SLUB Dresden und TU Dresden nehmen neue Kreationen aus der Spitze der Kochkunst in das Deutsche Archiv der Kulinarik auf.
Woher wird man in 100 Jahren wissen, welch komplexe Gedanken sich Drei-Sterne-Koch Torsten Michel in der Schwarzwaldstube des Hotels Traube Tonbach rund um seine kulinarischen Kreationen gemacht hat oder wie der „Pfälzer Saumagen“, zubereitet von Sternekoch Stefan Neugebauer, schmeckte? Um ein kulinarisches Gedächtnis der Zeit von 1970 bis heute zu schaffen, dokumentiert der renommierte Gastronomiekritiker Jürgen Dollase (FAZ) jedes Jahr fünf Gerichte, die die heutige Kulinarik exemplarisch repräsentieren.
Am 28. Oktober 2024 hat Jürgen Dollase dem Deutschen Archiv der Kulinarik in Dresden im Beisein der Spitzenköche Marc Haeberlin**, Christian Hümbs, Torsten Michel***, Stefan Neugebauer* und Joachim Wissler** fünf neue Dokumentationen übergeben. Damit sind hochklassige kulinarische Kreationen und zeittypische Gerichte dieser Köche so präzise dokumentiert, dass ihre Zubereitung und gustatorische Wahrnehmung auch von späteren Generationen nachvollziehbar rekonstruiert werden können. Die bisher einzigartige Reihe von Geschmacksdokumentationen hatten die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden und die Technische Universität Dresden (TUD) 2023 gemeinsam initiiert.
Dazu Katrin Stump, Generaldirektorin der SLUB Dresden: „Für die deutschlandweit einmalige Sammlung des Deutschen Archivs der Kulinarik sind die Geschmacksdokumentationen eine große Bereicherung. Wir freuen uns, fünf weitere Kreationen aus der Spitze der Kochkunst für kommende Generationen festhalten und mit Torsten Michel erstmals auch einen in Dresden gebürtigen Koch auszeichnen zu können. Die Dokumentationen bieten der Wissenschaft herausragende Quellen zur Erforschung der deutschen Kulinarik des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts.“
„Wie lässt sich ein so komplexes Erlebnis wie das kulinarische als kulturelles Ereignis ‚archivieren‘? Ein Rezept alleine reicht nicht aus, um die vielschichtigen Einflüsse auf das kulinarische Gesamterlebnis festzuhalten – mit den Geschmacksdokumentationen aber versuchen wir genau das“, sagte Prof.in Ursula Staudinger, Rektorin der TUD. „Geschmack als eine wichtige Form der Ästhetik und der sensorischen Integration ist für uns ein bedeutender interdisziplinärer Forschungsgegenstand. Wir freuen uns, dabei mit der SLUB als wichtiger Partnerin und mit einem der führenden Gastrosophen in Deutschland, Jürgen Dollase, zusammenzuarbeiten.“
Die Dokumentationen enthalten detailliert beschriebene Step-by-step-Anleitungen zur Zubereitung und zum Anrichten der kulinarischen Kreationen, Degustationsnotizen, Vergleiche und Diskussionen von Beispielen aus nationalen und internationalen Kochbüchern sowie zusammenfassende Bewertungen und Einordnungen. Darüber hinaus hat Jürgen Dollase mit allen Köchen ausführliche Interviews geführt, die ebenfalls Bestandteil der Dokumentationen sind.
Jürgen Dollase betonte: „Die Geschmacksdokumentationen zeigen in diesem Jahr kulinarische Exzellenz zwischen regionaler Tradition, klassischer Kochkunst und kulinarischer Avantgarde auf allerhöchstem Niveau und mit überragenden Köchen wie Marc Haeberlin von der legendären Auberge de l’Ill in Illhäusern, Torsten Michel, dem superben Drei-Sterne-Koch von der Schwarzwaldstube in Baiersbronn, TV-Koch und Dessert-Avantgardist Christian Hümbs, Stefan Neugebauer vom Deidesheimer Hof mit dem kulinarisch wie gesellschaftspolitisch immer wieder diskutierten Pfälzer Saumagen und dem Kopf der deutschen Moderne schlechthin, Joachim Wissler vom Vendôme in Bensberg.“
Zur feierlichen Aufnahme ihrer Kreationen in das Deutsche Archiv der Kulinarik erhielten die Köche neben Urkunden eigens gestaltete Gefäßstatuetten der Berliner Designerin Stefanie Hering. „Als ich das Projekt Geschmacksdokumentationen des Deutschen Archivs der Kulinarik kennenlernte, war ich sofort begeistert“, sagte Stefanie Hering. „Die hohe Kunst des Kochens ist eng mit meiner Arbeit verbunden, die für die Werke der Spitzenköche die gebührende Bühne schafft. Es war mir daher eine große Ehre und Freude, in Würdigung der ausgewählten Gerichte und ihrer Schöpfer eine Serie von Porzellan-Unikaten zu schaffen, die als Statuetten dauerhaft an diese Auszeichnung erinnern.“
Anlässlich der Übergabe bereiteten Marc Haeberlin**, Christian Hümbs, Torsten Michel***, Stefan Neugebauer* und Joachim Wissler** ihre kulinarischen Kreationen am 28. Oktober 2024 für ein Diner mit geladenen Gästen im Dresdner Restaurant Bülow Palais zu. Die Geschmacksdokumentationen sind unter www.slubdd.de/geschmacksdokumentationen frei für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich.
