Die Debatte um gesunde Ernährung hat kein Ende. Ernährungswissenschaftler Uwe Knop liefert überraschende Einblicke in die Welt der Ernährungsstudien.
Was hat die neue „Brokkoli-Studie“ ergeben – und wie ist das Ergebnis einzuordnen?
Die neue Studie hat den Verzehr von Brokkoli mit dem Krebsrisiko in Verbindung gesetzt – und die Medienberichte lauten wie folgt: „Ein Brokkoli-Röschen am Tag kann das Risiko für Darmkrebs um 20 % senken – wissenschaftlich nachgewiesen!“ Diese Aussage stammt aus einem deutschen medizinischen Fachmedium – ernsthaft. Die Ernährungsberichterstattung wird immer verrückter! Denn klar ist: Ernährungsstudien können keine Beweise (Kausalevidenz) liefern, denn deren Limitierungen sind so vielfältig wie die bunte Auswahl im Gemüseregal. Ernährungsstudien liefern primär schwache Korrelationen und lassen daher nur Schlussfolgerungen auf dem Niveau von Glaskugellesen zu. Oder einfacher:
Außer Hypothesen nichts gewesen.
Nichts Genaues weiß man nicht.
Daher kann niemand sicher sagen: „Brokkoli schützt vor Darmkrebs“ .- schon gar nicht in Mikromengen von „einem Röschen“. Eine Korrelation ist niemals eine Kausalität!
Was genau ist der Unterschied zwischen einer Korrelation und einer Kausalität?
Korrelation ist wie eine zufällige Romanze zwischen zwei Dingen: Sie treten oft zusammen auf, lieben sich vielleicht, aber das eine ist nicht der Grund für das andere. Beispiel: Wenn die Eisverkäufe steigen, gibt es auch mehr Sonnenbrände! Sie korrelieren, aber das Eis verursacht keinen Sonnenbrand – die Hitze (die Drittvariable) ist schuld, die beide verursacht. Kausalität ist wie eine klare Befehlskette: Ursache A führt eindeutig zu Wirkung B. Beispiel: Wenn Sie den Lichtschalter (A) betätigen, geht das Licht (B) an. Ein anderes ulkiges Beispiel: Die Anzahl der Störche in einem Gebiet korreliert statistisch oft mit der Anzahl der Neugeborenen – aber der Storch ist (leider!) nicht der Baby-Kurier. Oder: Jeder Einbruch und jeder Mord korreliert mit der Anwesenheit der Polizei. Jeder Brand steht in Zusammenhang mit der Anwesenheit der Feuerwehr – mehr muss man dazu nicht sagen, oder? Ein wunderbares „Absurditäten-Kabinett“ witziger Korrelationen finden Sie hier – aber Achtung: Bauchmuskel-Lachschmerz-Gefahr!
Warum kann die Ernährungswissenschaft keine Beweise für gesunde Ernährung liefern?
Ernährungswissenschaft stützt sich primär auf Beobachtungsstudien, und da liegt der Hund begraben. Erstens, der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität (mehr dazu oben): Man sieht einen Zusammenhang, aber weiß nicht, ob A wirklich B verursacht. Zweitens: Unklarheit, Unsicherheit und Unüberprüfbarkeit! Denn Probanden, also die Studienteilnehmer, müssen stets selbst angeben, was sie essen. Erinnern Sie sich an jedes einzelne Gummibärchen? Eben. Diese grundsätzlich wahrscheinlich sehr fehlerhaften Selbstauskünfte – unbewusst oder gezielt falsch – sind eine unüberbrückbare Basis. Drittens: Störfaktoren (confounder). Menschen, die viel Brokkoli essen, rauchen vielleicht auch weniger, machen mehr Sport und haben generell mehr Biss im Leben. Ist es der Brokkoli oder das Gesamtpaket? Die ganze Latte an Limitierungen, die Ernährungsforschung zu „Baron von Münchhausens“ Lieblingsbereich gemacht hätten, können Sie hier nachlesen.
Wie kann man in Medienberichten über Ernährung ganz einfach erkennen das es sich nur um Korrelationen handelt?
Achten Sie auf Weichspüler-Phrasen! Wenn Sie Wörter wie „könnte“, „scheint zu beeinflussen“, „ist verbunden mit“, „im Zusammenhang stehen mit“ oder „Risiko erhöhen“, „vermutlich und vielleicht“ lesen, läuten die Alarmglocken! Viele Medien möchten gerne oft Kausalität für Klicks verkaufen, obwohl die Studie nur Korrelationen gefunden hat. Wenn der Titel „Vollkorn verlängert das Leben!“ ruft, aber der Text „Vollkornfreunde leben länger – Ballaststoffe scheinen vermutlich dafür mitverantwortlich zu sein“ lautet, dann ist das eben mal wieder nur eine banale Korrelation. Kausale Studien sind generell rar und viel schwerer durchzuführen – und im Bereich der Ernährungsforschung existiert überhaupt keine Kausalevidenz für „gesunde Ernährung“ im Allgemeinen!
Brauchen wir immer mehr neue Beobachtungsstudien zur Ernährung oder reicht es langsam?
Seien wir ehrlich: Mehr Studien mit fehlerhaften Selbstaussagen und unkontrollierbaren Störfaktoren sind so nützlich wie ein Kropf. Sie liefern immer wieder neue, oft widersprüchliche Korrelationen, die nur für Schlagzeilen taugen – und die Menschen nicht nur dauernd neu verunsichern, sondern langsam aber sicher auch dazu führen, dass die Bürger das Vertrauen in die Wissenschaft verlieren. In dem Fall leider zurecht! Was wir bräuchten, wären mehr teure, aufwändige Interventionsstudien (echte Goldstandard-Studien „RCT“) aber die sind in der Ernährung nicht durchzuführen (niemand will 20 Jahre lang immer Brokkoli oder nur Speck essen, weil Wissenschaftler das per Zufallslos bestimmen). Also: Es reicht langsam mit immer neuen „Könnte-vielleicht-Studien“. Das Geld kann viel sinnvoller investiert werden.
Worauf soll ich beim Essen achten, um mich gut und gesund zu ernähren?
Richtig, gut und gesund essen ist sehr einfach. Man muss dazu nur für Abwechslung & Vielfalt im Speiseplan sorgen sowie auf seine individuelle Intuition und persönliche Ethik vertrauen – das ist alles. Merken Sie sich dazu einfach das Schlagwort der vier Anfangsbuchstaben: l´AVIE, gesprochen wie „das Leben“ auf französisch – denn auch die Bedeutung passt perfekt: Erst mit dem richtigen, persönlich perfekt passenden Essstil wird das Leben wirklich schön. Wie das konkret geht, erfahren Sie hier. In diesem Sinn: Lassen Sie es sich schmecken – mit Körper und Geist!
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Dieser Beitrag erschien im Original zuerst auf FOCUS online-Experte
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Uwe Knop (*72) ist evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler (Dipl.oec.troph./JLU Gießen), Publizist, Referent und Buchautor (aktuell „ENDLICH RICHTIG ESSEN“ (Aug, 2024)). Seit mehr als 14 Jahren bildet die objektiv-faktenbasierte Analyse tausender aktueller Ernährungsstudien den Kern seiner unabhängigen Aufklärungsarbeit. Knop hat den mündigen Essbürger mit eigener Meinung zum Ziel, der umfassend informiert selbst und bewusst entscheidet, worauf er bei der wichtigsten Hauptsache der Welt – genussvolles Essen zur Lebenserhaltung – vertraut.
Kontakt: Uwe Knop auf LI