Die Investitionen in europäische Unternehmen für Lebensmittel auf Basis von Pflanzen, Fermentation und Kultivierung lagen im ersten Halbjahr 2024 bei 289 Millionen Euro.
- In Deutschland konnte der Sektor im ersten Halbjahr mit 74 Millionen Euro mehr als doppelt so viel Risikokapital anziehen wie im gesamten Jahr 2023.
- GFI Europe fordert die Ergänzung von privaten Investitionen durch mehr öffentliche Investitionen in die Produktentwicklung und die Skalierung der Produktion.
Europäische Unternehmen, die Fleisch- und Milchalternativen auf Basis von Pflanzen, Fermentation und Zellkultivierung herstellen, haben im ersten Halbjahr 2024 Investitionen in Höhe von 289 Millionen Euro einwerben können. Dies zeigt eine neue Auswertung von Net-Zero-Insights-Daten durch das Good Food Institute Europe (GFI).
74 Millionen Euro davon entfielen auf deutsche Unternehmen. Der deutsche Sektor für alternative Proteine hat damit im ersten Halbjahr 2024 bereits mehr als doppelt so viel Risikokapital-Investitionen einsammeln können wie im gesamten Jahr 2023 (28 Millionen Euro).
Im vergangenen Jahr ist der Sektor hierzulande weniger über Risikokapital gewachsen, als durch Investitionen und Partnerschaften von etablierten Industrie- und Lebensmittelunternehmen, wie zum Beispiel über eine Großinvestition von Nordzucker im Wert von über 100 Millionen Euro. Die zurückhaltende Investitionstätigkeit im vergangenen Jahr wird nun durch das Anziehen beim Risikokapital in den ersten Monaten 2024 wieder aufgeholt.
Carlotte Lucas, Head of Industry bei GFI Europe: „Risikokapital war bislang zentral für das Wachstum von innovativen Unternehmen, die Lebensmittel auf Basis von Pflanzen, Fermentation und Kultivierung herstellen. Damit der Sektor einen entscheidenden Beitrag zur Ernährungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftskraft in Europa leisten kann, bedarf es jedoch künftig auch neuer Finanzierungsansätze und mehr Zusammenarbeit mit etablierten Akteuren der Lebensmittelindustrie.”
Größere Investitionen im Bereich Fermentation
Im Bereich Fermentation, in dem Mikroorganismen für die Herstellung von innovativen Lebensmitteln eingesetzt werden, konnten europäische Unternehmen in den ersten sechs Monaten 2024 Investitionen in Höhe von 164 Millionen Euro einwerben – deutlich mehr als die 100 Millionen Euro, die im gesamten Jahr 2023 in diesem Bereich investiert wurden. Davon entfielen 115 Millionen Euro auf Biomassefermentation (zum Beispiel die Herstellung von Mykoprotein mithilfe von Pilzen) und 49 Millionen Euro auf Präzisionsfermentation (zum Beispiel die Herstellung von echten Ei- und Milchproteinen mithilfe von Hefe). Viele der Unternehmen im Bereich Fermentation verwenden das Geld, um die Skalierung und den Aufbau der Infrastruktur zu unterstützen, die es braucht, um ihre Produkte der Markteinführung näher zu bringen.
Ein großer Teil der Investitionen im Bereich Fermentation entfiel auf deutsche Unternehmen: Infinite Roots aus Hamburg haben 53 Millionen Euro einwerben können und ProteinDistillery aus Ostfildern haben 15 Millionen Euro anziehen können. Beide Unternehmen nutzen Biomassefermentation, um Mykoproteine für die Herstellung von nachhaltigen Lebensmitteln zu gewinnen und verwerten dabei Nebenströme aus der Lebensmittelindustrie, unter anderem aus der Bierbrauerei.
45 Millionen Euro im Bereich kultiviertes Fleisch in Europa
Bei kultiviertem Fleisch geht es um das Ziel, Fleisch mithilfe von tierischen Zellen herzustellen, das im Prinzip nicht von dem Fleisch zu unterscheiden ist, das wir heute essen. In diesem Bereich lagen die Investitionen in Europa im ersten Halbjahr 2024 bei 45 Millionen Euro – das ist etwas weniger als die Hälfte der 106 Millionen Euro, die im gesamten Jahr 2023 auf diesen Bereich entfielen. Auch im Bereich kultiviertes Fleisch floss ein erheblicher Anteil der Investitionen in die Skalierung der Produktion, insbesondere die 40 Millionen Euro, die das niederländische Unternehmen Mosa Meat einwerben konnte.
An der Mosa-Meat-Finanzierungsrunde war maßgeblich das deutsche Unternehmen PHW-Group beteiligt, das bereits seit Jahren in alternative Proteine investiert. Zu den weiteren Investitionen in diesem Bereich gehören auch 3 Millionen Euro in Innocent Meat aus Rostock, die an Komplettlösungen für das Kultivieren von Fleisch arbeiten, sowie 2,3 Millionen Euro in Cultimate Foods, die kultiviertes Fett als Zutat für hybride Produkte herstellen.
