Genetik statt Gemüsestreit: Neue Studie entlastet „Picky-Eater“-gestresste Eltern

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Wenn der Esstisch zum Schlachtfeld wird, weil der Nachwuchs nur Nudeln ohne alles will, atmen Sie tief durch.

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Ernährungswissenschaftler Uwe Knop entschlüsselt das Rätsel um die „Picker-Eater-Phase“ und bringt Licht ins Dunkel der kindlichen Essgewohnheiten.

Was ist die „Picker-Eater-Phase“ oder „Food Fussiness“ bei Kindern?

Die „Picker-Eater-Phase“ oder „Food Fussiness“ beschreibt eine Entwicklungsphase bei Kindern, in der sie sehr wählerisch beim Essen sind. Sie essen dann über Tage bis Wochen nur ganz bestimmte Lebensmittel und Mahlzeiten, die sie sehr gut kennen und vor allem, die sie wirklich mögen und gerne essen – alles andere wird rigoros und konsequent abgelehnt: immer wieder und nur noch Schnitzel mit Kartoffeln, Pommes mit Ketchup oder Spaghetti mit „Streukäse“ oder Nudeln pur – welche Eltern kennen das nicht. Diese Phase tritt bei fast allen Kindern irgendwann vom Kleinkindalter bis zur frühen Jugend auf und wiederholt sich vielleicht. Das „wählerische Essverhalten“ ist bei Kindern also weit verbreitet und biologisch normal. Trotzdem ist diese Zeit ist für manche Eltern herausfordernd und beunruhigt sie.

Warum machen sich viele Eltern Sorgen, wenn die Kinder nur noch sehr wenig Lebensmittel und sehr wählerisch essen?

Zum einen befürchten die Eltern, ihr Kind bekäme einen Nähstoffmangel und Entwicklungsstörungen, weil es sich nicht an die „gesunde Ernährung“ hält und kaum noch Obst und Gemüse isst: „Wie soll mein Kind denn richtig groß werden ohne den gesunden Brokkoli und die wichtige Paprika? Das Kind muss doch Gemüse essen!“ Des Weiteren verfallen viele Mamas (und Papas, aber weniger) in gewisse Selbstzweifel, weil sie sich selbst die Schuld an diesem „bedenklichen, arg eingeschränkten Essverhalten“ geben – oder von anderen dafür verantwortlich gemacht und vorwurfsvoll angeschaut werden. Doch beide „Sorgenstränge“ sind absolut unbegründet – denn es existieren keine valide Daten zu „Picky-Eater-Kindern mit Nährstoffmangelsymptomen“. Des Weiteren trägt eine aktuelle Studie dazu bei, Eltern (endlich) von diesen Versagensängsten auch aus wissenschaftlicher Sicht zu erlösen.

Was hat die neue Studie zum wählerischen Essverhalten vom Kleinkind- bis zum frühen Jugendalter gezeigt?

Diese neue Studie ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, in der die genetischen und umweltbedingten Einflüsse des wählerischen Essens – „Picker-Eater-Phase“ oder „Food Fussiness“ – im Gesamtverlauf vom Kleinkindalter bis zur frühen Jugend (< 13 Jahre) untersucht wurde. Dazu haben die Studienautoren sowohl eineiige als auch unterschiedliche Zwillinge über mehrere Jahre beobachtet und deren Essverhalten bewertet. Die Forscher kommen zu folgendem Fazit: Ein Großteil der individuellen Unterschiede – mehr als 70 % – beim wählerischen Essens ist auf genetische Faktoren zurückzuführen, Umwelteinflüsse und Erziehung spielen, besonders in der späteren Kindheit, bei der Picker-Eater-Phase nur eine untergeordnete Rolle. Des Weiteren nahm die Intensität von „Food Fussiness“ beim Heranwachsen zu.

