Körpergewicht und Body-Mass-Index allein sagen zu wenig darüber aus, ob jemand an Stoffwechselstörungen erkranken wird.
Ein neuer Atlas über Zellen im Fettgewebe könnte nun helfen zu entschlüsseln, warum manch übergewichtige Menschen gesund bleiben und andere nicht. Die Ergebnisse sind unter federführender Beteiligung der Universitätsmedizin Leipzig im Journal Cell Metabolism veröffentlicht worden.
Wer stark übergewichtig ist, hat zwar ein grösseres Risiko für Diabetes, Bluthochdruck oder einen erhöhten Cholesterinwert, aber nicht alle übergewichtigen Personen entwickeln solche Stoffwechselerkrankungen – rund ein Viertel ist gesund. Die Wissenschaft versucht herauszufinden, warum manche Übergewichtige krank werden und andere nicht. Eine umfassende Studie aus Zürich und Leipzig liefert dafür wichtige Grundlagen: Die Forschenden erstellten einen detaillierten Atlas mit Daten von gesunden und kranken übergewichtigen Menschen, zu ihrem Fettgewebe und zur Genaktivität in den Zellen des Gewebes.
Für die Studie wurde eine umfangreiche Sammlung von Biopsien stark übergewichtiger Personen genutzt, die aus der Leipzig Obesity BioBank der Universitätsmedizin Leipzig und des Helmholtz-Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung (HI-MAG) stammen. Wissenschaftler:innen der Universität Leipzig haben diese Biopsien zusammengetragen. „Sie stammen von übergewichtigen Patientinnen und Patienten, die sich chirurgischen Eingriffen unterzogen und zugestimmt haben, dass Ihnen Fettgewebeproben für Forschungszwecke entnommen werden. Die Sammlung enthält ausserdem umfangreiche medizinische Angaben zur Gesundheit der Probanden“, erklärt Prof. Dr. Matthias Blüher, Professor für klinische Adipositasforschung an der Universität Leipzig und Co-Leiter der Studie.
Die Gewebeproben stammten von stark Übergewichtigen mit oder ohne Stoffwechselerkrankungen und erlauben damit einen Vergleich zwischen gesunden und kranken adipösen Personen. In Proben von 70 Freiwilligen untersuchten die Forschenden Zelle für Zelle, welche Gene darin wie aktiv sind. Sie analysierten dies für zwei Arten von Fettgewebe: das Unterhaut- und das Viszeralgewebe. Wissenschaft und Medizin gehen davon aus, dass vor allem das tief in der Bauchhöhle liegende Viszeralfett, das die inneren Organe umgibt, für Stoffwechselerkrankungen verantwortlich ist. Das direkt unter der Haut liegende Fett hingegen halten Expert:innen im Allgemeinen für weniger problematisch.
Starke Veränderungen in Fettgewebe der Bauchhöhle
Wie die Forschenden zeigen konnten, sind die Zellen im Viszeralfettgewebe von Menschen mit Stoffwechselerkrankungen funktionell stark verändert. In diesem Gewebe ist fast jeder Zelltyp von dieser Umorganisation betroffen. Die Genanalysen zeigten beispielsweise, dass die Fettzellen von kranken Menschen nicht mehr so gut Fette verbrennen können. Dafür produzierten sie vermehrt Immunbotenstoffe, die Immunreaktionen auslösen und somit Stoffwechselerkrankungen begünstigen könnten.
Sehr deutliche Unterschiede fanden die Forschenden ausserdem in der Anzahl und Funktion der Mesothelzellen: Gesunde Übergewichtige haben in ihrem Viszeralfett anteilmäßig viel mehr Mesothelzellen, und diese Zellen sind bei ihnen funktionell flexibler: Sie können bei gesunden Personen in eine Art Stammzell-Modus wechseln und sich so in einen anderen Zelltyp verwandeln, zum Beispiel in Fettzellen. Schliesslich fanden die Wissenschaftler:innen auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern: Ein bestimmter Typ von Vorläuferzellen ist nur im Viszeralfett von Frauen vorhanden.
Neue Biomarker finden
Der neue Atlas zur Genaktivität von übergewichtigen Menschen beschreibt die Zusammensetzung der Zelltypen im Fettgewebe und ihre Funktion. „Wir können aber nicht sagen, ob die Unterschiede der Grund dafür sind, dass jemand metabolisch gesund ist, oder ob umgekehrt Stoffwechselerkrankungen diese Unterschiede verursachen“, sagt Prof. Dr. Blüher. Die Wissenschaftler:innen sehen ihre Arbeit vielmehr als Grundlage für weitere Forschung. Sie veröffentlichten alle Daten in einer frei zugänglichen Web-App, damit andere Forschende damit arbeiten können.
Insbesondere lassen sich damit nun neue Marker finden, die eine Aussage über das Risiko erlauben, eine Stoffwechselkrankheit zu entwickeln. Diese könnten auch zur Verbesserung der Therapie von Stoffwechselerkrankungen beitragen. So gibt es eine neue Klasse von Medikamenten, die den Appetit hemmen und in der Bauchspeicheldrüse die Insulinausschüttung fördern. Jedoch sind diese Medikamente knapp. „Biomarker, die sich aus unseren Daten ableiten lassen, könnten helfen, jene Patientinnen und Patienten zu finden, die eine solche Therapie am meisten benötigen“, sagt Blüher.
ETH Zürich / Anne Grimm