Die Suche nach der Wahrheit hinter gesunder Ernährung führt oft zu mehr Fragen als Antworten. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop deckt auf, warum dieser Forschungszweig dem Lesen einer Glaskugel gleicht.
Was hat der aktuelle arte-TV-Beitrag gezeigt?
In der aktuellen arte-Dokumentation wird einfach, verständlich und eindrucksvoll aufgezeigt, warum es bis heute keine Beweise für gesunde Ernährung gibt: Die Wissenschaft kann sie nicht liefern. Das war schon immer so, ist noch heute so und wird auch immer so bleiben. Die Menschen müssen es nur wissen. Dann hört auch irgendwann die derzeit omnipräsente Ernährungspropaganda auf, weil die Bürger sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen. Daher sollte jeder, der sich für seine Ernährung interessiert, den aktuellen TV-Beitrag anschauen – denn er liefert das „fundamentale Basiswissen zu gesunder Ernährung“.
Das Bemerkenswerte daran ist: Dieses Wissen ist in der Fachwelt längst bekannt – nur es dringt nicht zu den Bürgern durch, einfach, weil zu viele „Player“, die vom aktuellen System profitieren, kein Interesse an flächendeckender Aufklärung haben. Eine „Vorbildpublikation“ im renommierten Topjournal JAMA sprach bereits 2018 Klartext: „Einige Ernährungswissenschaftler und ein Großteil der Öffentlichkeit gehen häufig davon aus, dass epidemiologische Zusammenhänge zwischen Ernährungsfaktoren kausale Effekte darstellen, die als Grundlage für die öffentliche Gesundheitspolitik und -richtlinien dienen können. Das sich abzeichnende Bild der Ernährungsepidemiologie lässt sich jedoch nur schwer mit guten wissenschaftlichen Prinzipien vereinbaren. Das Fachgebiet bedarf einer radikalen Reform.“ Dreimal dürfen Sie raten, was in den letzten 8 Jahren an „radikaler Reform“ erfolgt ist: Nichts. Noch nicht einmal ein Reförmchen gab es.
Warum kann die Ernährungswissenschaft keine Beweise liefern?
Ernährungsforschung gleicht dem bemitleidenswerten Lesen einer Glaskugel, weil zahlreiche Limitierungen im Studiendesign keine Rückschlüsse auf Ursache-Wirkungs-Beziehungen erlauben – das nennt man Kausalevidenz, also echte Beweise, und die gibt es nicht. Stattdessen können die Wissenschaftler nur Korrelationen beobachten, also sie sehen banale statische Zusammenhänge – wissen aber nicht, wie und ob diese auch ursächlich in Beziehung stehen. Daher sind nur Hypothesen und Vermutungen möglich – aber klare Fakten, die gibt es nicht.
Als Beispiel, nehmen wir an, die Forschung hätte gezeigt: „Menschen, die öfter Strümpfe tragen, leben durchschnittlich ein Jahr länger als Menschen, die vorwiegend Socken anziehen.“ Aus diesem beobachteten Zusammenhang, also dieser Korrelation zwischen „Fußbedeckung & Lebenslänge“ lässt sich jedoch keinesfalls die Kausalität ableiten: „Strümpfe verlängern das Leben!“ – und schon gar nicht die Empfehlung: „Liebe Bürger, zieht Strümpfe an, damit lebt ihr länger als in Socken.“ Denn: Die Ursachen für das längere Leben der Strumpfträger sind: unbekannt! Tauschen Sie jetzt einfach Strümpfe gegen Vollkornbrot und Socken gegen Weißbrot – dann wissen Sie, was die Ernährungsforschung macht. Das ist der alltägliche Wahnsinn, den Sie stets aufs Neue in den Medien lesen.
Ganz konkret – welche zwei Limitierungen schwächen die Ergebnisse der Ernährungswissenschaften am stärksten ab?
Die klare Nummer einsteht gleich ganz am Anfang aller Forschungsaktivitäten: Die Datenerhebung und -qualität sind enorm schlecht. Denn: Alle Studien – und damit das gesamte weltweite Wissen zur „gesunden Ernährung“ – beruhen auf den stets unüberprüfbaren Eigenangaben der Probanden (Studienteilnehmer). Konkret bedeutet das: Niemand weiß, ob das Fundament aller Ernährungsregeln, ob diese Datenbasis stimmt oder falsch ist! Denn niemand kann sicher sagen, ob die Probanden die Wahrheit sagen oder nicht. Und ob sie das tun, daran gibt es auch schon lange erhebliche Zweifel.