Diese aktuelle wissenschaftliche Erkenntnis, dass wählerisches Essverhalten weitgehend angeboren und damit absolut natürlich ist. wird viele besorgte Eltern beruhigen, denn: Dieses Verhalten ist nicht das Ergebnis ihrer – vermeintlich falschen oder vernachlässigten – Ernährungserziehung, sondern einerseits in Studien belegt und andererseits auch evolutionsbiologisch plausibel nachvollziehbar.

Welche evolutionsbiologische These spricht noch für die Pick-Eater-Phase?

Evolutionsbiologisch unterliegt dieses wählerische Essverhalten einer sehr plausiblen Hypothese: In sensiblen Wachstumsphasen, wo der kindliche Organismus wichtige Zellen und Organe, z.B. Nervenbahnen und das Gehirn, weiterentwickelt und „organisch ausbaut“, dürfen weder Gift noch problematische Stoffe den Körper stören und ihn beim Aufbau behindern. Daher greift der Organismus – über die bewusste Auswahl des Kindes – nur auf Lebensmittel und Mahlzeiten zurück, deren ernährungsphysiologischen und Nährwert er bereits gut kennt und wo er sich sicher sein kann: „Dieses Essen liefert `saubere Energie´, es ist frei von Toxinen und unverträglichen Inhaltsstoffen, die mir Probleme machen“: Also isst das Kind in dieser Phase ausschließlich dieses „Safe-Food“. In dieser Zeit wird auch nichts Neues probiert, da die Biologie des Kinderkörpers keine Experimente machen will, bei der auch unbekannte, unerwünschte, schwer oder nicht verdauliche oder gar schädliche respektive giftige Substanzen aufgenommen werden, die vielleicht Probleme machen und den lebenswichtigen Entwicklungsprozess behindern.

Daher sollten in diesen Lebensabschnitten auch die Eltern die Biologie ihrer Kinder nicht stören, und unbedingt „Brokkolipüree als Piratengesichter“ in den Speiseplan reinquetschen, obwohl das Kind partout keinen Brokkoli möchte. Eltern, seid sicher: Es kommen auch wieder Experimentierphasen, da wollen die Kinder gerne neues entdecken und probieren – dann kann und sollte reichlich „kulinarisches Neuland aufgetischt“ werden!

Wie sollten Eltern ihre Kinder denn grundsätzlich gut und gesund versorgen und ernähren?

Das ist recht einfach: Zum einen: Auf die Kinder hören, was sie wann gerne essen und was nicht. Zum anderen. Die Sinne der Kinder schulen: schmecken, sehen, fühlen, riechen, in-sich-rein-horchen. Binden Sie die Kinder dazu auch aktiv in die Planung, Vor- und Zubereitung ein. Das schult auch ihre praktischen Sinne und Fähigkeiten. Sie lernen Lebensmittel kennen. Darüber hinaus beherzigen Sie (im wahren Sinne: Essen für die Kinder machen, das sollte von Herzen kommen) die Grundprinzipien richtiger Ernährung von Kindern: Merken Sie sich dazu einfach die 3V: Vorleben, Vielfalt, Verfügbarkeit. Eltern sollten Vorleben, dass Essen etwas sehr Schönes ist. Darüber hinaus bieten Mama, Papa, Oma und Opa idealerweise immer Vielfalt zum Essen an – das heißt, im Haushalt ist immer abwechslungsreiches, gutes frisches Essen verfügbar. Das kann auch vegetarisch sein, bei veganer Ernährung von Kindern hingegen sollten Sie sehr vorsichtig sein. Und legen Sie auch bei vermeintlich „ungesunden“ Lebensmitteln keine Scheu an den Tag, wenn ihr Kind diese essen möchten. Denn erstens gibt es keine wissenschaftlichen Belege für „ungesunde Lebensmittel“ und zweitens hat ein ganze gezieltes intensives Verlangen nach speziellen Speisen meist auch einen ernährungsphysiologisch absolut (bio)logischen Grund – z.B. warum Kinder besonderes im Freibad nach Pommes verlangen.

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Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte

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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug- 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.

Kontakt: presse@echte-esser.de