Risikotechnologie oder ungenützte Chance? Expertinnen diskutieren bei f.eh live im Talk zur „neuen Gentechnik“.
Während Iris Strutzmann (AK Wien) eine starke Regulierung fordert, will Petra Jorasch (Euroseeds) die Technologien im Sinne der Nachhaltigkeit öffnen.
Obwohl die Menschen in vielen Bereichen wie bei Kosmetika, Baumwolle oder in der Medizin – etwa bei Insulin – mit Gentechnik konfrontiert sind, ist die Skepsis bei Lebens- und Futtermitteln nach wie vor groß. Dabei hätten die neuen Züchtungsmethoden für die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und den Bio-Bereich enormes Potenzial, wie Petra Jorasch von Euroseeds im Gespräch mit Marlies Gruber, Geschäftsführerin des forum. ernährung heute (f.eh), betont. Das kann allerdings nur im Falle einer Deregulierung auf EU-Ebene genutzt werden. Die wiederum wird von Seiten des Verbraucherschutzes kritisch gesehen, so Iris Strutzmann von der AK Wien. Einig sind sich die beiden Expertinnen beim f.eh live im Talk zum Thema „Neue Gentechnik: Chance oder Risiko?“, dass die neuen Züchtungsmethoden und innovative Sorten nur ein Werkzeug des integrierten Anbaus sein können. Das Webinar kann auf der Seite forum-ernaehrung.at/live-im-talk nachgesehen werden.
Die Pflanzenzüchtung ist in einem ständigen Wettlauf mit der Zeit: Krankheitserreger passen sich kontinuierlich an, der Klimawandel schreitet voran und der Pflanzenschutzmitteleinsatz sinkt. Einen Vorsprung erhofft man sich durch die neuen Züchtungsmethoden bzw. „neue Gentechnik“. Aber: Die Skepsis ist bei den Menschen im deutschsprachigen Raum groß, vor allem dann, wenn wenig Wissen vorherrscht (Quelle: Fernbach PM et al. (2019))1. Eine Eurobarometer-Umfrage zum Thema Food Safety aus dem Jahr 2022 belegt jedoch, dass die Skepsis vor allem gegenüber der klassischen Gentechnik besteht (25 Prozent), während bei der Genomeditierung nur 8 Prozent der Verbraucher beunruhigt sind. Generell steigt die Zustimmung zu beiden Formen europaweit an.
Definitionsfragen
Gentechnisch-veränderte Organismen sind in der Freisetzungs-Richtlinie europaweit geregelt. Sie besagt, dass alles, was nicht natürlich hergestellt werden kann, unter den Begriff Gentechnik fällt und dementsprechend klar gekennzeichnet werden muss. Global betrachtet stimmen die Jurisdiktionen aber nicht überein. Denn aus naturwissenschaftlicher Sicht fallen unter Gentechnik nur jene Methoden, bei denen Transgene (artfremde Gene) in einen Organismus gezüchtet werden. Bei Transgenese findet also ein Genaustausch zweier Organismen statt, die normalerweise keine Genetik austauschen oder sich gemeinsam fortpflanzen. Der Transfer von Cisgenen (arteigene Gene) wiederum fällt nicht darunter, weil er auch in der Natur vorkommen kann. Für eine Veränderung im Erbgut ist zuerst ein Doppelstrangbruch in der DNA nötig. Bei der Reparatur der Bruchstelle durch die Zelle entstehen Mutationen unterschiedlicher Art, wie sie in der Natur permanent passieren, etwa auch durch Sonnenbestrahlung. Der Bruch kann aber auch genützt werden, um gezielt arteigenes oder fremdes Genmaterial in die DNA einzufügen oder Stücke von Genen herauszunehmen.
Was ist neu an der Gentechnik?
Während die ersten Werkzeuge für die Veränderung der DNA etwa mit ionisierender Strahlung oder chemischer Behandlung (klassische Mutagenese) eher grob sind und einen langen Prozess der Selektion und Weiterzüchtung erfordern, um zu gewünschten Ergebnissen zu kommen, ist es mit den neuen Methoden möglich, sehr präzise und rasch den erforderlichen Doppelstrangbruch zu setzen und Basenpaare in der DNA auszutauschen oder zu eliminieren. Dafür kommen Enzyme zum Einsatz, wie bei der CRISPR-Cas-Genschere.