Frei verwendbare Pressebilder von der Übergabe am 28. Oktober 2024 sowie von den dokumentierten Gerichten können Sie hier herunterladen: www.slubdd.de/pressebildergeschmack
Zum Deutschen Archiv der Kulinarik
Die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden und die Technische Universität Dresden (TUD) haben am 10. Oktober 2022 das Deutsche Archiv der Kulinarik an der SLUB Dresden gegründet. Die umfangreiche Kulinarik-Sammlung mit Handschriften, Büchern und Zeitschriften sowie Menükarten, Gebrauchsgrafik, Fotografien und audiovisuellen Medien gehört deutschlandweit zu den bedeutendsten ihrer Art. Zu den Highlights zählen Sammlungen von Ernst Birsner, Walter Putz, Wolfram Siebeck und Eckart Witzigmann.
Die Kulinarik-Sammlung bildet die Grundlage für die inter- und transdisziplinäre Forschung in den Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften rund um die Themen Kochkunst, Tafelkultur und Ernährungskunde und deren Wirken in Kultur und Gesellschaft über die Zeiten, wie sie bereits erfolgreich an der TUD etabliert ist. SLUB und TUD beleben mit Veranstaltungen, Ausstellungen, partizipativen Formaten und Publikationen den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs rund um die Themen Ernährung und Kulinarik und etablieren so das Deutsche Archiv der Kulinarik als zentralen Akteur für Forschung, Lehre und Wissenstransfer in die Gesellschaft.
Weiterführende Informationen zum Deutschen Archiv der Kulinarik finden Sie unter www.archivderkulinarik.de.
Weitere Hintergrundinformationen
Jürgen Dollase
Jürgen Dollase gilt als einer der wichtigsten Restaurantkritiker Deutschlands und veröffentlicht seit 1999 kulinarische Texte und Gastronomiekritiken. 1948 in Oberhausen geboren, studierte er zunächst an der Kunstakademie Düsseldorf und in Köln Kunst, Musik und Philosophie. Von 1971 bis 1983 war er Kopf und Keyboarder der Artrock-Band Wallenstein. Im Alter von 35 Jahren kam er durch seine Frau zum feineren Essen und Kochen, das er in den folgenden Jahren zunehmend intensiv erforschte. Seine Texte in der FAZ (seit 1999), im Feinschmecker, in der Kunstzeitung, in Port Culinaire, auf seinem Blog „Eat-Drink-Think“ sowie seine Aufsätze und Bücher – allen voran die „Geschmacksschule“ – sind inzwischen Standardwerke der Gastronomiekritik, der Theorie und Praxis des Kochens und Essens.
Die Spitzenköche und ihr kulinarisches Werk
Marc Haeberlin** | Auberge de l’Ill
Seit 1967 gehört Haeberlins Restaurant im Elsass, L’Auberge de l’Ill, zu den besten Gourmet-Adressen in Frankreich. Das Restaurant pflegt seit jeher einen Bezug zur regionalen Küche und hat sich wie kein anderes darum verdient gemacht, die exquisite Kochkunst von Frankreich nach Deutschland zu vermitteln.
Das kulinarische Werk: Saumon soufflé
Torsten Michel*** | Schwarzwaldstube
Der in Dresden geborene Torsten Michel ist einer von zehn Drei-Sterne-Köchen in Deutschland. Im Dresdner Hotel Bellevue absolvierte er seine Lehre und arbeitete von 2000 bis 2004 im Bülow Palais, bevor er in die Traube Tonbach nach Baiersbronn wechselte. Torsten Michel steht in der Tradition der klassischen Haute Cuisine und kocht sie mit besten Produkten in klassischen Kombinationen.
Das kulinarische Werk: Wildhase aus dem Burgenland nach königlicher Art (Lièvre à la royale)
Joachim Wissler** | Vendôme
Joachim Wissler ist einer der profiliertesten Protagonisten der Avantgarde-Küche in Deutschland. Seine Gerichte haben nicht nur einen rein technisch kulinarischen, sondern auch einen inneren Zusammenhang, weil sie das Vorwissen der Gäste einkalkulieren. Joachim Wisslers Kompositionen greifen kulinarische Traditionen auf und entwickeln sie mit avantgardistischem Gedankengut zu einer Küche, die auf der Höhe der Spitzenleistungen rangiert und in Deutschland seit vielen Jahren Maßstäbe setzt.
Das kulinarische Werk: Joachim Wissler im Gespräch über die kreativen Prozesse in der Spitzenküche seit dem Jahr 2000 (mit erläuternden Beispielgerichten aus seiner Arbeit zwischen 2004 und 2024)
Christian Hümbs | TV-Koch und Juror für Patisserie, vormals Pâtissier in 2-und 3-Sterne-Restaurants
Desserts von Christian Hümbs erschließen sich nicht, wenn man bei der Degustation jedem einzelnen Aroma nachschmeckt. Isst man sie rasch in kleinen Mengen, bleibt ein „Gewürzraum“ des vorangegangenen Löffels im Gaumen und wirkt sich auf die Wahrnehmung des nächsten Essens im Mund aus. Es entsteht ein komplexer Geschmack, der von Höhepunkt zu Höhepunkt changiert.
Das kulinarische Werk: Gesäuerter Kopfsalat mit Yuzu, Petersilie und geröstetem Roggen
Stefan Neugebauer* | Deidesheimer Hof
Als verführerisches Regional-Gericht aus Edelprodukten serviert Stefan Neugebauer den Pfälzer Saumagen. Er ist ein Sternekoch mit einem klassischen Verständnis für das Spiel mit Aromen. Stefan Neugebauers stilvoller Geschmack hat Staatsgästen von Helmut Kohl Regionalküche in exquisiter Variante präsentiert.
Das kulinarische Werk: Pfälzer Saumagen