Gutachten des BMLEH-Beirats zu alternativen Proteinen

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Blaupause für die Politik: Wissenschaftlicher Beirat des BMLEH empfiehlt politische Unterstützung von alternativen Proteinen.

  • GFI Europe begrüßt das vom Wissenschaftlichen Beirat des BMLEH vorgelegte Gutachten zum Potenzial von Alternativprodukten für ein nachhaltiges Ernährungssystem.
  • Die Handlungsempfehlungen des Beirats umfassen unter anderem Maßnahmen in den Bereichen Innovationsförderung, effiziente Regulierung und fairer Wettbewerb.
  • Die neue Bundesregierung sollte die Handlungsempfehlungen als Blaupause für die im Koalitionsvertrag angekündigte Förderung alternativer Proteinquellen nutzen.

Das heute vorgestellte Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundeslandwirtschaftsministerium betont die Rolle pflanzenbasierter Lebensmittel und anderer alternativer Proteinquellen als Teil eines nachhaltigen Ernährungssystems. Im Gutachten sprechen sich die Mitglieder des Beirats für einen ideologiefreien Diskurs aus, in dem pflanzliche, fermentationsbasierte und kultivierte Alternativprodukte genauso einen Platz auf dem „gemeinsamen Tisch” haben, wie pflanzliche Vollwertkost und herkömmliche tierische Produkte.

Der gemeinnützige Think Tank Good Food Institute Europe (GFI Europe) begrüßt, dass der Beirat die Rolle von Alternativprodukten als niedrigschwellige Angebote für Verbraucherinnen und Verbraucher hervorhebt, die ihre Ernährung ändern oder um neue nachhaltige Optionen ergänzen wollen. GFI Europe hält die vorgeschlagenen Maßnahmen für sehr geeignet, um zentrale Barrieren auf dem Weg zur Marktreife dieser neuen Lebensmittel zu beseitigen, vor allem in den Bereichen Innovationsförderung, verlässliche und effiziente Regulierung und fairer Wettbewerb.

Das Gutachten spricht sich für eine aktive, strategisch ausgerichtete Förderung des Sektors aus und wendet sich gegen Maßnahmen, die den Sektor behindern könnten:

  • Forschungsförderung: Das Gutachten betont, dass Alternativprodukte auf Basis von Pflanzen, modernen Fermentationsverfahren und der Zellkultivierung noch in einem frühen Entwicklungsstadium sind. Es brauche mehr öffentliche Innovationsförderung, um das volle Potenzial dieser Technologien zu heben. Um ein innovatives Forschungs- und Entwicklungsfeld für alternative Proteine zu schaffen, empfiehlt der Beirat unter anderem, ein langfristiges Zielbild für die Forschung in Deutschland zu formulieren (z.B. eine Technologie-Roadmap), die Grundlagenforschung zu stärken und die Vernetzung der Akteure in einem gemeinsamen Research Hub voranzubringen.
  • Regulierung: Das Gutachten unterstreicht, dass der Zulassungsprozess für neuartige Lebensmittel in der EU (zum Beispiel fermentativ hergestellter tierfreier Käse), grundsätzlich gut geeignet ist, um Innovationskraft und hohe Sicherheitsstandards miteinander in Einklang zu bringen. Die lange Dauer und hohen Kosten können jedoch ein Innovationshemmnis darstellen. Daher empfehlen die Gutachter unter anderem, Unternehmen bei der Erstellung von Zulassungsanträgen stärker zu unterstützen, rechtssichere Verkostungsmöglichkeiten für neuartige Lebensmittel zu schaffen (wie zum Beispiel in den Niederlanden) sowie die konkrete Umsetzung des europäischen Zulassungsverfahrens kontinuierlich zu beobachten und zu evaluieren.
  • Fairer Wettbewerb: Das Gutachten weist darauf hin, dass es historisch gewachsene Benachteiligungen von Alternativprodukten gegenüber ihren tierischen Pendants gibt, unter anderem die steuerliche Benachteiligung pflanzlicher Milch bei der Mehrwertsteuer. Die Gutachter sprechen sich dafür aus, diese strukturelle Benachteiligung durch eine Angleichung des Mehrwertsteuersatzes zu beenden, so wie es gegenwärtig auch von einer Petition wichtiger Player im deutschen Markt gefordert wird.
  • Evidenzbasierte Diskussion zu Gesundheitseffekten: Das Gutachten empfiehlt, die Debatte um den Verarbeitungsgrad von Alternativprodukten zu versachlichen. Die weit verbreitete Wahrnehmung pflanzenbasierter Optionen als hochverarbeitete Lebensmittel beruhe auf vereinfachenden Klassifikationen wie dem NOVA-Score und lasse außen vor, dass viele dieser Produkte positive ernährungsphysiologische Eigenschaften haben. Es brauche eine differenzierte Betrachtung der Lebensmittel anhand ihrer spezifischen inhaltlichen Zusammensetzung.

