Drittel dieser Waldverluste durch Kakaoanbau verschuldet ist. Wälder sind eine entscheidende natürliche Ressource gegen die Klimakrise, da sie sowohl Kohlenstoff aufnehmen als auch speichern. Mit der Zerstörung der Wälder werden auch die Lebensräume vieler Pflanzen und Tiere zerstört. Bereits heute hat die Abholzung der afrikanischen Wälder einen Großteil des natürlichen Lebensraums der Menschenaffen zerstört.

The Chocolate Scorecard

Die «Chocolate Scorecard 2023» ist eine Zusammenarbeit zwischen NGOs, Unternehmen und Universitäten (die australischen Macquarie University und University of Wollongong und sowie die britische Open University) mit dem Ziel, die Industrie bei der Bewältigung sozialer und ökologischer Fragen im Zusammenhang mit Kakao zu analysieren. Zu diesem Zweck werden 72 Schokoladenunternehmen (43 Hersteller und Händler sowie 29 Einzelhändler) in Bezug auf die Nachhaltigkeitsaspekte Rückverfolgbarkeit und Transparenz, existenzsichernde Einkommen, Kinderarbeit, Entwaldung und Klima, Forstwirtschaft sowie Agrarchemikalien bewertet.

Die Studie untersucht, wie Unternehmen in der Schokoladenlieferkette zur Verbesserung ihrer Nachhaltigkeitsziele beitragen. Die Chocolate Scorecard wurde erstellt, um die Unternehmen über ihr Abschneiden bei den wichtigsten Nachhaltigkeitsherausforderungen zu informieren und einen produktiven Dialog mit ihnen darüber zu führen. Die Scorecard bietet auch Orientierung für Konsument:innen, die sich über die Nachhaltigkeit von Schokolade informieren wollen.

Die NGO «Be Slavery Free» begann 2014 mit der Bewertung von Zertifizierungsstandards und Programmen von Schokoladenunternehmen. Unabhängig davon hatten andere NGOs Schokoladenunternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit ebenfalls bewertet. Die NGOs beschlossen, ihre Kräfte zu bündeln. https://www.chocolatescorecard.com