Süße Gefahr? Was die neueste Studie über Kinderernährung wirklich aussagt.
Eine neue Studie zu „ungesunder“ Kinderernährung erhitzt erneut die Gemüter in dieser unendlichen Debatte. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop hinterfragt kritisch die jüngsten Schlagzeilen und bringt Licht ins Dunkel der aktuellen Diskussion.

Gerade schwappte wieder eine „Panikwelle durch die deutsche Medienlandschaft“, Kinder essen zu viel Zucker und zu ungesund! Was steckt dahinter?
Fast überall waren in den letzten Tagen Warnmeldungen in folgendem alarmistischen Gleichklang zu sehen. hören und lesen „Studie zu Ernährung: Schon Kleinkinder essen zu viel Zucker“, „Deutschlands kleine Zuckerjunkies“ oder „Schon Kleinkinder essen zu süß und ungesund“. Grundlage dieser Meldung, mit der der aktuelle Zeitgeist „böser ungesunder Ernährung“ medial gehuldigt wurde, war eine Studie des Max Rubner-Instituts (MRI, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel) – und besonders der dazugehörigen PR-Meldung des MRI.
Was haben die Forscher vom MRI konkret untersucht und via PR an die Medien lanciert?
Die Karlsruher Forscher haben Ernährungsdaten von 890 ein- bis fünfjährigen Kindern analysiert, die teilweise älter als 10 Jahre sind. Ziel war es, den Lebensmittelkonsum und die Ernährungsqualität dieser Kinder in Deutschland in Bezug auf Alter und Geschlecht zu analysieren. Berechnet wurde die durchschnittliche Energie- und Nährstoffzufuhr dabei aus den unüberprüfbaren Eigenangaben der Eltern der Jahre 2014-2017. Diese Aufzeichnungen verglichen die Wissenschaftler mit offiziellen Verzehrsempfehlungen und Referenzwerten für die Energie- und Nährstoffzufuhr für die untersuchten Altersgruppen.
Daraus wurde dann die PR-Meldung mit folgenden Botschaften zur Verbreitung durch die Medien: „Bereits Kleinkinder essen zu süß und ungesund Zu viele Süßigkeiten und Softdrinks, zu wenig Gemüse: Bei Kindern bis fünf Jahren übersteigt der Verzehr ungesunder Lebensmittel die empfohlene tägliche Höchstmenge um mehr als das Doppelte. Gleichzeitig essen Mädchen und Jungen in diesem Alter zu wenig gesunde Lebensmittel,“ Und viele Medien haben entsprechend „wunschgemäß“ berichtet – wobei niemand die Daten einmal kritisch hinterfragt hat. Das macht schon nachdenklich in Sachen unabhängiger, investigativer Journalismus in Deutschland.
Warum sind diese Daten ohne Relevanz für Gesundheit & Gewicht von Kindern?
Die Daten sind sehr schwach und voller Limitierungen, so dass sie keine relevanten Schlussfolgerungen für Gesundheit & Gewicht von Kindern erlauben – und diese Schwachpunkte sind sehr offensichtlich, kurz und knapp lauten die wesentlichen Einschränkungen wie folgt:
- Es wurden ausschließlich schwache Ersatzwerte, sogenannte Surrogatparameter beobachtet, hier konkret: Was haben die Kinder (vielleicht) gegessen? Hingegen fehlen Korrelationen, also statistische Zusammenhänge zu Krankheiten und Beschwerden vollumfänglich – ganz zu schweigen von echten belastbaren Beweisen, also Kausalevidenz. Aber genau das will man ja wissen: Macht eine solche Ernährung krank – oder nicht? Auf diese Frage gibt es keine Antwort, noch nicht einmal ansatzweise.
- Die Daten basieren auf unüberprüfbaren Eigenangaben der Eltern – und sie sind teilweise mehr als 10 Jahre alt (2014-2017). Ob Eltern Ihre Kinder auch 2024 noch genauso wie 2014 ernähren. das ist zu bezweifeln.
- Die MRI-PR macht den Medien das willkürliche Wording „ungesunde Lebensmittel“ schmackhaft. Das ist ein ideologischer Kampfbegriff, mehr nicht. Denn bereits 2019 haben die 7 großen ökotrophologischen Institutionen aus DACH allesamt eine Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel kategorisch und unisono abgelehnt!
Leider hat dieses Vorgehen zur gewünschten Meinungsmache („Framing“, also einen Rahmen zu Meinung vorgeben) inzwischen System. Interessanterweise müsste die Botschaft der aktuellen MRI-Studie auch eine ganz andere sein – aber davon liest man weit und breit: nichts.
Welche „versteckte“ Kernbotschaft liefert denn die Studie? Und inwiefern hat das ganze „System“?
Die folgende Erkenntnis aus dem Originalabstract der Studie spricht nicht dafür, dass die beschriebenen „schlimmen ungesunden“ Ernährungsmuster der Kinder zu Adipositas (Fettleibigkeit) beitragen: „Bei Kleinkindern und Vorschulkindern mit Übergewicht oder Adipositas war die Einhaltung der Ernährungsempfehlungen für diese Lebensmittelgruppen weitgehend ähnlich wie bei der Gesamtstichprobe.“ Randnotiz zum Nachdenken: Von diesem Studienergebnis hat das MRI in seiner PR-Meldung an die Medien kein Wort verloren – ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Diese Art der evidenzfreien Meinungsmache hat leider „System“, weil es besonders im Bereich Ernährung zum gewünschten Framing beiträgt. Vergleichbare Beispiele von foodwatch und der Uni Bonn durchfluteten jüngst die Medien im selben Stil. Leider greift diese Art beweisfreier Kommunikation inzwischen wie eine Krake in zahlreichen Bereichen der Wissenschaft nach Macht.- und Deutungshoheit. So warnte jüngst das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.: (EbM) „Evidenzbasierte Medizin auf dem Abstellgleis? Gesundheitspolitik steuert auf gefährlichem Kurs!“ In einem aktuellen Fachbeitrag warnt ein ausgewiesener Experte der Materie, Prof. Jürgen Windeler, ehemaliger Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und früherer Vorsitzender des EbM-Netzwerks, eindringlich vor der zunehmenden Marginalisierung der evidenzbasierten Medizin (EbM) in der deutschen Gesundheitspolitik. Am Beispiel des Referentenentwurfs für das „Gesundes-Herz-Gesetz“ zeigt er auf, wie wissenschaftliche Standards ignoriert werden und damit ein gefährlicher Rückschritt für die Patientenversorgung droht.
Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte
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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug- 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.
Kontakt: presse@echte-esser.de