Das wäre in etwa so, wenn Ihnen eine Baufirma verspricht: „Wir liefern Ihnen das beste und stärkste Betonfundament – darauf können Sie sicher und standhaft Ihr Haus aufbauen.“ Doch statt hartem Beton wird weicher Kalkstein verwendet. Wer darauf sein Haus baut, wird es sicher schnell einstürzen sehen – denn darauf kann sich niemand verlassen. Und so ist es mit (Wissens)Fundament der Ernährungsforschung – es ist so wachsweich, dass das darauf aufgebaute „Haus der Regeln“ in sich zusammenstürzt, sobald man daran rüttelt (also die Regeln wissenschaftlich hinterfragt).
Die zweite wesentliche Einschränkung sind die „Korrelationen„, die mittels dieser „Black-Box-Datenbasis“ beobachtet werden. D.h. uns fehlt nicht nur Kausalevidenz, sondern die wissenschaftlich grundsätzlich schwachen Korrelationen basieren auch noch auf Angaben, bei denen niemand weiß, ob sie wahr oder falsch sind. Im Prinzip ist das Offenbarungseid und Armutszeugnis dieses Forschungszweigs zugleich.
Aller guten Dinge sind drei – welche Limitierung ist noch kernrelevant?
An dritter Stelle steht die Randomisierung, das bedeutet „zufälliges Verteilen der Menschen in die Studiengruppen“ – beispielsweise in eine Gruppe mit gewissen Ernährungsvorgaben (Intervention) und eine Kontrollgruppe, die „isst, was wann und wieviel sie will.“ Das ist essenziell, damit die unterschiedlichen Gruppen, auch Kohorten genannt, wirklich in allen anderen Lebensstilfaktoren vergleichbar sind – und die Ergebnisse nicht durch „ernährungsfremde Parameter“ verzerrt werden (also wenn z.B. in der Kontrollgruppe nur reiche Akademiker und in der Interventionsgruppe nur „arme Arbeiter“ wären – das bringt nichts, da kommt nichts brauchbares bei raus). Im Bereich der „großen Ernährungsfragen“ ist diese essenzielle Randomisierung jedoch unrealistisch bis unmöglich, denn: Es ist nicht umsetzbar, von einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe eine bestimmte Ernährungsweise zu fordern und zu erwarten, dass die Teilnehmer sich über die erforderlichen Jahre bis Jahrzehnte daran halten.
Würde man beispielsweise wissen wollen, ob vegetarische Ernährung gesünder ist als „Alles-Essen“ und teilt die Probanden demnach zufällig in diese beiden Gruppen auf – welcher Steak-Freund hört da schon gern: „Alea iacta est – die Würfel sind gefallen: Sie sind in die vegetarische Gruppe gelost worden und dürfen jetzt fünf Jahre lang während der Studienlaufzeit kein Fleisch essen.“ Umgekehrt will man sich den Aufschrei der Empörung auch nicht vorstellen, wenn der Vegetarier in die „Alles essen“-Gruppe gelost würde. Neben diesen „Top Drei“ gibt es noch zahlreiche weitere kernrelevante Limitierungen, die sie alle hier nachlesen können.
Auf wen soll ich denn hören, wenn mir niemand sicher sagen kann, was „gesunde“ Ernährung sein soll?
Das ist ganz einfach: Hören Sie auf Ihren Körper und seine Bedürfnisse. Vertrauen Sie auf Ihre kulinarische Körperintelligenz, auf Ihr Bauchhirn, das enterische Nervensystem und auf Ihre Gefühle Hunger, Lust, Sättigung und vor allem Verträglichkeit. Kurzum: Essen Sie intuitiv mit vollem Vertrauen in sich selbst. Verbinden Sie Ihre Intuition mit Ihrer Ethik, also mit Ihrem ganz persönlichen Wertekompass. Seien Sie sich dabei im Klaren über folgendes „Kulinarische Grundgesetz“: Es gibt so viele gesunde Ernährungen, wie es Menschen gibt, denn: Jeder Mensch is(s)t anders. Daher finden Sie Ihre ganz persönliche „kulinarische Wahrheit“ nur in sich selbst.
Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte
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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug- 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.
Kontakt: Uwe Knop auf LI