Die Debatte um den Nutri-Score und seine Effektivität in der Förderung einer gesünderen Ernährung nimmt kein Ende.
Ernährungswissenschaftler Uwe Knop wirft einen kritischen Blick auf das umstrittene Kennzeichnungssystem.
Was ist der Nutri-Score und wie soll er helfen, eine gesündere Ernährung zu fördern?
In der „ernährungsapostolischen“ Theorie soll der Nutri-Score durch den Aufdruck von Ampelfarben in fünf grün- bis rot-Stufen die „Auswahl der gesünderen Alternative“ ermöglichen. Das ist jedoch nur Wunschdenken. Denn die „Verampelung“ von Lebensmittelverpackungen suggeriert eine Differenzierung in „gesund und ungesund“, die es de facto nicht gibt – und das gleich in doppelter Hinsicht:
Erstens bedeutet „grün“ nicht, dass diese Lebensmittel die Gesundheit besser fördern oder schützen als rot bepunktete Lebensmittel, denn dafür existiert kein wissenschaftlicher Beleg. Zweitens ist eine generelle Einteilung in „gesunde und ungesunde Lebensmittel“ nicht möglich.
Was hat die EU-Kommission jetzt entschieden?
Übereinstimmende internationale Medienberichte deuten klar darauf hin: Der Nutri-Score ist gescheitert – es wird keine EU-weit verpflichtende Kennzeichnung geben. D.h. der Aufdruck bleibt für die Hersteller weiterhin freiwillig. Vor allem der massive Widerstand der Italiener hat eine Kennzeichnungspflicht gestoppt. Und das ist gut so!
Warum ist das eine gute Entscheidung?
Weil der Nutri-Score den Menschen etwas vorgaukelt, das es rein wissenschaftlich für die Allgemeinheit nicht gibt: „Die gesündere Wahl eines Lebensmittels“, Nur weil die eine Pizza weniger Salz und Fett enthält, dafür einen grünen Punkt bekommt, so sagt das nichts darüber aus, ob der Verzehr „gesünder“ ist als die einer deftig gesalzenen 4-Fettkäse-Rotpunktpizza. Darüber hinaus ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Nutri-Score negative Effekte haben könnte: Und das ist durchaus denkbar in Zeiten wie diesen, wo permanent Angst vor „ungesunder Ernährung“ geschürt und diese täglich aufs Neue befeuert wird. Der Nutri-Score kann z. B. ernährungssensiblen und gesundheitshörigen Verbrauchern Angst machen. Es wird mit Sicherheit jede Menge Menschen geben, die nichts kaufen, das rote Punkte hat – einfach aus Furcht davor, sich „ungesunde“ Lebensmittel einzuverleiben. Der Nutri-Score könnte also zu einer neuen Form der Essstörung führen: Diese „Scorektiker“ sind das Ergebnis, wenn moderate Orthorektiker „ontop“ eine ausgeprägte Rotpunktaversion entwickeln. In toto ist im Sinne der Verbraucher nur zu hoffen, dass sich viele Unternehmen nicht an die – nun definitiv freiwillige .- Nutri-Nötigung halten, klare Kante zeigen und ihre Lebensmittel weiterhin nur „frei von“ anbieten – frei von frei erfundenen Ampelpunkten ohne jeglichen nachweisbaren Nutzen für die Gesundheit der Menschen.
Welche Kritik am Nutri-Score gibt es und wie es mit einem Nutzennachweis aus?
Es gibt zwei wesentliche Kritikebenen:
1. Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel ist weder wissenschaftlich vertretbar noch empfehlenswert Daher lehnen auch die sieben großen Fachinstitutionen der Ökotrophologie (Ernährungswissenschaften) in Deutschland, Österreich und der Schweiz diese Einteilung unisono ab (die Statements können Sie im Infokasten am Ende dieses Artikels lesen). Auch wenn immer wieder betont wird, auch offiziell, der Nutri-Score unt3rscheide nicht in gesund und ungesund – er soll aber unterschwellig genau das suggerieren und das tut er auch. Die Menschen glauben, „gesunde“ Produkte wären grün, „ungesunde“ rot. Auch wird immer gerne davon schwadroniert, der Nutri-Score „erleichtere die gesunde Wahl“.
2. Der Nutri-Score führt dazu, dass der Verbraucher für weniger Lebensmittelqualität mehr Geld bezahlen wird. Denn solide Inhaltsstoffe, wie Energie- und Geschmacksträger (Zucker, Fett und Salz) werden durch „gesunde“, gehaltlose Füllstoffe ersetzt, um in Richtung „grüner Punkt“ zu kommen. Außerdem leidet darunter der Geschmack. Kurzum: Für die avisierte Einteilung in ein Punktesystem fehlt jegliche wissenschaftliche Grundlage. Diese Werte basieren nicht auf (Kausal-)Evidenz, sondern auf der Freigeistigkeit findiger Forscher, die sie al Gusto eminenzbasiert festgelegt haben.
Einen Nutzennachweis gibt es nicht – und eine wissenschaftliche Evaluation („Wirksamkeits-Analyse“) wird es auch niemals geben, um die gesundheitlich relevanten Effekte zu bewerten (wie Auswirkungen auf Herzinfarkte, Schlaganfall, Krebs, Lebenszeit). Warum? Diese Analysen sind praktisch nicht durchführbar. Stattdessen liest man davon, dass der Nutri-Score dazu führe, dass mehr „gesündere Produkte“ gekauft würden – das ist jedoch nicht mehr als Augenwischerei und besagt nichts über vorgenannte relevante Endpunkte – und nur darauf kommt es im Endeffekt an.
Kann der Nutri-Score wenigstens bei der Gewichtsreduktion helfen?
Nein, da zählen andere Parameter. Wer nachhaltig abnehmen möchte, der muss seinen ganz individuellen Weg gehen – und zwar lebenslang. Das bedeutet, die langfristige Ernährungsumstellung passt perfekt sowohl zur eigenen Persönlichkeit als auch zum Stoffwechsel und Lebensstil. Nur wer diese individuelle Lösung des Abnehmens mit Willen, Freude und Leidenschaft konsequent umsetzt, wird nicht nur Kilos verlieren, sondern das neue erschlankte Wunschgewicht auch dauerhaft halten können.
Die Zeiten allgemeiner „One-fits-all“-Konzepte und fester Diätpläne hingegen sind vorbei. Schauen Sie sich dazu auch das zweiteilige FAQ-Videointerview an – hier bekommen Sie die wichtigsten Antworten auf relevante Fragen zum erfolgreichen Abnehmen und schlank bleiben:
Ernährungswissenschaftler erklärt den Schlüssel zum Wunschgewicht (Teil 1)
Abnehmen: Diplom-Ökotrophologe Uwe Knop verrät den Schlüssel zum Erfolg (Teil 2)
Wie ernähre ich mich ohne Nutri-Score gesund?
Gesund essen ist im Grunde ganz einfach. Beherzigen Sie einfach diese drei Regeln, die jeder kennen sollte. Richtig, gut und gesund essen ist damit sehr leicht. Man muss dazu nur für Abwechslung & Vielfalt im Speiseplan sorgen sowie auf seine individuelle Intuition und persönliche Ethik vertrauen – das ist alles. Merken Sie sich dazu einfach das Schlagwort der vier Anfangsbuchstaben: l´AVIE, gesprochen wie „das Leben“ auf französisch – denn auch die Bedeutung passt perfekt: Erst mit dem richtigen, persönlich perfekt passenden Essstil wird das Leben wirklich schön.
Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte
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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug, 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.
Kontakt: Uwe Knop auf LI