Haftungsrisiken bei neuer Gentechnik nicht auf Lebensmittelwirtschaft abwälzen!
Durch die geplante Aufweichung der Gentechnik-Regeln in der EU würden Sicherheitsprüfung und Haftungsrisiken für mit neuer Gentechnik hergestellte Pflanzen und die daraus gewonnenen Produkte von den Biotechnologie-Firmen auf die Lebensmittelwirtschaft verlagert werden. Diese bislang unbeachteten Konsequenzen der Gentechnik-Deregulierungspläne der EU-Kommission zeigt ein neues Rechtsgutachten der Berliner Kanzlei GGSC im Auftrag des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) auf.
Gentechnik-Pläne sind nicht „wirtschaftsfreundlich“
„Die Gentechnik-Pläne der EU-Kommission sind nicht etwa ,wirtschaftsfreundlich‘, wie oft behauptet. In Wahrheit verschiebt die Kommission Kosten und Risiken höchst unfair von einem Wirtschaftsbereich auf einen anderen. Das ist völlig untragbarund kann zu einem großen Problem für die gesamte EU-Lebensmittelbranche, nicht nur für den Bio- und den ‚Ohne Gentechnik‘-Sektor werden.
Biotechnologie-Firmen müssen Verantwortung für Haftung übernehmen
Es liegt doch auf der Hand, dass diejenigen, die Gentechnik-Produkte entwickeln und verkaufen, im Schadensfall haften und für Schadenersatzansprüche auch tatsächlich aufkommen müssen. Die Biotechnologie-Firmen müssen die Verantwortung für die Sicherheit ihrer Produkte übernehmen. Die bestehende Gesetzeslücke muss geschlossen werden, etwa durch einen verpflichtenden Haftungsfonds, in den alle Hersteller neuer Gentechnik-Pflanzen einzahlen müssen.
Außerdem müssen Risikoprüfung und durchgehende Kennzeichnung für alle Arten von Gentechnik-Erzeugnissen, auch für NGT, verpflichtend bleiben“, so VLOG-Vorstandsmitglied Christoph Zimmer (im Hauptberuf Geschäftsführer bei Bioland Baden-Württemberg.
Mindestanforderungen an neue Gentechnik-Gesetzgebung
Jede neue Gentechnikgesetzgebung muss sicherstellen, dass alle NGT-Erzeugnisse erst dann in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn ihre Sicherheit umfassend geprüft und ihre Verwendbarkeit in der Lebensmittelwirtschaft behördlich zugelassen ist, dass alle NGT-Erzeugnisse über die gesamte Lebensmittelkette gekennzeichnet werden müssen und dass NGT-Erzeugnisse nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn garantiert ist, dass Biotechnologiefirmen für durch ihre Produkte verursachten Schäden haften.
Gutachten: Lebensmittelunternehmen verantwortlich für Produktsicherheit
Dem Gutachten zufolge sind Lebensmittelunternehmen für die Sicherheit ihrer Lebensmittel verantwortlich. Sie haften deshalb für fehlerhafte Produkte, auch für solche, die mit neuer Gentechnik hergestellt wurden. Für deren Entwickler, die Biotechnologie-Firmen, enthält das EU-Gentechnikrecht dagegen keine speziellen Haftungsregeln.
Haftungsansprüche kaum durchsetzbar, keine Versicherung für Gentechnik-Risiken
In einem Schadensfall würden primär die Lebensmittelhersteller und -händler in Anspruch genommen. Sie haften für fehlerhafte Lebensmittel und die Schäden, die daraus entstehen. Auch soweit sie ihrerseits Rückgriff auf Entwickler der NGT1-Produkte nehmen können, werden solche Ansprüche oft nicht durchsetzbar sein, insbesondere wenn es sich um Biotechnologieunternehmen im Ausland oder Unternehmen mit geringem Vermögen handelt. Lebensmittelunternehmen sind zwar üblicherweise t gegen Haftungsrisiken versichert, etwa bei Gesundheitsschäden. Es gibt jedoch keine Versicherung, die Gentechnik-Risiken abdeckt.
Neue Gentechnik als „Novel Food“: Neue Verpflichtungen für Lebensmittelunternehmen
Besondere Anforderungen gelten für Lebensmittelfirmen, die sogenannte neuartige Lebensmittel („Novel Foods“) in Verkehr bringen. Sie tragen die Verantwortung für Sicherheitsprüfungen und die amtliche Eintragung als zugelassene „Novel-Food-Lebensmittel“. Nach dem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission wird für viele Produkte der neuen Gentechnik, die nicht mehr dem Gentechnikrecht unterliegen sollen (die sogenannten „NGT1“-Erzeugnisse), stattdessen die Novel-Food-Verordnung greifen.
Weil der Vorschlag der Kommission jedoch nur eine Kennzeichnung für Saatgut vorsieht, nicht aber für Lebensmittel, ist diese Verpflichtung sehr schwer umsetzbar. Lebensmittelunternehmen dürften oftmals nicht einmal wissen, dass sie Inverkehrbringer eines „NGT1“-Produkts sind. Damit könnten sie unwissentlich gegen die Novel-Food-Verordnung verstoßen und solche Produkte ohne entsprechende Zulassung in Verkehr bringen.
Die Biotechnologieunternehmen müssten dagegen nach dem Willen der EU-Kommission künftig keinerlei Risikobewertung für „NGT1“-Pflanzen durchführen – und damit für nahezu keine der neuen Gentechnik-Produkte.
Neuer polnischer Gentechnik-Vorschlag bringt keine Lösung
Der neue Vorschlag der polnischen EU-Ratspräsidentschaft löst keines dieser Probleme und kann daher keine Basis für die künftige Gentechnik-Regulierung in der EU sein.
- Im Anhang finden Sie das neue Rechtgutachten zur Haftung von Lebensmittelunternehmen für neue Gentechnik im Falle einer Deregulierung von Dr. Georg Buchholz von der Kanzlei GGSC sowie eine politische Einordung dazu vom europäischen Ohne-Gentechnik-Verband ENGA.
- Dr. Georg Buchholz, Autor des Gutachtens, steht für telefonische Rückfragen/Interviews zur Verfügung. Bei Interesse melden Sie sich bitte unter den untenstehenden Kontaktdaten.
- NGT-Sicherheitscheck könnte an Lebensmittelwirtschaft hängen bleiben – Tagesspiegel Background