Macht die Werbung Engländer dick?
Dirigistische Maßnahmen ohne Effekt
Die Lebensmittelwirtschaft in England setzt auf vorauseilenden Gehorsam und wird damit ein Beispiel für falsche Ernährungspolitik liefern. Werbung für angeblich ungesunde Lebensmittel wird in Großbritannien nur noch nach 21.00 Uhr im Fernsehen gesendet und im Internet gar nicht mehr. Damit kommt die Industrie einem Verbot zuvor, das Anfang des kommenden Jahres in Kraft treten und dabei helfen soll, Fettleibigkeit bei Kindern zurückzudrängen. Kausale Belege für eine solche Strategie gibt es nicht, im Gegenteil. Der Effekt einer Werbebeschränkung ist mehr als fraglich, weil Fakten und Studien Sinn- und Nutzlosigkeit belegen. Bei komplexen Herausforderungen sind eindimensionale Maßnahmen selten die Lösung.
Das beginnt bei der Frage, wie ungesunde Lebensmittel definiert werden. Seriöse Wissenschaftler lehnen eine Einteilung in ungesunde und gesunde Lebensmittel ab. Die Zusammensetzung der Ernährung und die ausgewogene Bilanz sind entscheidend für eine gesundheitliche Betrachtung. Bei einem Thema wie Übergewicht ist die Betrachtung des gesamten Lebensstils relevant, um die tatsächlichen Ursachen zu ermitteln. Das reicht bis hinein in das soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen, das deren Lebensweise prägt.
Ungesunde Klassifizierung ohne Basis
Bei der Klassifizierung von ungesunden Nahrungsmitteln machen es sich die Ideologen besonders einfach. Der Gehalt von Fett, Zucker und Salz wird zum Kriterium für die Akzeptanz eines Nahrungsmittels gemacht. Mit dem Salzgehalt eines Lebensmittels kann es keine Kausalität für Übergewicht, das bekämpft werden soll, geben. Für diese Erkenntnis ist kein ernährungswissenschaftliches Studium notwendig. Aber Wissenschaft wird ohnehin in der Diskussion ignoriert, in der es um Meinungen und konstruierte Korrelationen statt um evidenzbasierte Kausalitäten geht. Vorurteile schaffen Urteile.
Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Ignoranz gegenüber Fakten liefert der ideologisch verteufelte Zucker. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat bereits Ende 2021 in einem Gutachten festgestellt, dass die wissenschaftliche Literatur keine Erkenntnisse für einen Zuckergrenzwert liefert. Die EFSA dokumentiert, dass es keine Grundlage dafür gibt, eine Aufnahmemenge für Zucker festzulegen.
Werbung macht nicht hungrig
Es wird im Interesse der politischen Zielsetzung einfach unterstellt, Werbespots würden das Ernährungsverhalten des Nachwuchses impulsartig modifizieren, in eine ungesunde Richtung lenken und damit dick machen. Kinder sind nach dieser Einschätzung offenbar wie Pawlowsche Hunde. Sie sehen eine Schokolade in der Werbung und wollen sie essen. Das soll mit Werbeverboten alles anders werden.
Eine grundsätzliche Betrachtung, für die England selbst belastbare Fakten liefert, zeigt ein ernüchterndes Bild. Strafaktionen machen nicht schlank. Die Behauptung, dass Werbung dick macht und die Kinder davor geschützt werden müssen, wird nicht durch entsprechende Forschung begründet. Im Gegenteil. In England gelten seit 2007 umfangreiche Werbebeschränkungen. Die Rate der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht ist dadurch nicht gesunken, sondern auf identischem Niveau. Ein anderes Beispiel: In Südkorea hat trotz seit 2010 geltenden Werbebeschränkungen der Anteil an stark übergewichtigen Minderjährigen sogar zugenommen.