Diese und weitere im Gutachten formulierte Maßnahmen könnten auf das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel einzahlen, die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine zu fördern. Neben dem Potenzial für Nachhaltigkeit und Gesundheit, das in dem Gutachten vermessen wird, bieten alternative Proteinquellen auch enorme wirtschaftliche Chancen für den Industriestandort Deutschland.

Dies zeigt eine aktuelle Studie von Systemiq, wonach der Sektor für alternative Proteine mit hinreichender politischer Unterstützung in Deutschland bis 2045 bis zu 65 Milliarden Euro zur deutschen Wirtschaftsleistung beitragen könnte. Zudem könnte er bis zu 250.000 neue Arbeitsplätze entlang der gesamten Wertschöpfungskette schaffen.

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager bei GFI Europe: „Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Entwicklung und Markteinführung nachhaltiger alternativer Proteine zu fördern. Mit dem heute vorgelegten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats liegt nun eine Blaupause vor, wie sich das in konkrete politische Maßnahmen übersetzen lässt. Die Vorschläge zur Stärkung der Innovationsfähigkeit, zu einer transparenten und effizienten Regulierung und zur Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs sind bestens geeignet, um Deutschlands Rolle als Innovationsmotor in diesem Bereich zu stärken und um das enorme Potenzial von alternativen Proteinen für den Klima- und Umweltschutz und für eine gesunde Ernährung zu heben. Daher sollte die Bundesregierung diese Vorschläge nun aufgreifen und zu einem wesentlichen Teil ihrer politischen Agenda machen, zum Beispiel im Hinblick auf die angekündigte Proteinstrategie oder die im Koalitionsvertrag verankerte Hightech-Strategie.”

Das Gutachten des WBAE kann hier heruntergeladen werden.

Auswahl von relevanten Textstellen aus der Zusammenfassung des Gutachtens:

  • „Der WBAE empfiehlt der Bundesregierung, die Rolle Deutschlands als Impulsgeber in diesem dynamischen Innovationsfeld durch gezielte Maßnahmen auszubauen – etwa durch die Stärkung des Innovationssystems und durch transparente und verlässliche Verbraucherinformation.” (Seite 20)
  • „Weder aus der Perspektive der Nachhaltigkeitspolitik, noch aus ökonomischer und gesellschaftlicher Sicht gibt es derzeit überzeugende Gründe, Alternativprodukte zu behindern. Vielmehr sieht der WBAE Handlungsbedarf für eine aktive, strategisch ausgerichtete Förderung, die mindestens ein Level Playing Field herstellt und darüber hinaus die wirtschaftlichen und nachhaltigkeitsbezogenen Potenziale in diesem Innovationsfeld erschließt. Insbesondere vor dem Hintergrund globaler Marktveränderungen (z. B. bei Fleisch aus Zellkultur oder Präzisionsfermentation) sollte Deutschland frühzeitig Innovationspfade mitgestalten, statt auf internationaler wie auch europäischer Ebene im Wettbewerb zurückzufallen.” (Seite 35)
  • „Notwendig sind verbindliche Zielbilder, länder- und ressortübergreifende Koordination, stabile Budgets zur Förderung von Forschung und Entwicklung, Innovationscluster, offene Forschungsstrukturen, begleitende Nachhaltigkeitsbewertungen und ein regulatorischer Rahmen, der nachhaltigere Innovationen ermöglicht statt hemmt.” (Seite 35)
  • „Deutschland bietet grundsätzlich gute Voraussetzungen zur Entwicklung einer leistungsfähigen Wertschöpfungskette für Alternativprodukte, auch im Bereich der Biotechnologie. Im globalen Standortwettbewerb ist die frühzeitige Stärkung eines umfassenden Innovationssystems zentral. Um die Innovationskraft im Bereich von Alternativprodukten zu stärken, bedarf es gezielter Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung. Dafür sind geeignete rechtliche Rahmenbedingungen sowie neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen notwendig.” (Seite 38)

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