Regulierung differenziert
Gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus 2018 darf die klassische Mutagenese verwendet werden, während Enzym-gebundene Verfahren unter Gentechnik fallen. Argumentiert wird dies mit dem vorhandenen wissenschaftlichen Datenmaterial zur klassischen Gentechnik und damit höheren Sicherheit im Vergleich zu den neuen Methoden. Konsumentenschützer fordern daher eine umfassende Risikoabschätzung wie es auch bei Organismen aus „alter Gentechnik“ der Fall ist, wenn Pflanzen, die mit neuen Züchtungsmethoden geschaffen wurden, zugelassen werden. Der langwierige Prozess hebt dabei den Zeitgewinn durch die modernere Züchtungsmethode auf.
Der Zeitgewinn entsteht, da bei den neuen Züchtungsmethoden im Vergleich zur konventionellen Züchtung Zyklen eingespart werden können, weil unbekannte Mutationen und Veränderungen nicht selektiert werden müssen. Die eingesetzten Basenpaare und auch die Bruchstelle sind zudem bekannt, was die neuen Züchtungsmethoden deutlich effizienter macht und dafür sorgt, dass unerwünschte Wirkungen kaum zu erwarten sind, wie Petra Jorasch betont. Zusätzlich werden bei den ersten Test-Pflanzen – wie auch bei herkömmlichen Züchtungsmethoden – im Labor, Gewächshaus und bei Feldversuchen unerwünschte und gewünschte Eigenschaften untersucht. Entspricht die Pflanze nicht den Erwartungen, wird sie ausselektiert und nicht für die Sortenregistrierung angemeldet.
Petra Jorasch unterstreicht zudem, dass sich die Sicherheit nur beim jeweiligen einzelnen Produkt, nicht aber über den Züchtungsprozess feststellen lässt. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat dazu konstatiert, dass eine Anwendung der Genschere CRISPR-Cas, deren Produkt mit einer konventionellen Züchtung vergleichbar ist, auch als klassische Züchtung zu betrachten ist, wodurch auch der langwierige Zulassungsprozess der Sorte und die Kennzeichnung entfällt. Das ist auch Ergebnis des Konsultationsverfahrens zu den neuen Züchtungsmethoden.
Blick über den Tellerrand
In Österreich ist der Anbau von GV-Pflanzen nicht erlaubt. Weltweit sind jedoch in 45 Ländern 439 „gentechnische Events“ in 32 Arten registriert, von denen 160 für den Import nach Europa zugelassen sind. Die Eigenschaften reichen von Krankheits- und Pflanzenschutzmittelresistenzen über Produktqualität und Nährstoffzusammensetzung bis hin zu abiotischer Stresstoleranz z.B. gegenüber Trockenheit. In Europa ist zum Beispiel ein Insekten-resistenter Mais registriert. Zudem gibt es in Großbritannien eine Weizensorte im Versuchsanbaustadium, die weniger Asparagin enthält, was die Acrylamid-Entstehung beim Backen verhindert bzw. deutlich reduziert. Häufiger sind jedoch Züchtungen gegen Krankheiten oder Trockenheit. Ob diese Sorten künftig in Europa und von den Landwirten eingesetzt werden können, entscheidet sich bei der Regulierung, für die die EU-Kommission Anfang Juni einen Vorschlag vorlegt.
1) Weiterführende Information: In der Ausgabe 01/2022 des Magazins ernährung heute hat sich das f.eh umfassend mit dem Thema Gentechnik beschäftigt und lässt auch Experten zu Wort kommen. Die Ausgabe kann auf der Seite des f.eh bestellt werden. Das Quellenverzeichnis zum Magazin enthält zudem zahlreiche Publikationen zum Thema, darunter auch die hier zitierte Studie Fernbach PM et al.: Extreme Opponents of Genetically Modified Foods Know the Least but Think They Know the Most. Nat Hum Behav 3: 251–256 (2019).
Quelle: forum. ernährung heute