Ein weiterer Beleg für die Nutzlosigkeit dirigistischer Maßnahmen wird ebenfalls aus England geliefert. Nina Rogers, Epidemiologin an der Cambridge University, hat erforscht, wie sich die Zuckersteuer für Softdrinks in Großbritannien auf die Gesundheit von Kindern ausgewirkt hat. Ihre Aussagen sind desillusionierend. Rogers stellt fest, dass man sehr sorgfältig messen und rechnen muss, um überhaupt eine minimale Gewichtsreduktion zu ermitteln. Wenn es mit Steuern nicht geht, versucht man es mit Werbebeschränkungen.
Prof. Lucia A. Reisch, Lehrstuhl für Behavioural Economics and Policy an der Universität Cambridge, kommt mit ihrem Forscherteam nach Auswertung umfassender Studienrecherchen zu dem Schluss, dass die Gesamtwirkung von Werbung auf das Ernährungswissen und die Vorlieben von Kindern eher gering ist. So betonen Wissenschaftler, dass Lebensmittelwerbung bei Kindern nicht den Konsum beeinflusst, sondern lediglich dazu dient, Markenpräferenzen zu bilden.
Markenpositionierung statt Konsumsteigerung ist das Ziel der Werbung. In gesättigten Märkten für etablierte Produkte geht es nicht um Konsumveränderungen, sondern darum, Marktanteile zu verteidigen und Konsumenten für die beworbenen Marken zu gewinnen.
Ohnehin ist die Werbung bereits reguliert. Es existiert der EU-Pledge, zu dem sich auf europäischer Ebene Lebensmittelunternehmen zusammengeschlossen haben. Das ist eine freiwillige Selbstverpflichtung mit dem Ziel, keine ungesunden Lebensmittel an Kinder unter zwölf Jahren im Fernsehen sowie online zu bewerben. Es ist ein verantwortungsvolles und transparentes System zur Regulation.
Ausgewogene Ernährung ersetzt ideologische Kost
Nachdem Cem Özdemir mit seiner Behauptung, dass Werbung dick macht, krachend gescheitert ist, hat die jetzige Bundesregierung ein solches Ansinnen nicht in ihren Katalog aufgenommen. Mit dem neuen Minister Alois Rainer, der auf Vernunft und den mündigen Verbraucher setzt, wäre das wohl auch nicht zu machen. Er ist kein ideologisch fixierter Volkserzieher, sondern ein Pragmatiker für gesunde Ernährung. Eine ideologisch geprägte Ernährung wird von Alois Rainer durch eine vernünftige und ausgewogene Ernährung abgelöst. Eine bevormundende Verbraucherpolitik wird im Kontext Ernährung abgelehnt und stattdessen auf die Selbstbestimmung der Verbraucher vertraut. Es geht nicht um die Steuerung der Verbraucher, sondern um die Förderung von Ernährungskompetenz, um eigenverantwortliche Entscheidungen treffen zu können.
Mit Werbeverboten haben sich in Deutschland bereits Verfassungsrechtler in Gutachten sehr kritisch beschäftigt. Für die Werbewirtschaft wären solche Verbote ein rechtlicher und ökonomischer Kahlschlag. Auch die Lebensmittelwirtschaft und der Handel reagieren mit Ablehnung auf eine Verbots-Strategie, da zwischen 70 und 80 Prozent aller Lebensmittel von den Marketing-Einschränkungen erfasst sein könnten.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben sich mit dem Thema ebenfalls eingehend beschäftigt. In ihren Dokumentationen wird nicht nur die Verfassungsmäßigkeit der Werbeverbote in Frage gestellt, sondern auch im Gegensatz zu der ideologischen Behauptung, dass die Werbung eine Ursache für Übergewicht und Adipositas ist, eine Vielzahl verantwortlicher Faktoren genannt wie genetische, sozio-ökonomische und medizinische Ursachen und zudem Bewegungsmangel sowie Rahmenbedingungen bei der Nahrungsaufnahme. Diese Komplexität, so die unabhängigen Experten, wird durch Werbeverbote nicht aufgelöst. Auch sie weisen darauf hin, dass selbst in denjenigen Ländern, in denen derartige Verbote existieren, wissenschaftlich fundiert kein entsprechender Effekt nachgewiesen werden kann. England wird ein eindrucksvolles Beispiel dafür liefern, dass Werbeverbote der falsche Weg sind.