79 Millionen Euro im Plantbased-Bereich
Im Bereich pflanzenbasierter Lebensmittel konnten die europäischen Unternehmen in den ersten Monaten 2024 Investitionen in Höhe von 79 Millionen Euro einwerben. Ein Vergleich mit dem Jahr 2023 ist im Fall des Plantbased-Sektors nicht sinnvoll, da die Investitionstätigkeit im vergangenen Jahr mit 552 Millionen Euro zwar enorm hoch war, dies aber im Wesentlichen einem einzigen Unternehmen zuzuschreiben ist – der schwedische Hersteller von haferbasierten Milchalternativen Oatly konnte 2023 in zwei Deals 393 Millionen Euro einwerben.
Auch wenn der Plantbased-Sektor nicht die enormen Finanzierungsrunden anzieht, die noch vor einigen Jahren zu verzeichnen waren, erhalten einzelne Unternehmen immer noch große Investitionen, wie das spanische Unternehmen Heura, das 40 Millionen Euro einwerben konnte, und das britische Unternehmen THIS, das 25 Millionen Euro anziehen konnte.
Notwendigkeit von öffentlichen Investitionen
Bei der Interpretation dieser Zahlen ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die Investitionstätigkeit 2023 branchenübergreifend zurückgegangen ist. Die wirtschaftliche Unsicherheit und die gestiegene Inflation haben dazu geführt, dass die globale Startup-Finanzierung über alle Branchen hinweg im vergangenen Jahr um 38 % zurückgegangen ist. Damit hat das Abkühlen der Investitionstätigkeit im Bereich alternative Proteine im vergangenen Jahr den allgemeinen Trend infolge der angespannten Lage auf den weltweiten Märkten widergespiegelt.
In der Gesamtschau zeigt sich, dass private Investitionen nicht ausreichen, um den Sektor für alternative Proteine so schnell zu entwickeln, dass das ökonomische und ökologische Potenzial ausgeschöpft wird, und dass es auch öffentliche Investitionen in den Sektor braucht. Mehr öffentliche Investitionen versetzen die Unternehmen in die Lage, ihre Produkte schneller im industriellen Maßstab herzustellen und die Preise zu senken, so dass sie für alle bezahlbar und verfügbar sind. Zudem lassen sich so gezielt die Produkteigenschaften im Hinblick auf gesundheitlichen Mehrwert, eine kurze Zutatenliste und regionale Wertschöpfungsketten verbessern.
Nach Angaben der Bundesregierung hat Deutschland bis 2023 insgesamt 88 Millionen Euro in alternative Proteinquellen für die Humanernährung investiert. Anfang dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag im Rahmen der Haushaltsberatungen zudem beschlossen, mehr als 30 Millionen Euro in Transformationshilfen für Landwirte und in die Innovationsförderung zu investieren, um die Proteinwende weiter zu unterstützen.
Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager bei GFI Europe: „Erste Zeichen einer positiven Trendwende bei den privaten Investitionen in Deutschland dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sektor strukturell unterfinanziert ist und es auch öffentliche Investitionen braucht. Die Politik in Deutschland hat bereits in die Proteinwende investiert, dies sollte aber weiter ausgebaut werden. Es braucht mehr öffentliche Förderung, um Geschmack, Textur und andere Produkteigenschaften weiter zu verbessern und um die Produktionskosten zu senken, so dass diese nachhaltigen Lebensmittel preislich auf Augenhöhe mit ihren tierischen Pendants kommen.”
Zur Methode
Für die Ermittlung der Investitionstätigkeit erstellte das Good Food Institute auf Basis seiner Unternehmensdatenbank eine Liste von Unternehmen, die an alternativen Proteinquellen arbeiten (in den Bereichen Pflanzenbasiert, Kultivierung und Fermentierung) und von Net Zero Insights erfasst werden. Solche Unternehmen, die sich zwar auch mit alternativen Proteinen beschäftigen, dies aber nicht in ihrem Kerngeschäft tun, wurden nicht berücksichtigt. Auch Unternehmen, die sich in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden und noch kein Profil auf Net Zero Insights haben, konnten nicht in die Analyse einbezogen werden. Für die ermittelten Unternehmen wurde anhand der Datenbank von Net Zero Insights das investierte Kapital ermittelt. Da wir unseren Datensatz kontinuierlich verbessern und in diesem Jahr die Bezugsquelle der Daten verändert haben, können die Daten von zuvor von GFI veröffentlichten Zahlen abweichen. In die Kategorie Investitionen fallen hier auch: Accelerator- und Inkubator-Finanzierung, Angel-Finanzierung, Bridge Funding, Wandelanleihen, Corporate Venture, Equity- und Produkt-Crowdfunding, General Debt Completed Deals, Debt-Crowdfunding, Seed Funding, Early-Stage-Venture-Capital, Late-Stage-Venture-Capital, Private-Equity, Kapitalisierung, Joint Venture und Privatplatzierungen. Die Werte in dieser Pressemitteilung wurden von US-Dollar zu Euro mit dem durchschnittlichen Wechselkurs von 2023 und 2024 umgerechnet (1 US-Dollar = 0,92 Euro).
Quelle: GfI